Insel des Vaterlands

Das Regime im türkisch besetzten Norden lehnt die UN-Lösung des Zypernkonflikts ab. Doch die Opposition wächst, und die EU rückt näher. von ralf dreis, thessaloniki

Nein zum Annan-Plan, nein zum Bundesstaat Zypern«, lauten die Parolen auf den Plakaten der Allzyprischen Vereinigten Studentenschaft. Darunter sieht man in Blutrot die Umrisse Zyperns, von dessen Küsten Blut ins Meer tropft.

Die griechisch-zypriotischen Nationalisten fürchten, dass die Verhandlungen über die Wiedervereinigung zur »Türkenherrschaft« führen, und fordern die »sofortige Befreiung« der Insel unter alleiniger Verwaltung. Seit Monaten stehen sie mit ihrem Banner »Vaterland, Ehre, Freiheit« vor der Universität von Thessaloniki und propagieren ihre Ziele. Doch die Zeichen stehen schlecht, da ihnen die Bündnispartner abhanden kommen. Mit der strikten Ablehnung einer Lösung des Zypernkonflikts auf der Basis des Plans von UN-Generalsekretär Kofi Annan, der eine bundestaatliche Lösung für die Insel mit großen Autonomierechten für beide Volksgruppen vorsieht, stimmt nur das Regime von Rauf Denktas im türkisch besetzten Nordzypern überein.

Der jedoch ist mittlerweile ernsthaft um seine Zukunft bei den im Dezember stattfindenden Wahlen besorgt. Seine gewohnten Drohungen und verbalen Angriffe gegen die Opposition weitete er zuletzt auf den US-Botschafter in Nikosia, Michael Klosson, aus. »Zu einem anderen Zeitpunkt, wenn sich der Zypernkonflikt nicht an einer kritischen Wendemarke befände, würde ich ihn zur persona non grata erklären«, betonte Denktas sichtlich erregt auf einer Pressekonferenz am 17. Oktober in Nikosia und fügte hinzu: »Wir würden ihn uns vom Halse schaffen, weil er ständig die diplomatischen Gepflogenheiten verletzt.« Anlass für Denktas’ Zorn sind die wiederholten Gespräche von Klosson mit Interessenvertretern im Nordteil der Insel. Er mache dabei Propaganda für eine Lösung des Zypernkonflikts auf der Basis des Annan-Plans und betreibe somit Wahlkampf für die Oppositionsparteien.

Ein Vertreter des US-Außenministeriums erklärte am folgenden Tag einer südzypriotischen Nachrichtenagentur: »Hinweise auf die Manipulation der Wahlregister beunruhigen uns sehr.« Trotzdem sei die Wahl eine große Chance für alle türkischen Zyprioten, »ihren Wunsch nach einer Lösung des Zypernkonflikts auf der Basis des Annan-Plans und des Eintritts in die EU auszudrücken«.

In der Folge ließ Denktas am vergangenen Donnerstag die geplanten Gespräche mit US-Sondervermittler Thomas Weston platzen, der sich zurzeit in Nikosia, Ankara und Athen um eine baldige Wiederaufnahme der Verhandlungen bemüht.

Mit Parolen wie »Denktas, tritt zurück« und »Das Volk soll regieren« hatten eine Woche zuvor mehr als 10 000 Menschen gegen das Regime und die massenhafte Eintragung von türkischen Siedlern in die Wahlregister demonstriert. Die Protestversammlung wurde vom Bündnis »Dies ist unser Land« durchgeführt. Der Protest richtete sich vor allem gegen die offensichtlich geplante Manipulation der Wahlen; darüber hinaus wurde die Abhaltung einer Volksbefragung zum Annan-Plan gefordert. EU-kompatibel zeigte sich der Führer der Republikanischen Türkischen Partei und Hauptkonkurrent von Denktas, Mehmet Ali Talat: »Es ist moralisch inakzeptabel, dass diese Menschen versuchen, unsere Staatsbürgerschaft zu bekommen, nur um ein besseres Leben führen zu können.«

Seine Beunruhigung über eine mögliche Wahlfälschung drückte auch der EU-Abgesandte in Nikosia, Adrian van der Mir, aus. Er bezog sich hierbei auf Veröffentlichungen des nordzyprischen Zentrums für Soziologische Studien, wonach allein in den letzten vier Monaten 11 000 Siedler aus der Türkei in die Wahllisten aufgenommen wurden. Nach Angaben des Zentrums waren bei den letzten Wahlen vor vier Jahren insgesamt 122 000 Menschen wahlberechtigt. Noch im September hatte die zuständige Behörde die Zahl der im Dezember Wahlberechtigten mit 137 500 angegeben, nur um diese im Oktober auf 140 832 zu erhöhen. Die Opposition geht davon aus, dass sich die Zahl noch weiter erhöhen könnte und dass sich das rasante Bevölkerungswachstum mit sechs bis sieben Prozent im Wahlergebnis niederschlagen kann. Trotzdem sagen letzte Umfrageergebnisse noch immer einen klaren Sieg der Opposition mit etwa 55 Prozent der Stimmen voraus.

Alarm schlagen gesellschaftliche Gruppen, die sich auf nicht staatlicher Ebene mit griechischen Zyprern um eine Versöhnung bemühen. Sie beobachten in den letzten Monaten eine verstärkte Mobilisierung der faschistischen Grauen Wölfe. So erhielt der Herausgeber der oppositionellen Zeitung Afrika vor zwei Wochen eine Morddrohung der Organisation, die seiner Meinung nach »in direkter Absprache« mit Denktas handelt. Am Abend des 17. Oktober, nach Denktas’ Angriffen auf den US-Botschafter, demonstrierten 200 Anhänger der Grauen Wölfe im besetzten Nordteil von Nikosia auf die »amerikanische Einmischung in innere Angelegenheiten der Türkischen Republik Nordzypern«.

Wohin die Reise geht, ist auch ohne Einmischung der USA klar. Beim zweitägigen Besuch des türkischen Außenministers Abdullah Gül, Anfang vergangener Woche in Athen, gab es zwar in Bezug auf Zypern keine konkreten Fortschritte, doch ist die weitere Annäherung der Türkei an die EU absehbar. »Griechenland wird diesen Weg nach Kräften unterstützen«, betonte Außenminister Georgos Papandreou, nicht ohne daran zu erinnern, dass die Türkei aktiv zur Lösung des Zypernkonflikts beitragen müsse. Der allseits demonstrierten guten Stimmung tat dies keinen Abbruch, und nach Abschluss mehrerer Wirtschaftsverträge sprach Gül optimistisch zu führenden Vertretern des griechischen Kapitals. »Wir werden die Ägäis zu einem Symbol des Friedens machen, und die Avantgarde werden die Unternehmer, nicht die Politiker sein.«

Vorhut dieser Avantgarde sind Unternehmer im griechischen Teil Zyperns. Seit der überraschenden Grenzöffnung im Frühsommer, mit der Denktas die gegen ihn gerichteten Massendemonstrationen kurzfristig eindämmen konnte, verdingen sich immer mehr seiner Untertanen im Süden. Das Geschäft lohnt sich vor allem für die Arbeitgeber, da die Tagelöhner unversichert und für weniger Lohn arbeiten als griechische Zyprioten.