Ticket nach Texas

Die USA überlegen, einen Teil ihrer Truppen aus dem Irak abzuziehen. Das könnte US-Präsident George W. Bush die Präsidentschaft retten. von martin schwarz, wien

Black Hawk down«, hieß es vergangene Woche wieder einmal im Irak. In der Nähe von Saddam Husseins Heimatstadt Tikrit kamen sechs US-Soldaten ums Leben, als ihr Hubschrauber abgeschossen wurde. Erst eine Woche zuvor waren 16 US-Soldaten getötet worden, als ein Transporthubschrauber in der Nähe des latenten Unruheherdes Fallujah abgeschossen wurde. Die Reaktionen der Zeugen nach dem jüngsten Abschuss eines US-Helikopters verdeutlichen das Problem, mit dem die Amerikaner in zunehmendem Maße im Irak zu kämpfen haben. »Ich sah einen der Hubschrauber, als er von der Seite beschossen wurde, und dann sah ich Rauch und einen riesigen Feuerball. Ich fühlte mich glücklich und begann, ›Allahu akbar‹ zu rufen«, berichtete etwa der Zeuge Saqr Ghani gegenüber Journalisten.

Zwar gehört Ghani wohl mit seinem Freudenausbruch angesichts des Abschusses zu einer Minderheit im Irak. Doch diese Minderheit wird zunehmend radikaler in ihrer Ablehnung der amerikanischen Besatzung, und der Widerstand wird massiver. »Wir haben ein Sicherheitsproblem«, gab Vizeaußenminister Richard Armitage am Samstag zu, »und das ist ziemlich nah an einem Krieg«.

Waren es bisher einzelne Attentate auf amerikanische Soldaten oder Militärkonvois, mit denen die Amerikaner im Irak zu kämpfen hatten, so wurde spätestens mit dem Anschlag am 26. Oktober auf das hermetisch abgeriegelte Hotel Raschid in Bagdad klar, dass der Widerstand in eine neue Phase getreten ist. Nun haben es die Seilschaften Saddam Husseins, wahrscheinlich im Verbund mit islamistischen Terrorgruppierungen, auf die Infrastruktur der amerikanischen Besatzungsmacht abgesehen. Nach den anfänglichen Sprengfallen auf Iraks Straßen sind die Methoden technisch anspruchsvoller geworden. Während des gesamten eigentlichen Krieges ist es der irakischen Armee kein einziges Mal gelungen, einen amerikanischen Hubschrauber abzuschießen; nun gelingen solche Attentate beinahe jede Woche.

Für US-Präsident George W. Bush könnten weitere Anschläge solcher Art katastrophale Auswirkungen haben und spätestens im November nächsten Jahres das Ticket zurück nach Texas bedeuten. Die Zustimmung zu seiner Irakpolitik ist nach neuesten Umfragen merklich gesunken. Vor allem fehlt den Amerikanern derzeit der Optimismus, dass die unergründliche Weisheit des Weißen Hauses ihnen letztendlich doch noch einen Sieg im Irak beschert. 87 Prozent der Amerikaner – so vermittelt es zumindest eine Umfrage von ABC News – befürchten, dass die US-Streitkräfte im Irak in der Falle sitzen und nicht mehr herauskommen. Und diese Umfrage wurde noch vor dem jüngsten »Black Hawk down«-Zwischenfall durchgeführt.

Deshalb mehren sich in Washington nun die Stimmen, die angesichts immer höherer Verluste einen schleichenden Abbruch des Experiments Irak befürworten, besonders von Seiten der neun amerikanischen Präsidentschaftsbewerber. Im Pentagon arbeitet man angeblich schon an Plänen, die amerikanische Truppenstärke von derzeit 132 000 auf 105 000 im nächsten Frühling zu vermindern und als Gegengewicht rasch eine irakische Armee aufzubauen, die sich um die terroristischen Strukturen kümmern soll.

»Frustriert von der langsamen Verbesserung der Situation und alarmiert von der wegbrechenden politischen Unterstützung zuhause, meint Washington, dass eine rasche Übergabe der Macht an die Iraker die Sache verbessern würde«, analysiert der Washington Post-Kolumnist Fared Zakaria. Das Konzept erinnert an jene Exit-Strategie, die Richard Nixon in Vietnam anwandte. Der Kampf gegen die Truppen des kommunistischen Nordens wurde ab der ersten Hälfte der siebziger Jahre zunehmend den südvietnamesischen Truppen überlassen, während sich die US-Armee langsam aus dem Land zurückzog. Die Zauberformel damals lautete, den Konflikt »zu vietnamisieren«, heute soll der Konflikt »irakisiert« werden. Für US-Präsident George W. Bush würde ein solcher Schritt zumindest kurzfristig eine innenpolitische Entspannung bedeuten.

Doch wo bleibt die Vision, die einst Triebfeder des militärischen Eingreifens im Irak gewesen sein soll? »Der Irak muss zu einem Modellfall für den gesamten Mittleren Osten werden«, sagte noch vor Kriegsbeginn Danielle Pletka, Vizepräsidentin des Bush nahe stehenden, neokonservativen Think Tanks American Enterprise Institute, der Jungle World. Sie warnte damals, dass dieses Experiment unter keinen Umständen schief gehen dürfe, weil sonst die Vereinigten Staaten auch den letzten Rest an Glaubwürdigkeit im Mittleren Osten verspielt hätten.

Ein Truppenabzug ohne vorherige Konsolidierung der politischen Strukturen könnte bedeuten, dass der Irak noch tiefer im Chaos versinkt. »Wir können 100 000 Iraker in Polizei und Armee haben und es würde nichts nützen ohne eine weitere Person: eine gewählte irakische Führungspersönlichkeit«, kritisiert der renommierte Kolumnist der New York Times, Thomas Friedman, die Pläne der Regierung.

Allerdings werden in Washington auch noch andere Optionen ins Auge gefasst. So könnten sich US-Truppen aus dem vergleichsweise ruhigen kurdischen Norden und dem ruhigen schiitischen Süden zurückziehen und sich ganz auf die Beseitigung des Terrors in den sunnitischen Gebieten konzentrieren. Die von den US-Truppen verlassenen Landesteile könnten dann von der gerade im Entstehen begriffenen irakischen Armee kontrolliert werden.

Noch ist nicht sicher, wie die US-Armee weiter im Irak verfahren wird. Denn in dieser Frage bestehen massive Meinungsverschiedenheiten zwischen Pentagon und Außenministerium. Während der Plan für eine allmähliche Truppenreduzierung von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld stammt, beteuert Außenminister Colin Powell, an der Vision eines demokratischen Irak unter amerikanischer Besatzung festzuhalten: »Wir wollen unsere Präsenz so schnell wie möglich beenden, aber wir werden dem Irak auch nicht den Rücken zukehren und davonlaufen, nur weil die Situation schwierig wird.« Auch Präsident Bush bekräftigte vergangene Woche in einer Rede, dass sich die USA im Irak kein Scheitern erlauben können. Die Demokratisierung sei eine globale Tendenz, bei deren Beschleunigung den USA eine Führungsrolle zukomme.

Ausgerechnet in dem Moment, in dem die Sicherheitslage im Irak außer Kontrolle gerät, werfen nun brisante Enthüllungen amerikanischer Zeitungen ein neues Licht auf die Irak-Politik der Bush-Regierung vor dem Krieg. Offenbar hatte Ex-Diktator Saddam Hussein Wochen vor dem Krieg versucht, über Emissäre einen Deal mit den USA zu erreichen, der unter anderem vorsah, im Land amerikanische Experten nach Massenvernichtungswaffen suchen zu lassen. Selbst von freien Wahlen soll in dem Angebot die Rede gewesen sein. Die Bush-Administration aber zeigte an Verhandlungen kein Interesse. Das Angebot wurde als »nicht glaubwürdig« eingestuft.