»Coca-Cola profitiert von den Verbrechen«

Edgar Páez

Die kleine kolumbianische Gewerkschaft Sinaltrainal versucht derzeit, in den USA den Coca-Cola-Konzern wegen Menschenrechtsverletzungen vor Gericht zu bringen. Edgar Páez hat die Gewerkschaft sowie den Dachverband CUT mitaufgebaut. Auf einer Rundreise will er nun den Fall auch in Europa bekannt machen.

Mit ihm sprach Knut Henkel

Warum klagen Sie gegen Coca-Cola?

Wir haben zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen Coca-Cola die Rechte der Arbeiter verletzt hat. In Kolumbien hat der Konzern von Verbrechen, die von Paramilitärs verübt worden sind, maßgeblich profitiert. Wegen dieser Fälle haben wir im vergangenen Jahr in Atlanta, dem Sitz von Coca-Cola, sowie in Brüssel und Bogotá öffentlich Klage gegen den transnationalen Konzern erhoben.

Welche Ziele verfolgen Sie damit?

Wir wollen herausfinden, weshalb diese Verbrechen verübt wurden, und verlangen Gerechtigkeit. Nahezu hundert Prozent aller Menschenrechtsverletzungen bleiben in Kolumbien ungeklärt und ungesühnt. Wir fordern zudem eine Entschädigung für die Verbrechen und hoffen natürlich, dass wir damit unsere Gewerkschaften unterstützen können.

Die Kampagne soll aber auch auf andere Organisationen aufmerksam machen, die Konflikte mit Coca-Cola haben. Dies ist ebenfalls ein Anliegen meines Besuchs in Europa. Der internationale Austausch unter denen, die Erfahrungen mit dem Konzern haben, ist wichtig, sei es in Afrika oder den Vereinigten Staaten.

Wie groß sind die Chancen, gegen einen der größten Konzerne der Welt erfolgreich zu klagen?

Die Klage gegen Coca-Cola hat bereits Erfolge gebracht. Der Konzern wurde in einer symbolischen Gerichtsverhandlung verurteilt, außerdem wurde eine internationale Kampagne initiiert. So gibt es seit dem vergangenen Juli einen Boykott-Aufruf gegen Coca-Cola.

Und über diese symbolischen Aktionen hinaus?

Das zuständige Gericht in Florida hat in erster Instanz entschieden, dass die Ermittlungen gegen Coca-Cola weitergehen sollen. Da der kolumbianische Staat seiner Aufgabe, seine Bürger zu schützen, nicht nachkommt und eine symbiotische Beziehungen zu den Paramilitärs unterhält, begrüßen wir diese Entscheidung natürlich.

Coca-Cola hat uns im Gegenzug der Verleumdung bezichtigt und unsere Vorwürfe zurückgewiesen. Was uns Sorgen macht, sind die rechtlichen Schritte, die der Konzern gegen die Gewerkschaft eingeleitet hat. Die Justiz in Kolumbien ist alles andere als vertrauenswürdig. Sie steht für Straflosigkeit, und deshalb befürchten wir eine Kriminalisierung der Gewerkschaft.

Der ehemalige Leiter der Menschenrechtsabteilung des Gewerkschaftsdachverbands CUT, Jesús González Luna, spricht von einer systematischen Verfolgungspolitik.

Rund neunzig Prozent der Gewaltverbrechen an Gewerkschaftern entfallen auf Kolumbien. Etwa 4 000 wurden in den letzten 15 Jahren in Kolumbien ermordet. Allein in diesem Jahr sind bislang 63 Gewerkschafter getötet worden, im vergangenen Jahr waren es 184. Von diesen Morden wurden 99,9 Prozent nicht aufgeklärt und die Verantwortlichen somit auch nicht bestraft.

Wie hat die kolumbianische Justiz auf die Anzeigen der Gewerkschaft reagiert?

Der einzige Fall, in dem es bislang ein Urteil gab, betraf einen Kollegen in Carepa. Es wurde ein Haftbefehl gegen den Direktor der Coca-Cola-Fabrik sowie gegen seinen Produktionsleiter erlassen. Die beiden sollen die Paramilitärs beauftragt haben, den Kollegen zu ermorden. Der Produktionsleiter wurde festgenommen. Nach einigen Tagen im Gefängnis konnte er entkommen und ist seitdem verschwunden. Der Prozess wurde anschließend niedergeschlagen.

Wie erklären Sie sich das Verhalten des kolumbianischen Staates?

Wir haben uns damals an den Bundesanwalt Dr. Jaime Bernal Cuellar gewendet, um anhand dieses konkreten Falls auf die Straflosigkeit hinzuweisen. Heute, einige Jahre später, ist Bernal der Anwalt, der die Interessen von Coca-Cola in Kolumbien vertritt und Klage wegen Verleumdung und Beleidigung gegen mehrere Funktionäre unserer Gewerkschaft eingereicht hat, auch gegen mich.

Ein anderes Beispiel: Eine der Verantwortlichen des Arbeitsministeriums, die Vizeministerin Luz Stella Arango de Buitrago, war bis August letzten Jahres Anwältin des Nestlé-Konzerns in Kolumbien. Nun ist sie für die Arbeitsmarktpolitik der Regierung verantwortlich.

Wenn man diese enge Verflechtung zwischen dem kolumbianischen Staat und den multinationalen Unternehmen nicht erkennt, versteht man auch nicht, weshalb es dieses Ausmaß an Straflosigkeit in Kolumbien gibt.

Welche Bedeutung hat für Sie die Unterstützung der US-amerikanischen Stahlarbeitergewerkschaft (USWA) in der gerichtlichen Auseinandersetzung mit Coca-Cola?

Die Kollegen in den USA haben den Fall aufmerksam verfolgt und begleitet. Mit ihrer Unterstützung konnten wir die Klage einreichen, sie haben die Kontakte zum Anwalt hergestellt und für die juristische Beratung gesorgt. Sie haben auch Kollegen aufgenommen, die sich vor den Paramilitärs in Sicherheit bringen mussten. Einige dieser Kollegen sind nun Zeugen in dem Prozess gegen Coca-Cola.

Hilfe und Solidarität kam auch von anderen ausländischen Gewerkschaften, von Menschenrechtsorganisationen und Solidaritätsgruppen. Das ist ebenfalls sehr wichtig und es hat auch etwas bewirkt. Mittlerweile begegnet uns Coca-Cola mit Respekt. Das war früher nicht so.

Wie verhalten sich die deutschen Gewerkschaften?

Einzelne Gewerkschaftsmitglieder haben unsere Reisen unterstützt und Kontakte hergestellt. Aber von der Gewerkschaftsspitze hat es bislang keine Reaktion gegeben.

Wie sind die Arbeitsbedingungen in den Fabriken von Coca-Cola?

Alle Fabriken werden bis in den letzten Winkel mit Kameras überwacht, so dass die Unternehmensleitung die Arbeiter detailliert beobachten kann. Dadurch wird ein hoher Druck auf die Beschäftigten aufgebaut. In den Produktionsanlagen sind zudem immer Wachleute anwesend. Und in der Nähe der Fabriken kann man nahezu permanent Mitglieder von paramilitärischen Gruppen beobachten. Das Klima, in dem wir arbeiten, ist ein Klima der Verfolgung, Bedrohung und Einschüchterung.

So stehen elf unserer Kollegen unter dem besonderen Schutz des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Sie kommen mit Leibwächtern zur Arbeit, tragen Waffen, schusssichere Westen und sind in gepanzerten Wagen unterwegs, um ihrer Arbeit und gewerkschaftlichen Aufgaben nachzugehen.

Gleichzeitig sind allein im November nach einem Bericht des Dachverbandes CUT fünf Gewerkschafter ermordet worden.

Wie viele Mitglieder sind im Sinaltrainal derzeit organisiert?

Etwa 2 000 Kollegen sind in unserer Gewerkschaft eingeschrieben. Die meisten von ihnen arbeiten für Coca-Cola, Unilever, Kraft, Nestlé, die restlichen für kleinere nationale Unternehmen. Vor rund zehn Jahren hatten wir noch rund 5 000 Mitglieder. Dieser Schwund steht in direktem Zusammenhang mit der aggressiven Unternehmenspolitik, dem Druck von Seiten der Regierung, der Vertreibung, den Entführungen, mit willkürlichen Verhaftungen, Entlassungswellen und so weiter.

Kolumbien ist aus unserer Sicht ein Labor des Neoliberalismus, wo das repressive Instrumentarium zum Einsatz kommt. Das hat dazu geführt, dass wir von Jahr zu Jahr weniger Mitglieder haben. Wir sind auf internationale Unterstützung angewiesen. Und das gilt nicht nur für uns, sondern für die gesamte Gewerkschaftsbewegung Kolumbiens.