Geld und Macht

Verfassungskrise der EU

Es seien »sehr schwierige Zeiten«, klagt Romano Prodi, Präsident der EU-Kommision, nach dem gescheiterten Gipfel in Brüssel vor zwei Wochen. Und die britische Wirtschaftszeitung The Economist fragte: »Who killed the Constitution?«

Die Reaktionen auf das Scheitern des Gipfels sind unterschiedlich. Ob Spanien und Polen die Union in eine Krise drängen wollen, fragen die einen. Oder ob es eher die Enttäuschung Frankreichs und Deutschlands über die politische Haltung ihres »Süd-Ost-Asien-Marktes vor der Haustür« ist, fragen andere wie der Lobbyverband »European Roundtable of Industries«, der dabei die östlichen Beitrittsstaaten auf bemerkenswerte Weise charakterisiert.

Dabei zeichnete sich der aktuelle Streit um die Machtverteilung in der Union schon lange ab. Bereits zu Beginn des Jahres unterschrieb der spanische Ministerpräsident José Maria Aznar auf Initiative des Wall Street Journal den »Brief der Acht«, um die US-Kriegsstrategie zu unterstützen. Auch Großbritannien, Italien, Polen und andere beteiligten sich daran.

Die damaligen Kriegsbefürworter Spanien und Polen bemühen sich am meisten um eine Blockade der Verfassung. Der spanische Autor Ramon Fernandez Duran, der mehrere EU-kritische Bücher verfasst hat, glaubt, dass die Ursache der aktuellen Krise bereits in der Nato-Erweiterung 1999 und 2002 zu suchen sei. Sie habe zur raschen EU-Erweiterung geführt, die nun »Probleme provoziert«. Polens Unnachgiebigkeit in der aktuellen Verfassungsdebatte sei ein Denkzettel wegen »frustrierter Integration« und fehlender Machtteilhabe in der EU. Und ebenso wie Polen fürchtet auch Spanien eine Hegemonie von Deutschland und Frankreich in der Union und hält daher an der transatlantischen Partnerschaft fest.

Aznars Schulterschluss mit den USA im Irakkrieg kostete ihn nun aber Einfluss in der EU. Nicht einmal die früheren Freunde aus London und Rom zeigten sich hilfsbereit. »Bester Alliierter der USA zu sein, verwandelt Aznar nicht notwendigerweise in den besten europäischen Partner«, kommentierte die spanische Tageszeitung El Pais den Brüsseler Gipfel. Berlin und Paris sind nicht mehr gewillt, mit den so genannten Transatlantikern einen Kompromiss einzugehen.

Auch wenn es im EU-Projekt hauptsächlich ums Geld geht, ist die Machtfrage nicht weniger wichtig. Wie Polen will auch Aznar unbedingt an dem vor drei Jahren in Nizza ausgehandelten Vertrag festhalten. Nur so können beide Länder ihren Einfluss aufrechterhalten – auch auf die Finanzpolitik der Union.

Zu Hause plädierte Aznar zwar bislang für ein »gemeinsames Voranschreiten« in der EU, doch da im Frühjahr die spanischen Parlamentswahlen anstehen, handelt er, wenn es um Europa geht, lieber egoistisch. Letztlich profitiert vor allem Spanien in der nächsten EU-Haushaltsrunde von der aktuellen Stimmenverteilung: Aznar kann dann immer sein Veto einlegen, wenn die »nationalen Interessen« in Gefahr sind. Sein Land erhält schließlich mehr als ein Viertel der EU-Struktur- und Kohäsionsfonds sowie 15 Prozent der Agrarsubventionen.

Für die Regierungen in Berlin und Paris kommt daher der kürzlich vorgelegte Sapir-Report, der im Auftrag der EU-Kommission unter anderem die Ursachen der europäischen Wachstumskrise untersuchte, wie gerufen. Der Bericht kommt zum Schluss, dass die EU mittelfristig ihre Hilfen für die Agrar- und Regionalpolitik einstellen soll. Das könnte in Spanien und Polen den Zusammenbruch der Landwirtschaft bedeuten.

Die Nettozahler des EU-Budgets wie Deutschland und Frankreich wollen jedenfalls die ärmeren Länder der EU nicht mehr finanzieren. Insbesondere, wenn diese zum Dank auch noch »fremdgehen«.

tom kucharz, madrid