Das verfickte Hundertstel

Warum beim Langlauf eine Kommastelle fehlt

Während Leistungen in den meisten Sportarten penibel genau bis auf die Hundertstelsekunde erfasst werden, ist man im Langlauf großzügig. Dort werden die Sekundenbruchteile zwar erfasst, aber nicht extra ausgewiesen, sondern nur zum Auf- oder Abrunden der Zehntelsekunden benutzt. Hintergrund ist ein 23 Jahre zurückliegendes Rennen, dessen Ausgang viele Sportfans empörte und das den internationalen Skiverband dazu brachte, künftig im Langlauf auf die allzu genaue Zeitmessung zu verzichten.

Bei der Winterolympiade 1980 in Lake Placid entschied im Wettbewerb über 15 Kilometer eine Hundertstelsekunde über die Vergabe der Gold- und der Silbermedaille. Der Schwede Thomas Wassberg war damals einen Wimpernschlag schneller als sein finnischer Konkurrent Juha Mieto, der lange wie der sichere Sieger ausgesehen hatte. Was in Zahlen gemessen eine klare Angelegenheit war – Mieto lief 41:57.64, Wassberg eben 41:57.63 Minuten – ärgerte die Freunde des Langlaufs jedoch ganz gewaltig. Was im alpinen Slalom und bei der Abfahrt sicher erforderlich sei, dürfe beim kräftezehrenden Lauf über lange Distanzen einfach nicht sein, beschwerten sie sich. Es könne nicht angehen, dass nach fast einer Dreiviertelstunde intensiver körperlicher Anstrengung eine Hundertstelsekunde über Sieg und Niederlage entscheide.

Vielleicht sah das auch Thomas Wassberg so, sofort nach dem Lauf erklärte er jedenfalls: »Das tut mir jetzt ehrlich leid für Juha.« Die Goldmedaille nahm er aber trotzdem an. Wenig später verweigerte er jedoch die Auszeichnung einer schwedischen Tageszeitung. Irgendwie sei ihm dieser Sieg nicht richtig vorgekommen, sagte er zur Begründung.

Der Sportlehrer Mieto wurde in seiner Heimat Finnland nach dem Rennen zu einem noch stärker gefeierten Nationalhelden; immer wieder sitzt er bei den großen winterlichen Sportereignissen in der Kommentatorenkabine – was nicht jedem dort zu gefallen scheint. Die finnischen Boulevardzeitungen meldeten jedenfalls vor einiger Zeit entsetzt, dass einige Mitglieder der Band Him, inklusive dem Sänger Ville Valle, öffentlich an eine Statue des Hundertstel-Opfers gepinkelt hätten.

Dabei scheint Mieto in skandinavischen Musikerkreisen nach wie vor ein recht hohes Ansehen zu geniessen. Die erfolgreiche norwegische Punkband »Null$katte$nylterne« (»Betrügerische Nichtsteuerzahler«) benannte ihre erste CD nach dem Skilangläufer. Im Refrain des Stücks »Juha Mieto« heisst es: »Du warst unglaublich gut, geschlagen nur durch ein verficktes Hundertstel.«

elke wittich