Die Unermüdlichen

Neues Jahr, neue Aktionen. Die Streiks der Studierenden gehen weiter, und die Zusammenarbeit mit anderen vom Sozialabbau Betroffenen wird immer enger. von johannes radke

So viel Flexibilität haben die Polizisten von den etwa 250 Studierenden vor der SPD-Zentrale in Berlin nicht erwartet. Plötzlich stellen sie eine große Leiter an den Balkon des Gebäudes. Innerhalb kurzer Zeit klettern unter den erstaunten Blicken der Polizei rund 50 Studierende in das Gebäude, um die 60 Besetzer zu unterstützen, die sich schon seit einer halben Stunde dort aufhalten. Die Beamten sind ratlos, die Demonstranten jubeln. Auf dem Dach wird unterdessen eine schwarze Fahne mit der Aufschrift »Besetzt« gehisst.

Später wird das Willy-Brandt-Haus geräumt, die SPD weigert sich, mit den Besetzern zu verhandeln. Dennoch sprechen die Studierenden von einem vollen Erfolg der Aktion: »Hiermit haben wir deutlich gemacht, dass der Protest auch 2004 nicht abreißen, sondern sich weiter verstärken wird«, sagt der Politikstudent Christian Malzke.

Vorausgegangen waren die Vollversammlungen an der Freien Universität (FU) und der Technischen Universität (TU). Mit großer Mehrheit beschlossen die Studierenden an beiden Hochschulen die Fortsetzung des Streiks. »Bei der letzten Vollversammlung vor Weihnachten waren wir nur 1 000 Leute. Heute sind wir schon 4 000, und es werden immer mehr«, freut sich Lena Pfeiffer, eine 22jährige Studentin der Ethnologie, bevor sie wieder in der Menge verschwindet. Von Desinteresse oder Müdigkeit im neuen Jahr ist hier nichts zu spüren. Am vergangenen Freitag wurden der Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) und Christian Gaebler (SPD) auf einer Kuratoriumssitzung der TU, zu der die beiden eingeladen worden waren, mit Sahnetorten beworfen.

Eine Initiative an der HU kündigte sogar einen Hungerstreik an, um damit »auf höchst eindrucksvolle Weise« zu demonstrieren, wie ernst es ihnen mit dem Protest ist.

Dabei sah es zu Beginn des neuen Jahres für die studentische Protestbewegung nicht sehr gut aus. Als erste Berliner Hochschule brach die Humboldt-Universität (HU) am 5. Januar auf Beschluss einer Vollversammlung von rund 4 000 Studierenden den Streik vorerst ab. Es war ein spannendes Rennen zwischen Befürwortern und Gegnern des Streiks. Da das per Augenmaß ermittelte Ergebnis der Abstimmung manchen nicht eindeutig erschien, forderten sie die Auszählung aller Stimmen. In einem so genannten Hammelsprungverfahren mussten sich mehrere tausend Menschen wahlweise durch die »Ja«- oder »Nein«-Tür des Audimax zwängen. Am Ende wurden 1 980 Stimmen für den Abbruch des Streiks in seiner bisherigen Form, 1 800 für seine Fortführung gezählt.

In den vorangegangenen Redebeiträgen hatte sich vor allem eine Sprecherin des so genannten Kompromissforums hervorgetan, die für einen Protesttag pro Woche anstatt des Streiks plädierte. Später deckte die taz auf, dass es sich bei der engagierten Streikgegnerin, die sich den taz-Reportern als Astrid Schneider vorgestellt hatte, in Wahrheit um Astrid Jantz, die stellvertretende Ortsvorsitzende der CDU Hohenschönhausen, handelte.

Die Befürworter des Streiks zeigten sich zwar enttäuscht, dachten aber gar nicht daran aufzugeben. Nach fünf zähen Stunden der Diskussion und drei weiteren Hammelsprüngen einigte man sich schließlich auf vier Protesttage pro Woche, vorerst bis zum 29. Januar.

Dennoch sahen viele Studierende schon das Ende der Proteste nahen. »Ich denke, dass die Abstimmung an der HU ein Signal für die anderen Unis gesetzt hat. Wenn dort auch gegen den Streik gestimmt wird, ist alles umsonst gewesen«, sagte eine Studentin der Politikwissenschaft. Andere besetzten trotz des ernüchternden Ergebnisses der Vollversammlung direkt im Anschluss das Büro Jürgen Mlyneks, des Präsidenten der HU. In einer Erklärung forderten die rund 20 Besetzer ihn auf, »Platz für eine wirkliche Demokratisierung der Humboldt-Universität« zu machen.

Wie auch der Präsident der FU, Dieter Lenzen, war Mlynek wohl davon ausgegangen, dass die widerspenstigen Studierenden über Weihnachten zur Ruhe kommen und die Proteste im neuen Jahr ein Ende finden würden. Mlynek und Lenzen hatten den Streik anfangs ausdrücklich unterstützt, unterschrieben jedoch in den Winterferien klammheimlich die umstrittenen Hochschulverträge.

Für das Jahr 2004 haben sich die Studierenden aber offensichtlich noch mehr vorgenommen, als nur gegen den Bildungsabbau zu protestieren. Zu Beginn des Streiks übten verschiedene linke Unigruppen scharfe Kritik an seinen Zielen. In einer Veröffentlichung des Sozialreferats der FU mussten sich die Streikenden fragen lassen: »Bezieht ihr euch in dem Protest vielleicht doch auf euer Eigeninteresse, welches ein schönes Studium und ein angenehmes Leben drum herum einschließt?«

Dass diese Frage von vielen jetzt verneint wird, zeigt die wachsende Anzahl von sozialen Initiativen, die in letzter Zeit aus dem Umfeld des Streiks hervorgegangen sind. Eine so genannte Haus-AG fordert die Schaffung eines Sozialen Zentrums für Berlin, der Trägerkreis »Recht auf Mobilität – Fahrt schwarz« protestiert gegen die Abschaffung des Sozialtickets und die Fahrpreiserhöhungen der BVG. Auch die Initiative Berliner Bankenskandal hat seit dem Beginn der Proteste regen Zulauf von studentischen Gruppen erhalten. Und die Vernetzung der Streik-AGs mit anderen Betroffenen des Sozialabbaus schreitet voran.

Bei der Besetzung der SPD-Zentrale wurden nicht nur die Rücknahme der Kürzungen im Bildungsbereich, sondern auch behindertengerechte U- und S-Bahnhöfe in ganz Berlin gefordert. In ihrer Erklärung wiesen die Besetzer darauf hin, dass es sich bei ihnen um einen »Zusammenschluss studierender und nicht studierender Menschen mit und ohne Behinderungen« handelt. Ein Publizistikstudent, der die Besetzer des Willy-Brandt-Hauses unterstützt, hält diese Entwicklung in der Streikbewegung für sehr wichtig: »Wir müssen uns endlich mit anderen Bevölkerungsschichten, die genau wie wir von den Kürzungen betroffen sind, zusammenschließen. Wenn wir nur gegen die Sparmaßnahmen an den Unis protestieren, ist das zu kurz gedacht.«

Die Berliner gehen mit gutem Beispiel voran, doch auch in vielen anderen Städten sind die Proteste der Studierenden keinesfalls eingeschlafen. In Leipzig schafften es am vergangenen Donnerstag mehrere hundert Studierende, den Bundeskanzler persönlich zu einem Umzug zu zwingen. Während einer Demonstration gegen Bildungsabbau mit etwa 6 000 Teilnehmern besetzten die Demonstranten spontan das Hochhaus, in dem Gerhard Schröder eigentlich das Bewerbungsschreiben für die Olympischen Spiele unterzeichnen sollte. Die Konferenz musste in ein Hotel in der Nähe verlegt werden, welches kurz darauf ebenfalls von Studierenden belagert wurde.

Eine Szene wie die in Leipzig könnte sich am 15. Januar in Berlin wiederholen. Dann soll mit einer großen Aktion die vorverlegte erste Lesung des Doppelhaushalts zu den geplanten Kürzungen im Berliner Abgeordnetenhaus gestört werden. Ein Bündnis aus studentischen und sozialen Gruppen hat dazu aufgerufen, in die Bannmeile vorzudringen und den preußischen Landtag zu blockieren.