Wehret den Thoren!

Deutscher Romancier zu Eichborn ohne Bewährung verurteilt

Die Freiheit der Kunst erschöpft sich darin, Kunst zu sein. Da es etwas anderes nicht gibt noch geben kann, verengt sich die Freiheit also wieder auf eine Notwendigkeit. Sie der Öffentlichkeit einzuprägen, mag eine ehrenvolle Mühe sein, die man sich bei der neueren deutschen Literatur allerdings sparen kann, denn diese ist alles Mögliche, Aufsehen erregend, informativ, erotisch, geradezu sexy, politisch, ja hochpolitisch, biografisch, unterhaltsam und tief schürfend, eines aber, jedenfalls soweit ich sie kenne, bestimmt nicht: Kunst.

Sie soll bestehen, aber dafür, dass sie besteht, hat sie schon selbst zu sorgen. Und besteht sie nicht – so what. Dem Schriftsteller Thor Kunkel mag ein Tort angetan worden sein, als sein neuester Roman (er benutzt »Pornografie als poetische Metapher« für Nazideutschland) von einem zweit- in einen drittklassigen Verlag verdammt wurde. Der Kunst ist in diesem Fall kein Tort angetan. Denn Sätze wie dieser: »Über zweieinhalb Millionen halbsteifer und stets steifer werdender Schniedel bewegten sich in diesen letzten Wochen wie der Pfeilregen eines tollwütigen Amors auf die Reichshauptstadt zu«, sind keine Kunst, sondern Kunkel. Kein Stürmer-, nö, Stern- oder Spiegel-Stil, berechnet auf die Bedürfnisse des brünftigen Spießers.

Damit lässt sich viel Geld verdienen, Kunkels Verleger, Alexander Fest, wollte es lieber nicht. Aber nicht etwa, weil ihn Geschmack angewandelt hätte. Denn seinen ehemaligen Autor hält er weiterhin für »sprachlich begabt«, ja »ästhetisch und literarisch« für glänzend, und noch in seinem Abschiedsbrief wagt er es, ihn mit Nabokov zu vergleichen. Fest stört allein der »Amoralismus« Kunkels, sein revisionistisches Gebaren, als ob es moralischer gewesen wäre, wenn zweieinhalb Millionen halbsteifer und stets steifer werdender Schniedel sich wie der Pfeilregen eines tollwütigen Amors auf Moskau zubewegt hätten.

Da Kunkel sein Geschmier mit der politischen Aussage veredelt, das »Dritte Reich« sei mehr »als Stalingrad und Auschwitz«, nämlich etwas ganz anderes gewesen, »Verführung«, »Verblendung« und Ficken im Sachsenwald, wird für es in der FAZ und anderswo die Freiheit der Kunst geltend gemacht. Wer einen scheußlichen Roman geschrieben hat, braucht also von nun an nur noch darauf zu beharren: »Ich habe streng tabuisierte rechtsradikale Ansichten, deshalb will ich bei Suhrkamp oder Rowohlt erscheinen (und nicht etwa bei Bastei-Lübbe oder Eichborn)! Alles andere wäre Zensur!« Hoffen wir, dass nicht alle rechtsradikal sind, die sich so die Hilfe des Feuilletons erwerben wollen, sondern einige bloß für ihre unehelichen Kinder zu sorgen haben. Als Faustregel kann gelten, dass der Skribent, der den Skandal herbeischrieb, nur halb so schlimm ist wie der, der jenem zu Hilfe eilt.

»Woher die Hitze heißer Nadeln?« empört sich der viel gerühmte Verbalakrobat und Bachmann-Preisträger Michael Lentz über die Kunkelkritiker: »Manche Richtsprüche scheinen nicht nur mit heißer Nadel gestrickt zu sein. Welcher Art ist das suggerierte kulturelle Unbehagen, das die öffentliche Diskussion befällt, welche Angst greift hier Raum – und vor was? Kann das mal jemand sagen?« Nö. Aber dem Verbalakrobaten sei gesagt: Schuster, bleib bei deiner heißen Nadel. Denn das Unbehagen ist nicht nur suggeriert, sucker.

stefan ripplinger