Auf Patrouille

Ein französisch-norwegisches Ehepaar beherrscht den Biathlonsport. Und macht aus ihm eine sympathisch zivile Veranstaltung. von elke wittich

Dass ein Ehepaar mit sieben Gold-, einer Silber-, und einer Bronzemedaille einen Medaillenspiegel anführt, weil es zusammen mehr erste Plätze erreicht hat als die teilnehmenden Nationen, ist schon ziemlich ungewöhnlich. Dass die Frau dabei noch mehr goldene Plaketten verbuchen kann als ihr Mann, hat es in der Geschichte gleich welcher Sportart noch nie gegeben. Es ist die Bilanz des französisch-norwegischen Paares Liv Grete und Raphael Poiree bei den gerade in Oberhof zu Ende gegangenen Biathlon-Weltmeisterschaften.

Unter ihrem Mädchennamen Skjelbreid nahm die damals 19jährige 1995 zum ersten Mal an internationalen Wettbewerben teil. Ziemlich erfolglos, aber das sollte sich rasch ändern. Bereits 1998 wurde sie bei den Olympischen Winterspielen in Nagano im Relay Dritte, nun sammelte »Liv Grete von und zu Oberhof«, wie sie in norwegischen Zeitungen genannt wird, vier Goldmedaillen.

»Ich wollte die WM für mich einfach nur vom ersten Tag an retten«, begründete sie ihre Erfolge. »Nach dem letzten Weltcup fühlte ich mich nämlich eigentlich ziemlich ausgelaugt und war gar nicht sicher, ob ich überhaupt etwas erreichen würde.«

Insgesamt hat die Mutter einer kleinen Tochter 14 Goldmedaillen, in einer Sportart, von der sich zunächst niemand so richtig vorstellen konnte, dass sie eines Tages auch von Frauen ausgeübt werden würde.

Die ersten Biathleten waren schließlich skandinavische Soldaten, die im Winter ihre Patrouillen auf Skiern liefen.

Die sportliche Kombination aus Laufen und Schießen als Sportart wird zum ersten Mal 1767 erwähnt, damals trafen sich norwegische und schwedische Militärs zu einem Wettkampf. Wie der Ort hieß, erwähnt der Chronist nicht, nur dass er »an der Grenze zwischen beiden Ländern« lag. Auch über das Ergebnis ist nichts weiter bekannt.

Großen Eindruck schien das »Skischießen«, so wird Biathlon in Skandinavien genannt, nicht gemacht zu haben. Erst im Jahr 1861 wurde der erste Biathlon-Verein gegründet, der Gewehr- und Skiclub von Trysil existiert heute nicht mehr.

1924 wurde die Sportart erstmals der zivilen Öffentlichkeit vorgeführt. Bei den ersten Olympischen Winterspielen im französischen Chamonix allerdings hieß sie noch Militärpatrouillenlauf. Sie bestach dadurch, dass die Mannschaften nicht nach ihren athletischen Fähigkeiten, sondern nach Dienstgraden ausgesucht wurden. Ein Team musste aus einem Offizier, einem Unteroffizier und zwei Mannschaftsdienstgraden bestehen, die eine Strecke von 30 Kilometern auf Skiern zu bewältigen hatten. Zwischendurch fand eine Prüfung im Liegendschießen statt, die drei besten Schützen der Mannschaft konnten insgesamt 18 Schüsse auf 250 Meter entfernt verankerte Ballons abgeben. Für jeden Treffer gab es im Ziel, das jeweils von allen vier Teammitgliedern erreicht werden musste, eine Gutschrift von 30 Sekunden.

Olympiasieger wurden damals die Schweizer, vor den Finnen und den Franzosen. Der Offizier und Militärpatrouillist Camille Mandrillon war bei der Eröffnungsveranstaltung der Spiele der erste Wintersportler, der den Olympischen Eid sprechen durfte. Dass Frauen eines Tages auch als Skiläuferinnen an offiziellen Wettbewerben teilnehmen könnten, galt damals noch als völlig ausgeschlossen. Lediglich als Eiskunstläuferinnen waren sie in Chamonix zugelassen, wobei sie jung und unverheiratet sein sollten. Die Norwegerin Sonia Henie ist bis heute die jüngste Teilnehmerin an Olympischen Spielen, die Elfjährige, später dreimalige Olympiasiegerin und neunmalige Weltmeisterin, landete allerdings nur auf dem 50. Platz.

Wie Liv Grete Poiree als 29jährige verheiratete Mutter an den Start zu gehen, wäre ganz unerhört gewesen, die skandinavischen Frauen waren es aber schon damals nicht mehr gewohnt, dass Männer über ihr Leben bestimmten. Bereits 1882 wurden die ersten Studentinnen an Universitäten zugelassen – in Deutschland durfte sich erst 1892 Maria von Linden nur dank massiver Protektion ihres Großonkels, eines ehemaligen württembergischen Staatsministers, als erste Studentin an der Universität Tübingen einschreiben. 1903 habilitierte die erste norwegische Professorin, 1913 führte Norwegen nach einer sechsjährigen Einschränkung nach Neuseeland und Finnland als drittes Land das allgemeine Frauenwahlrecht ein. Australien wird dabei nicht mitgezählt, da das dort 1908 erlassene Gesetz nur weißen Wählerinnen erlaubte, ihre Stimmen abzugeben. 1981 wurde in Norwegen das weltweit erste Gleichstellungsgesetz erlassen, dessen Einhaltung von einem Ombudsmann überwacht wird. Öffentliche Ausschüsse und Institutionen müssen demnach wenigstens zu 40 Prozent mit Frauen besetzt sein.

Was aber vielleicht für Liv Grete Poiree und andere junge Sportlerinnen viel wichtiger war: Es gab immer erfolreiche Athletinnen, die ihre Erfahrungen weitergaben. Die seit mehr als zwei Jahrzehnten bestehende Frauen-Fußballnationalmannschaft ist grundsätzlich wesentlich erfolgreicher als die männliche, die sich nicht für die Teilnahme an der Europameisterschaft im Sommer in Portugal qualifizieren konnte. Und das Frauenteam erreicht Einschaltquoten, von denen die Kickerinnen in Deutschland nur träumen können. Die Speerwerferin Trine Hattestad wurde zu einer gefeierten Weltrekordlerin. Norwegischen Sportjournalisten wäre es dabei nicht einmal im Traum eingefallen, die hierzulande durchaus gängigen Bemerkungen über unweibliche Muskeln oder Körperformen zu machen. Zuvor hatte Grete Waitz neun Mal hintereinander den renommierten New-York-Marathon gewonnen, seit dem Ende der aktiven Karriere ist sie damit beschäftigt, Frauen-Läufe zu organisieren.

Liv Grete Poiree hat von all diesen Frauen profitiert und muss daher kein Wort darüber verlieren, dass sie in einer ursprünglich als Männerbeschäftigung konzipierten Sportart erfolgreich ist. Schließlich hat der norwegische Skiskytter-Verband vor vier Jahren ein eigenes Programm für die Förderung des weiblichen Nachwuchses initiiert.

Die erfolgreichste Biathletin der Welt mag aber sowieso nicht gern reden. Wenn sie nicht Rennanalysen oder Siegerinterviews liefert, spricht sie kaum über ihren Sport. Das sei auch nicht nötig, findet sie: »Eigentlich fahre ich nur deswegen Ski, weil es mir so viel Spaß macht. Ans Geld denke ich dabei nie.«

Das einzige Problem, das Liv Grete und Raphael Poiree derzeit zu haben scheinen, ist kulinarischer Natur. Das Ehepaar wohnt teils in Frankreich, teils in Norwegen. Anläßlich einer Homestory fürs norwegische Fernsehen präsentierte sich Raphael Poiree in der nordischen Holzvilla als typisch skandinavischer Ehemann, der alle im Haushalt anfallenden Arbeiten erledigt und auch mit dem Windelnwechseln kein Problem hat, aber doch unter einer Sache sehr leidet: Er vermisse das französische Nahrungsmittelangebot, gestand er, und von Wein hätten die Norweger zudem erwiesenermaßen kaum Ahnung.