Rote Pleite-Karte

Vielleicht muss sich bald niemand mehr vor italienischen Fußballvereinen in einem europäischen Wettbewerb fürchten. Ihnen droht nämlich wegen massiver Bilanzfälschungen bald das kollektive Aus. von martin schwarz

Der ehemalige Staubsaugervertreter, gegenwärtige italienische Premier und Anti-Falten-Spezialist Silvio Berlusconi muss in den letzten Wochen immer öfter die italienische Wirtschaft vor den Finsterlingen der Staatsgewalt in Schutz nehmen. Schon bei der famosen Pleite des Milchriesen Parmalat grübelte Berlusconi darüber nach, ob die Kontrollen der italienischen Finanzbehörden dem Wirtschaftsstandort Italien nicht eher schaden als nützen.

Vor wenigen Tagen wiederum kam Berlusconi nicht umhin, abermals staatsphilosophische Gedanken im Stil eines sowjetischen Dissidenten zu wälzen. »Italien droht zum Polizeistaat zu werden«, meinte der Mann, dessen Polizei schon beim G8-Gipfel vor drei Jahren durch die Erschießung eines Demonstranten zu internationaler Berühmtheit gelangte. Diesmal aber sind es nicht mehr Globalisierungskritiker, die Italiens Exekutive fordern, sondern die besten Fußballvereine der Nation.

In ganz Italien haben Finanzbehörden, Polizei und Staatsanwaltschaften vor zwei Wochen Razzien bei den 42 besten Fußballklubs durchgeführt und rund zwei Tonnen Dokumente beschlagnahmt. Die Vorwürfe lauten auf Bilanzfälschung, Steuerhinterziehung und gar Unterschlagung. Berlusconis Analyse, Italien könnte zum Polizeistaat werden, rührt übrigens nicht nur von der lupenreinen Bilanz des Premiers, die Bürger vor der Willkür des Staates zu schützen, sondern – aber dies ist nur eine böse Behauptung – möglicherweise auch dem Umstand, dass Silvio Berlusconi nicht alleine Chef der italienischen Regierung ist, sondern auch Präsident des Fußballklubs AC Mailand, bei dem die Herren und Damen vom Finanzamt ebenfalls einiges an Dokumenten haben mitgehen lassen. Offensichtlich nämlich haben die Erst- und Zweitligisten des Landes seit Jahren massiv ihre Bilanzen geschönt – »finanza creativa« nennt man das in Italien: kreative Buchhaltung.

Einer der beliebtesten Tricks ist es, die Ware Mensch überzubewerten. Drittklassige Spieler werden in den Bilanzen mit hohem Ablösewert geführt, was die Liquidität des Vereines verbessert. In Italien heißt das mittlerweile »Prinzip Parmalat«: Um den schon längst fälligen Konkurs zu verhindern, werden Vermögenswerte in den Büchern festgehalten, die einfach keine Vermögenswerte sind. Der Torhüter Gabriele Paoletti von AS Rom etwa ist so ein Fall. Der Mann bedeutet für seine Mannschaft ein derartiges Qualitätshemmnis, dass er nicht einmal mit seinen Kollegen trainieren darf und lieber an irgendwelche Drittligisten in der Provinz ausgeliehen wird. Aber Gabriele Paoletti hat laut den Büchern seines Vereins einen Ablösewert von rund 22 Millionen Euro. Dem AS Rom könnte das zum Verhängnis werden.

Selbst Paoletti weiß, dass er die 22 Millionen Euro vielleicht nicht einmal dann wert ist, wenn ein Verein, der ihn kauft, gratis noch die Sixtinische Kapelle und das Papamobil dazu kriegt: »Ich bin wohl das Paradebeispiel dieser Bilanzkosmetik«, sagt der Mann, dessen Ablösewert fast so hoch ist wie der des italienischen Nationaltorwarts Gianluigi Buffon.

Der AS Rom hat laut einer Pressemitteilung 48,5 Millionen Euro Schulden, wenn sich nun noch mehr Paolettis in den Bilanzen finden, wäre der Konkurs vielleicht unvermeidlich. Dazu kommen die Enthüllungen für den Verein in einem denkbar ungünstigen Augenblick: Gerade verhandelte man über einen Verkauf des Klubs an den russischen Oligarchen Roman Abramovich. Der aber hat nun den Kauf abgesagt, denn wo einmal die Staatsanwaltschaft ermittelt, werden die Verkaufsargumente rar.

Insgesamt drückt die 18 Erstligisten Italiens eine Schuldenlast von 413 Millionen Euro, diese Summe könnte sich in den nächsten Monaten vervielfachen: Die Finanzbehörden vermuten bei den Klubs systematische Steuerhinterziehung, durchgeführt über mehrere Jahre. Wenn die Menschen vom Finanzamt nun Nachzahlungen fordern, könnten die Vereine beim Staat mit einer Milliardensumme in der Kreide stehen. Dabei hat Silvio Berlusconi erst vor kurzem mit einem »Schuldendehngesetz« dafür gesorgt, dass die Fußballvereine ihre Schulden innerhalb von zehn Jahren abzahlen müssen. Das war dringend notwendig: Hätte Berlusconi nicht die rettenden Idee gehabt, hätten die Vereine noch vor Beginn der Meisterschaft irgendwie an Geld kommen müssen, um auch ihre Lizenz nicht zu verlieren, denn die ist an eine gewisse finanzielle Sicherheit gekoppelt.

Gegen das Berlusconi-Gesetz laufen übrigens die Wettbewerbshüter der EU Sturm, die die Idee gegenüber anderen europäischen Erstligisten für unfair halten. EU-Kommisar Mario Monti sagt: »Es besteht der konkrete Verdacht, dass das Gesetz de facto eine Staatshilfe für die Clubs ist.« Für Berlusconi selbst hat das Gesetz übrigens auch positive Auswirkungen: Die aktuelle Schuldenlast seines Klubs AC Milan fiel dadurch von 250 Millionen Euro auf gerade einmal 25 Millionen.

Ärger dagegen hat sich der fußballbesorgte Premier beim Koalitionspartner eingehandelt. Gianfranco Fini, Vizepremier und Chef der Patriotencombo »Alleanza Nazionale«, meinte im staatlichen Fernsehen RAI, dass die Ermittlungen der Polizei sicherlich gerechtfertigt gewesen seien: »Der italienische Fußball ist krank und massive Kontrollen des finanziellen Status der Vereine müssen sein«. Gleichzeitig, so analysierte Fini in Widerspruch zu Berlusconi, seien diese Kontrollen auch ein Schutz für die ehrlichen Klubs. »Wer nichts zu verbergen hat, braucht Polizeikontrollen nicht zu fürchten.«

Fragt sich, wer in der Serie A ehrlich und damit zu schützen wäre. Die Durchsuchungen bei sämtlichen Vereinen der zwei höchsten Ligen legen eher den Schluss nahe, dass alle Klubs in diese Machenschaften verwickelt sind, denn ohne starke Indizien würde die italienische Justiz trotz der Gegnerschaft nicht ganz einflussloser Personen wie Silvio Berlusconi wohl kaum Durchsuchungen und Beschlagnahmungen durchführen. Liga-Präsident Adriano Galliani bleibt da nur noch das Heucheln: »Unser Image hat Schaden genommen. Hoffentlich bringen die Ermittlungen wenigstens Klarheit.«

Bloß hat Galliani ein Problem: Wenn nämlich die Ermittlungen Klarheit bringen, steht zu befürchten, dass er bald ohne Liga da steht. Da kann eigentlich nur noch Dissident Berlusconi helfen.