Immer forscher

Nach dem Rücktritt von über 2000 französischen Institutsdirektoren versuchen unterschiedliche soziale Gruppen, ihre Protestpotenziale zusammenzuführen. von bernhard schmid, paris

Was sollte ich gegen Intellektuelle haben? Ich habe doch Intellektuelle in meinem Freundeskreis.« Ungefähr so klang am Dienstag voriger Woche der Versuch des französischen Premierministers Jean-Pierre Raffarin, sich gegen den Vorwurf zu wehren, eine tiefe Intellektuellenfeindlichkeit zu kultivieren.

Seine »intellektuellen Freunde« sind aber vor allem diejenigen, die nichts gegen seine Politik haben. Als Beispiele zitierte er den ehemals linken Soziologen Edgar Morin, den »antitotalitären«, vor allem antikommunistischen Philosophen Alain Finkielkraut und Luc Ferry, der sich selbst für einen Philosophen hält und Bildungsminister in Raffarins Kabinett ist.

Raffarin konnte jedoch den Eindruck nicht wegwischen, die Regierung habe es sich mit den Arbeitslosen, Krankenschwestern und Eisenbahnern und jetzt auch noch mit den Intellektuellen verdorben. Und zwar nicht nur mit den »üblichen Verdächtigen« – also links stehenden gesellschaftswissenschaftlichen Denkern –, sondern auch mit Naturwissenschaftlern und renommierten Forschern.

Letztere entschlossen sich am vergangenen Dienstag zu einem spektakulären Schritt, um gegen die öffentliche Sparpolitik der Raffarin-Regierung zu protestieren. Über 2 000 Direktoren wissenschaftlicher Forschungseinrichtungen, von denen es landesweit knapp 3 500 gibt, kündigten ihren Rücktritt von allen Leitungsämtern und administrativen Funktionen an. Damit würde in über zwei Dritteln der Forschungsinstitutionen der Verwaltungsbetrieb ruhen, es würden keine Unterschriften für Aufträge oder dringende Anschaffungen geleistet, keine Auswertungsbögen unterzeichnet und keine Mitarbeiter neu eingestellt.

Koordiniert wird der Protest durch das Kollektiv »Retten wir die Forschung«, das von dem Biologen Alain Trautmann initiiert wurde. Der zu Anfang des Jahres veröffentlichte gleichnamige Appell wurde inzwischen schon von 65 000 Menschen unterzeichnet.

Die neokonservative Raffarin-Regierung macht kein Geheimnis daraus, dass sie die öffentlichen Forschungsausgaben reduzieren und dabei gleichzeitig die anwendungsorientierte wissenschaftlich-technische Forschung bei privaten Unternehmen und Konzernen fördern möchte. Zu letzterem Zweck wurden im Haushaltsgesetz für das laufende Jahr Kredite an Privatunternehmen bereit gestellt. Gleichzeitig will die Regierung im öffentlichen Bereich unbefristete in befristete Arbeitsverträge umwandeln und damit die Prekarität der Beschäftigten erhöhen.

So wurden in den letzten Monaten 550 dauerhafte Forschungsstellen abgebaut und in Zeitverträge umgewandelt. Man kann sich ausmalen, welche Auswirkungen das auf die Betreffenden hat, wenn sie nach einem acht oder zehn Jahre langen Studium mit Promotion nur noch auf Ein- oder Dreijahresverträge hoffen können. Eine halbwegs materiell gesicherte Lebensplanung können sie abschreiben. Deswegen ist auch die Mobilisierung unter den derzeitigen jungen Doktoranden, die in den naturwissenschaftlichen Labors arbeiten – oft für Stipendien von 1 000 Euro im Monat – besonders stark. Sie gingen am Freitag vergangener Woche in Paris in größerer Zahl zusammen mit demonstrierenden Lehrern auf die Straße, anlässlich eines Warnstreiks gegen den Abbau von Lehrerstellen. Denn im kommenden Herbst sollen weniger als zwei Drittel der 18 000 pensionsbedingten Abgänge von Lehrern durch Neueinstellungen kompensiert werden.

Stattliche 82 Prozent der befragten Franzosen und Französinnen erklärten ihre Sympathie für die protestierenden Forscher. In deren Reihen kommen unterdessen auch unterschiedliche Positionen und Interessen zum Ausdruck. So sind nicht alle der fest etablierten Forscher gleichzeitig auch bereit, den Platz der Forschung in der Gesellschaft und die Funktionsweise ihrer Institutionen in Frage zu stellen. Einer der Köpfe des Protests, der Genforscher Axel Kahn, ist dafür bekannt, dass er die Schwäche Europas auf zivilem wie militärischem Gebiet beklagt. Wenn er ein besseres Funktionieren der Forschung einfordert, dann vor allem auch, um den Abstand zu den USA zu verkleinern.

Dagegen sind an der Basis, unter den zahlreichen weniger prominenten Forschern und vor allem unter den Studierenden und jungen Doktoranden, auch viel gesellschaftskritischere Töne zu hören. Dabei mischt sich der Protest auch immer stärker mit dem anderer sozialer Gruppen.

Beispielsweise veröffentlichte die linksalternative Kulturzeitschrift Les Inrockuptibles Mitte Februar einen »Aufruf wider den Krieg gegen die Intelligenz«, der noch vor seiner Publikation 8 000 Unterschriften erhielt. Der Titel mag elitär und übertrieben klingen. Doch der Aufruftext selbst geht nicht in diese Richtung, sondern er versucht, unterschiedliche soziale Protestpotenziale zusammenzuführen, über das akademische Proletariat hinaus: »Nichts steht einer Universität ohne Finanzierung näher als ein Labor, das nicht funktionieren kann, nichts steht einem intermittent du spectacle (prekären Kulturschaffenden) näher als ein prekärer Doktorand, nichts steht einem Arbeitslosen, dem die Bezugsansprüche gestrichen werden, näher als ein Künstler, der von Sozialhilfe leben muss.«

Zu den wichtigsten Unterstützergruppen der Petition gehören eben jene intermittents du spectacle, deren Mobilisierung in den letzten Wochen wieder verstärkt in Schwung kam. Das liegt einerseits daran, dass die prekären Kulturschaffenden vor wenigen Wochen einen Alternativvorschlag zur Finanzierung ihrer spezifischen Sozialversicherung vorlegten, um deren Krise nicht auf dem Rücken der prekär Beschäftigten zu lösen. Der Vorschlag wurde von der Regierung und den »Sozialpartnern« abgeschmettert, erlaubte aber eine erneute Mobilisierung der betroffenen Kulturschaffenden. Hinzu kommt andererseits, dass auch die Erwerbslosen, die ebenfalls von der Krise der Sozialkassen betroffen sind, verstärkt protestieren. 265 000 von ihnen verloren zu Jahresanfang, durch eine Neuberechnung der Ansprüche, ihre Unterstützung von einem Tag zum anderen.

Auch auf der Straße mischen sich die unterschiedlichen Protestpotenziale. Eine erfolgreiche Initiative stammt von der alternativen Rockgruppe Les têtes raides (»Die Steifköpfe«). Diese lancierte die Idee für ein stark verbilligtes Konzert mit mehreren Bands, bei dem die unterschiedlichen Protestgruppen mit Einlagen und Redebeiträgen zu Wort kommen sollen. Jedem solchen Konzert soll eine Demo vorausgehen. Unter dem Titel Avis de K.O. social – also »Warnung vor dem sozialen K.O.«, vom Klang des französischen Wortes her aber auch »soziale Chaoswarnung« – konnte die Initiative einen der größten Pariser Konzertsäale, Le Zénith, am 1. März mühelos füllen. Tausende mussten das restlos ausverkaufte Konzert im Freien auf Leinwänden verfolgen. Daran nahmen Rechtshilfegruppen für Immigranten, intermittents du spectacle, einige Forscher und andere Protestler teil. Die »soziale Chaoswarnung« geht jetzt durch ganz Frankreich auf Tour.