Squatters’ Paradise

Hausbesetzungen gehörten beim Kongress »Autoorganisation 04« zum Programm. Damit wurde symbolisch gegen die »Berliner Linie« protestiert. von johannes radke

Im Hof spielen zwei Kinder Fußball, ein Hund schleicht an den Bauwagen entlang. Ein handgeschriebener Zettel mit der Aufschrift »Infopoint« weist den Weg in den großen Konzertsaal und lässt erahnen, dass man sich nahe der Zentrale einer einwöchigen Großveranstaltung befindet. Während im Holzofen das Feuer brennt, tummeln sich einige verschlafene Aktivisten um das vegane Frühstücksbuffet, am Infotisch daneben holen sich andere schon die neuesten Informationen über die geplanten Aktivitäten des Tages. Journalisten werden freundlich an das ständig besetzte Infomobil verwiesen.

Autoorganisation 04, das hat nichts mit Autos zu tun, sondern eher mit Bauwagen. Unter diesem Titel hatten Berliner Gruppen und Kollektive zu einer einwöchigen »Kongress- und Aktionswoche selbst organisierter Strukturen« geladen, die am vergangenen Sonntag zu Ende ging.

Nicht nur in Deutschland sind zahlreiche selbst organisierte Strukturen in Form von Wagenplätzen, besetzten Häusern, Kneipenkollektiven, Kommunen oder autonomen Jugendzentren in ihrer Existenz bedroht oder bereits geräumt worden. Die Wagenburg Bambule in Hamburg, das alternative Zentrum in Lübeck oder die Alte Meierei in Kiel sind nur einige Beispiele dafür. Dazu kommen etliche Projekte, die nicht an Räumungsklagen von Haus- und Grundstücksbesitzern, sondern an internen Konflikten scheitern.

Rund 500 Menschen trafen sich in Berlin, um eine Woche lang Arbeitsgruppen, Workshops und Lesungen zu besuchen und natürlich an Aktionen teilzunehmen. Ziel sollte es sein, sich über die verschiedenen Hindernisse, Konflikte und Widersprüche innerhalb selbst organisierter Wohn- und Kulturprojekte auszutauschen sowie Lösungsansätze und Perspektiven zu diskutieren. Autoorganisation 04 sollte zeigen, dass es auch anders geht.

Obwohl der Kongress offiziell erst am Sonntagabend eröffnet wurde, betrachten die Organisatoren schon Samstag, den 3. April, als Start. Während der Berliner Demonstration gegen Sozialabbau, zu der auch Autoorganisation 04 aufgerufen hatte, wurde in der Oranienburger Straße in Mitte kurzzeitig ein leer stehendes Gebäude besetzt, um der Forderung nach einem Sozialen Zentrum Nachdruck zu verleihen. Indes rief auf der Webseite des Kongresses ein BesetzerInnenkomitee dazu auf, im Laufe der Aktionswoche weitere Häuser zu besetzen. Passend dazu gibt es unter http://squat.net/~leerstand/ detaillierte Informationen über leer stehende Gebäude in Berlin. Als »Kongresszentrum« mit täglicher Vollversammlung und Infowagen diente selbstverständlich die Köpi, das letzte besetzte Haus Berlins in der Köpenicker Straße 137 in Mitte.

Die Liste der Veranstaltungen war lang, die Themen waren vielfältig. So gab es neben Infoveranstaltungen über die Arbeit der Roten Hilfe und die Vorbereitungen zur Demo am 1. Mai auch Vorträge über die Situation in Argentinien, zur Kritik am Berliner Unistreik und einen Jonglierkurs. Großer Andrang herrschte beim Workshop »Politisch bleiben über 30«. Aber nicht alle Veranstaltungen waren derart gut besucht. Zu einer Lesung des Altautonomen Bernd Langer aus seinem Buch »Operation 1653« am Dienstag erschienen gerade mal 20 Zuhörer. »Teilweise fehlt mir bei dem Kongress irgendwie eine echte Perspektive. Die meisten Veranstaltungen sind zwar ziemlich interessant, aber so neu sind die Inhalte ja auch nicht«, findet Sven Kerner*, der aus Bremen anreiste.

Der aktionistischere Teil des Kongresses begann am Mittwoch mit einer Reclaim-the Streets-Party. Pünktlich um 17 Uhr treffen sich rund 80 junge Menschen am U-Bahnhof Frankfurter Allee in Friedrichshain. Kurze Zeit später bewegt sich die Gruppe auf die Straße, um sie auf allen vier Spuren zu blockieren. Transparente mit Aufschriften wie »Die Straße gehört uns allen« oder »Kein Mensch ist illegal« werden den hupenden Autofahrern entgegengehalten. Doch auch die Polizei scheint gut vorbereitet zu sein. Innerhalb von zwei Minuten sind mehrere Mannschaftswagen vor Ort und treiben die Flüchtenden die Straße hinunter. Der nächste Treffpunkt ist in Kreuzberg. Erst nach einer dreistündigen Verfolgungsjagd und zwei weiteren Straßenblockaden hat die Polizei wieder alles unter Kontrolle.

Am Donnerstagvormittag passiert dann endlich das, worauf schon viele gewartet haben: die erste von mehreren Hausbesetzungen in dieser Woche. Ein alter Schlachthof an der Bezirksgrenze zwischen Friedrichshain und Prenzlauer Berg wird besetzt und soll, so die Forderung der neuen Bewohner, zu einer soziokulturellen Begegnungsstätte umfunktioniert werden. Die Polizei ist wieder schnell vor Ort. Per Handy rufen die Besetzer weitere Menschen zur Unterstützung herbei. Schon wenig später kommen aus allen Richtungen kleine Gruppen schwarz gekleideter Aktivisten. Unauffällig angezogene Fahrradfahrer in der näheren Umgebung geben Neuankömmlingen Tipps, wie man noch zum Gelände vordringen kann, obwohl die Polizei schon ein paar Straßen gesperrt hat. Sogar der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele findet sich beim Schlachthof ein und bietet an, zwischen den Besetzern und dem Einsatzleiter zu vermitteln. Die Polizei handelt trotzdem getreu der so genannten Berliner Linie, nach der keine Neubesetzungen geduldet werden. Schon wenige Stunden nach der Besetzung wird das Gelände von einem großen Polizeiaufgebot geräumt.

Martin Schmitt*, der den Kongress mitorganisiert hat, hält solche Aktionen trotz der kurzen Dauer für richtig: »Auch wenn ein Haus gleich wieder geräumt wird, ist die Besetzung doch ein symbolischer Akt des Widerstandes.« Martina Müller*, die das Pressemobil vor der Köpi betreut, fügt hinzu: »Solange nichts besetzt wird, gibt es natürlich keinen Grund für die Politiker, die Berliner Linie abzuschaffen oder überhaupt zu thematisieren.« Immerhin können sich die Besetzer nicht über mangelndes Interesse der Medien beklagen. Während der Räumung sind mehrere Fernsehteams und Dutzende Fotografen auf dem Gelände.

Zwar ist nach einer Woche Kongress und trotz einiger medienwirksamer Aktionen wieder einmal deutlich geworden, dass die großen Hausbesetzerzeiten der achtziger und neunziger Jahre vorbei sind. Aber gerade die hohe Anzahl von Jugendlichen, die zum Kongress kamen, zeigt, dass es doch eine nächste Generation gibt, die die Forderung nach selbst bestimmtem Leben noch nicht aufgegeben hat. Mit Autoorganisation 04 wurden die Voraussetzungen geschaffen, um eine ganze Reihe alternativer Strukturen in Deutschland zu vernetzen. Die daraus hervorgehende Plattform ermöglicht für die Zukunft eine über den Kongress hinausgehende Zusammenarbeit der beteiligten Projekte.

Offen bleibt jedoch die Frage, ob durch die Aktionswoche tatsächlich der Druck auf die Berliner Behörden, ein soziales Zentrum zuzulassen und Wagenplätze zu dulden, erhöht wurde. Noch im April soll es zum Thema Soziales Zentrum einen großen Runden Tisch mit verschiedenen selbst organisierten Gruppen geben, zu dem unter anderen auch Innensenator Ehrhart Körting (SPD) eingeladen ist. Bis dahin wird sich an der Berliner Linie wohl nicht viel ändern.

* Namen von der Redaktion geändert