»Es kursieren schwarze Listen«

Jesús Torres Nuño

Am 16. Dezember 2001 wurde den Arbeitern und Angestellten des Euzkadi-Reifenwerkes im mexikanischen El Salto, Bundesstaat Jalisco, per Aushang mitgeteilt, das Werk sei ab sofort geschlossen und es würden fortan keine Löhne mehr gezahlt. Aus Protest gegen die aus ihrer Sicht rechtswidrigen Maßnahmen blockieren die Arbeiter seit dem 22. Januar 2002 das Werk. Derzeit befindet sich zum dritten Mal eine Delegation der Arbeiter in Deutschland, um Druck auf das Mutterhaus, die Continental AG, auszuüben. Sie besuchte auch die Hauptversammlung des Reifenkonzerns, die am 14. Mai in Hannover stattfand.

Mit Jesús Torres Nuño, dem Generalsekretär des Sindicato Nacional Revolucionario de Trabajadores de Euzkadi (SNRTE), der 24 Jahre lang in dem Werk gearbeitet hat, sprach Knut Henkel.

Mit welchem zentralen Ziel sind Sie nach Deutschland gekommen?

Unser Ziel ist es, unsere Arbeitsplätze zu erhalten. Dafür kämpfen wir seit der Schließung des Werkes vor nunmehr fast 30 Monaten. Ein weiteres Ziel unseres Protestes ist es, erkämpfte Arbeitsrechte zu verteidigen. Continental muss anerkennen, dass wir mit dem Urteil der zuständigen Stellen in Mexiko, die unseren Streik als rechtmäßig anerkannten, einen rechtlichen Anspruch auf die Zahlung der Löhne seit der Schließung der Fabrik haben.

Unser Fall ist ein klares Beispiel für die Verletzung unserer Rechte durch das mexikanische Tochterunternehmen der Continental AG. Aber wir werden diesmal von Repräsentanten des Werkes in San Luis Potosí begleitet, auch eines Tochterunternehmens der Continental AG, die ebenfalls einen Arbeitskonflikt mit dem Unternehmen führen. Und auch im Continentalwerk in Ecuador gibt es einen Arbeitskonflikt. Das zeigt, dass wir nicht allein von Geschäftspraktiken des Konzerns betroffen sind, die zentrale Arbeiterrechte verletzen.

Wie ist die aktuelle Situation zwischen der Gewerkschaft und der Continental AG?

Es gibt derzeit keine Verhandlungen zwischen dem Konzern und unserer Gewerkschaft. Das letzte Gespräch, das ich mit den Verantwortlichen des Konzerns geführt habe, war im Januar. Der Vorschlag der Continental AG, die Abfindungszahlungen um zehn Prozent zu erhöhen, wurde allerdings von unserer Generalversammlung abgelehnt. Seit diesem Tag, dem 20. Januar, hat es keinen direkten Kontakt zwischen den Gewerkschaftsrepräsentanten und der Konzernleitung mehr gegeben. Erst hier in Hannover ist es zu einem neuerlichen Kontakt gekommen, und wir müssen abwarten, ob sich daraus neue Verhandlungen ergeben.

Welche Erfahrungen haben Sie während der bisherigen Verhandlungen mit dem Konzern gemacht?

Ich denke, dass die Konzernleitung sehr zweideutig agiert. Hier in Deutschland wird behauptet, dass Continental das mexikanische Arbeitsrecht respektiert, aber die Fakten in Mexiko sehen anders aus. Ich habe den Eindruck, dass Continental nicht zu einer Verhandlungslösung bereit ist. Ziel scheint es zu sein, unsere Gewerkschaft zu beugen und zu zerstören.

Woher nehmen Sie und Ihre Kollegen die Energie für diese langwierige Auseinandersetzung mit einem mächtigen Konzern?

Aus den soliden Prinzipien unser Gewerkschaft. Sie ist längst zu einem Vorbild für andere Gewerkschaften geworden, weil sie demokratisch, kämpferisch und geradlinig ist. Und deshalb wird dieser Streik auch von vielen Organisationen und Unternehmen unterstützt. Derzeit sind es mehr als 30 Gewerkschaften und die Kooperative Pascual.

Welches sind die Ursachen für den Konflikt?

Die eigentliche Ursache ist, dass die Unternehmensleitung ein Paket von Maßnahmen durchsetzen wollte, um die Produktivität zu steigern. Dazu gehört die Verlängerung der Arbeitszeit von acht auf zwölf Stunden, die Senkung der Löhne um bis zu 50 Prozent in einigen Bereichen und die Verabschiedung einer betriebsinternen Verhaltensordnung, die empfindliche Strafen vorsah, die weit über dem lagen, was gesetzlich möglich ist. Diese Vorschläge haben wir als Gewerkschaft zurückgewiesen, worauf sich das Unternehmen entschieden hat, die Fabrik zu schließen.

Dem Mutterkonzern zufolge war die Produktivität in der Euzkadi-Fabrik sehr niedrig.

Als Continental das Werk 1998 übernahm, hatten wir eine Rekordproduktion von 4,5 Millionen Reifen. Das Werk war hoch produktiv und rentabel. Und selbst, wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte: Warum hat Continental das Werk nicht im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen geschlossen?

Welches sind die sozialen Auswirkungen von knapp 30 Monaten im Ausstand und ohne Lohn?

Die Situation ist nach wie vor ausgesprochen schwierig. Ein Beispiel: Nach wie vor wird uns die medizinische Versorgung verweigert, die Arbeitern im Ausstand normalerweise zusteht. Das ist mit den Gesetzen nicht vereinbar, und spätestens seit der Gerichtsentscheidung vom 5. Februar bzw. dem Urteil des Schiedsgerichts vom 17. Februar hätten wir wieder einen Anspruch auf medizinische Versorgung erhalten müssen. Doch das ist nicht der Fall. Zudem kursieren schwarze Listen unter den Unternehmern der Region, auf denen unsere Namen verzeichnet sind. Man verweigert ehemaligen Euzkadi-Arbeitern Anstellung.

Wie viele Arbeiter des Euzkadi-Werkes haben bisher die von Conti angebotene Abfindung akzeptiert?

Soweit ich weiß, etwa 350 Arbeiter. Es befinden sich also noch über 600 im Ausstand.

Welche Bedeutung hat der neuerliche Besuch in Europa?

Unser Ziel ist es, die Konzernleitung zu Verhandlungen zu bewegen. Unser Beispiel zeigt zudem, dass das Abkommen zwischen der EU und Mexiko allein den ökonomischen Interessen der Konzerne dient. Die berühmte Demokratieklausel, die in dem Abkommen enthalten ist, dient dazu, das Gewissen der Regierungen zu beruhigen, hat aber in der Praxis keinerlei Bedeutung. Darauf hinzuweisen, ist ein weiteres Ziel unserer Reise.

Außerdem wollen wir die Kontakte zu den Gewerkschaften in Europa verbessern. Wir haben beispielsweise Gespräche mit Gewerkschaftsvertretern von Volkswagen geführt, und die wollen nun prüfen, ob es Möglichkeiten gibt, Druck auf Continental aufzubauen, denn der Konzern ist ein wichtiger Zulieferer. VW hat einen eigenen Code of Conduct, der auch von den Zulieferern eingehalten werden muss, und über den hat sich Continental mit der Verletzung unserer Arbeitsrechte hinweggesetzt.

Welche Bedeutung hat der Fall auf internationaler Ebene?

Es ist nach wie vor möglich, dass wir unseren Kampf verlieren. Wir kämpfen gegen einen internationalen Konzern mit rund 100 Fabriken, der über erhebliche Ressourcen verfügt, aber unser Konflikt kann auch zu einem Beispiel auf internationaler Ebene werden. Er sollte es sein, denn es gibt keine Alternative, als den Widerstand zu internationalisieren.

Sind die Perspektiven mit den Urteilen der mexikanischen Gerichte derzeit nicht wesentlich besser als vor einem Jahr, als Sie ebenfalls vor der Hauptversammlung der Continental AG sprechen konnten?

Ja. Damals haben uns die Verantwortlichen praktisch als Kriminelle hingestellt, die ihre Fabrik besetzt halten und die Maschinen nicht rausrücken. Heute ist klar, dass unser Streik legal ist und wir, juristisch gesehen, Angestellte des Unternehmens sind. Wir sind nicht Ex-Arbeiter, wie Continental es versucht darzustellen, sondern Arbeiter des Konzerns.