Rap in den Barrios

HipHop ist in Kuba längst kein staatlich unterdrücktes Randphänomen mehr. Mit Rap Cubano wird sogar Kulturpolitik betrieben. von knut henkel

Frenetisch klatschen die Schüler in der ersten Reihe Beifall, als die ersten Takte von »Como fue« erklingen und El Tipo Este zum Mikrofon greift. Einige der Jugendlichen aus der ersten Reihe, die allesamt in Schuluniformen stecken, stimmen den monotonen Refrain »HipHop, HipHop« an und beginnen, sich in den Hüften zu wiegen. »Como fue« ist eines der Stücke von Obsesión, und El Tipo Este, der Sänger des kubanischen HipHop-Duos, ist in Kuba einigermaßen bekannt. Gleiches gilt für die Kollegen von Doble Filo, die heute abend in der »Preuniversitario Lenin« mit von der Partie sind.

Die beiden Rap-Acts haben sich zusammengetan und definieren sich als offenes Projekt. Rap Poets, afrokubanische Künstler, Graffiti-Sprayer und Fotografen sind willkommen, wenn sie bei der Fábrica mitmischen wollen. Entstanden ist dieses Projekt vor rund zwei Jahren, erzählt El Tipo Este alias Alexei Rodríguez. Der schlacksige Sänger mit den unter einem Tuch gebändigten Dreadlocks ist einer der Initiatoren der Fábrica. »HipHop in Kuba ist ein junges Genre. Kaum jemand hier hat eine Ahnung davon, dass der Sound eine der Ausdrucksformen der Rapper in Europa oder Amerika ist«, erklärt der sympathische Sänger. Genau daran will die Fábrica etwas ändern.

Heute ist mit Alta Demanda eine Gruppe von Grafiteros dabei, von Sprayern, die während des Konzerts ein riesiges Transparent bemalen. Zwischen den Auftritten von Doble Filo und Obsesión trägt ein junger Lyriker kubanische Rap Poetry vor. Das Konzept der Fábrica haben Rodríguez und seine Frau Mahia López gemeinsam mit Doble Filo entwickelt. Unterstützt werden die Künstler dabei von der Asociación Hermanos Saíz. Die Kulturstiftung ist formell unabhängig und als Nichtregierungsorganisation eingetragen, steht dem kommunistischen Jugendverband jedoch nahe. Rap Cubano ist ein Schwerpunktbereich der landesweit arbeitenden Organisation, die das jährlich stattfindende internationale Rap-Festival von Alamar organisiert.

Keimzelle des HipHop: eine Trabantenstadt

Das im Osten der kubanischen Hauptstadt liegende Stadtviertel ist so etwas wie das Marzahn Havannas. Durchnummerierte Plattenbauten, so weit das Auge reicht. Hier wurde in den sechziger Jahren die Arbeiterelite der Hauptstadt untergebracht und aus Alamar kamen die ersten HipHop-Bands der Insel. Kein Wunder, dass es im Amphitheater des Barrio zu den ersten improvisierten Konzerten der anfangs kleinen Community kam. SBS ist eine jener Bands der ersten Stunde. 1995 gewann sie die erste Auflage des internationalen Rap-Festivals von Havanna. Seitdem hat die Crew um den blond gefärbten MC Abel Bosmenier erfolgreich an ihrer internationalen Karriere gebastelt. Mehrere CDs sind bereits von ihnen auf dem Markt. Inzwischen sind die drei »Raperos« beim spanischen Label Vale Music unter Vertrag, und 2001 haben sie ihre erste goldene Schallplatte in Mexiko gewonnen. Dort und in Spanien kommt ihre gefällige Mischung aus Rap, House, Salsa und Soca besonders gut an. Aber auch in ihrer Heimat Kuba haben sie treue Fans, die es wenig stört, dass sich SBS auf den internationalen Markt ausgerichtet haben und eher kommerziellen Rap mit flachen Texten machen.

Doch Kubas HipHop-Szene hat noch mehr zu bieten als die geschmeidigen Jungs von SBS. Wesentlich anspruchsvoller als SBS sind die Orishas, die aus der Rap-Gruppe Amenaza hervorgingen und regelmäßig nach Kuba kommen, um dort aufzutreten. In Kuba genießen sie Kultstatus und haben mit ihren beiden Alben Meilensteine gesetzt. Auch die Orishas, die inzwischen von Frankreich aus eine Lanze für den kubanischen Rap brechen, haben letztlich in Alamar beim Festival angefangen. 1997 landete Amenaza dort auf einem der vorderen Plätze. »Wir begannen wie SBS. Wir übersetzten die Texte der US-Nummern, mischten dann die Batá (Trommel) bei und die Mischung gefiel uns«, umschreibt Yotuel Romero von den Orishas seine ersten Rap-Versuche.

So arbeiten viele der kubanischen Rap-Formationen bis heute. Nicht selten schmeißen die Raperos ihr spärliches Equipment zusammen, um zu jammen. Oft wird über Beats vom Band improvisiert und dazu mit Worten und Reimen gespielt. Doch auch die Beats sind nicht einfach zu kriegen und kosten für eine Nummer zwischen zehn und zwanzig US-Dollar. Viel Geld für kubanische Verhältnisse und von Mischern, Turntables und Samplern können die meisten Raperos ohnehin nur träumen. Mittlerweile ist das eine oder andere zwar auch auf der Insel zu haben, aber ausschließlich zu überhöhten Dollarpreisen. »Improvisation ist deshalb angesagt«, erklärt William vom Kulturzentrum »La Madriguera«. Die Raperos arbeiten in Netzwerken, leihen sich gegenseitig, was sie brauchen, und einige Raperos haben es geschafft, sich kleine Tonstudios aufzubauen. Dort entstehen die CDs, die auf der Straße oder bei den Konzerten in der Madriguera verkauft werden. William arbeitet seit zwei Jahren in dem Kulturzentrum und ist Ansprechpartner für die Raperos. Die Madriguera gehört zur Asociación Hermanos Saíz und ist für die Kulturarbeit in der kubanischen Hauptstadt zuständig. Der 32jährige William ist selbst Rapero und gelegentlich greift er auf Einladung der Raperos, die in der Madriguera auftreten, noch zum Mikro.

In dem Zentrum, das am Ende einer kleinen Stichstraße am Rande von Centro Habana liegt, steht die gesamte Technik zur Verfügung, die für Konzerte nötig ist: Mischpult, Gesangsanlage, Turntables, Computer und eine kleine Lichtanlage sind vorhanden – für kubanische Verhältnisse paradiesische Zustände. Ein Grund, weshalb das Zentrum immer gut besucht ist. Ein anderer ist, dass William und seine Kollegen auch die Musiker betreuen, und wenn möglich, Kontakte herstellen. So ist auch das Konzert der Fábrica in der »Preuniversitario Lenin« von William und den dortigen Verantwortlichen des kommunistischen Jugendverbandes (UJC) zustande gekommen.

Die Institutionalisierung des Rap Cubano

»Ein Konzert von uns in der ›Preuniversitario Lenin‹ wäre noch vor einigen Jahren kaum vorstellbar gewesen«, urteilt Alexei alias El Tipo Este. Die »Lenin« gilt als kubanische Kaderschmiede. Wer sich hier auf die Universität vorbereitet, hat einen wichtigen Schritt in Richtung Karriere im sozialistischen Kuba gemacht. Rote Röcke mit weißen Blusen tragen die meisten der jungen Mädchen von Havannas Vorzeigeinternat, blaue Hosen und weiße Hemden die Jungs, die einmal in die Fußstapfen von Fidel und Co. treten sollen. In den weit verzweigten Plattenbauten, die von sowjetischen Architekten geplant wurden, studieren etwa dreitausend Schüler. Eine kleine hässliche Stadt, dreißig Kilometer von Havanna entfernt, meint Alfredo, der auf der Bühne für die Percussion zuständig ist. Mit seiner Glatze, dem Kinnbart und den Ohrringen fällt er unter den Schülern mächtig auf. Die Zeiten haben sich gewandelt: »Rap hat längst einen festen Platz im kulturellen Betrieb auf kommunaler Ebene«, erklärt der untersetzte Percussionist. Mit dem internationalen Erfolg der Raperos hat sich auch der Stellenwert des Rap Cubano auf der Insel gewandelt. Auftrittsmöglichkeiten gibt es zuhauf, wenn auch immer noch zu wenig, um den rund 500 Acts, die es allein in Havanna geben soll, zum Auftritt zu verhelfen. Selbst im Café Cantante, das zum Teatro Nacional gehört, stehen regelmäßig Rap-Konzerte auf dem Programm. Doble Filo und Obsesión, die in ihren Texten vor den Widersprüchen der kubanischen Realität nicht Halt machen und gerade deshalb von vielen Jugendlichen der Insel geschätzt werden, sind dort schon des öfteren aufgetreten. Und auch das Mekka der kubanischen Musik, das Teatro Carlos Marx, ist keine No-Go Area mehr für den neuen Sound. Ende Mai haben Cubanito 2002 und Maxima Alerta, zwei Bands, die mit ihrer sehr kubanischen Mischung aus Rap, Dancehall und Salsa, national überaus erfolgreich sind, dort gespielt.

Die Barrieren sind gefallen, bestätigt Alexei von Obsesión während des Soundchecks auf der Bühne der Leninschule. »Gleichwohl fehlt es immer noch an Freiraum und Möglichkeiten aufzunehmen.« Rap genießt nicht eben Priorität in den Aufnahmestudios der nationalen Plattenindustrie. Nur wenige Rap-Platten wurden bisher produziert. Die erste wurde 1997 von Primera Base aufgenommen und auch Obsesión kamen Ende 2000 in den Genuss, ein offizielles Studio von innen zu sehen. Das Duo hatte ohnehin Glück, weil ihre Stücke nicht nur national, sondern auch international an den richtigen Stellen gehört wurden. Dieser Tatsache haben die beiden gleich zwei Besuche in den USA zu verdanken. Auf Einladung des Miami Light Project, das sich dem internationalen HipHop-Austausch verschrieben hat, waren sie längere Zeit in den USA. Seitdem basteln sie an einem umfassenderen HipHop-Ansatz und holen andere Künstler, wie die Grafiteros von Alta Demanda, ins Boot. Dafür gibt es auch die Unterstützung der offiziellen Kultureinrichtungen. »Grundlage dafür ist die Entscheidung der nationalen Kulturpolitiker, den Rap Cubano als eigenen Musikstil anzuerkennen«, erklärt Alexei, nach dem Mikrofon greifend, das ein Techniker im reicht. 2001 hat Kulturminister Abel Prieto das Genre gemeinsam mit dem Rock Cubano zum authentischen Musikstil der Insel erklärt. Sieben Jahre nachdem der Rap Cubano erstmals mit dem Festival in Alamar nachdrücklich auf sich aufmerksam machte.

Letra Picante als Ausschlusskriterium?

Die kritischen Texte von Bands wie Junta Directiva, Los Reyes de la Calle oder Anónimo Consejo waren dem offiziellen Kuba scheinbar lange Zeit ein Dorn im Auge. Textzeilen wie »Warum hältst Du mich an, Polizist? Ist es, weil ich schwarz bin?« von Grandes Ligas sind dafür vielleicht ein Grund. Der Rap diente ab Mitte der neunziger Jahre immer mehr dazu, die Unzufriedenheit der Jugend mit den Widersprüchen des kubanischen Systems auszudrücken. Stücke über die weit verbreitete Prostitution, die Privilegien der Reichen, Rassismus oder die internationalen Touristen, die sich in Kuba teilweise wie Kolonialherren verhalten, sind dafür ein Beleg. »Letra picante« nennen die Raperos die Texte, die sich mit brisanten Themen beschäftigen. »Das sind genau die Dinge, die unseren Alltag prägen und die hier interessieren«, sagt Jamelis, Graffitisprayerin von Alta Demanda. Sie kniet vor der Papierbahn auf der Bühne und malt die vorgezeichneten Flächen mit einem Pinsel aus, denn Spraydosen sind in Kuba Mangelware.

Seit über zehn Jahren ist die 28jährige Rapera dabei. Derzeit bemüht sie sich mit anderen Grafiteros um die Erlaubnis, einige Häuserwände im Zentrum Havannas bemalen zu dürfen. Aus den Boxen dröhnt der Sound von Doble Filo, die am Bühnenrand stehen und das uniformierte Publikum mit ihrem Hit »Distorsionades Personalidades« anheizen. Rund tausend Jugendliche gehen vor der Bühne voll mit. Eine kleine Gruppe von Fans singt den Text mit, andere tanzen auf der Wiese. Die kritischen Gesichter auf der Bühne hellen sich auf: Das Publikum reagiert auch nicht anders als in Havanna. Und für Mahia López, die als nächste das Mikro von den MCs von Doble Filo übernimmt, ist der Auftritt schon ein Heimspiel. Als die ersten Takte von »La Llaman puta« (»Sie nennen sie Hure«) erklingen, sind es einige Mädchen in kurzen roten Röcken, die ihr spontan Beifall klatschen. Der Obsesión-Song, ein rumbalastiger Rap, der die Moralvorstellungen der kubanischen Männer in Frage stellt, ist ein Plädoyer für die Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Texte wie diese, die zur Auseinandersetzung mit Gesellschaftsproblemen anregen, sind es, die Obsesión in der Szene, aber auch beim Publikum Respekt eingebracht haben.

Gleichwohl ist es nicht sonderlich einfach, Aufnahmen der Band und der befreundeten Kollegen von Doble Filo in Havanna zu ergattern. In den staatlichen Geschäften der größten nationalen Labels reißen die meisten VerkäuferInnen nur die Augen fragend auf, wenn sie mit den ihnen unbekannten Bandnamen konfrontiert werden. Auf dem Schwarzmarkt bekommt man die gebrannten Kopien der CDs jedoch ohne Probleme.

Selbst die von der Agencia de Rap produzierten beiden CDs, die einen Überblick über die von der Agentur promoteten Bands geben sollen, sind in den offiziellen Läden kaum zu bekommen. Dennoch sind das kleine Label und das in einem Hinterhof gelegene Büro der Agencia ein Beleg dafür, dass sich die nationale Kulturpolitik auch dem Rap Cubano angenommen hat. 2002 wurde die Agencia gegründet und mittlerweile werden auch HipHop-Acts als Repräsentanten der kubanischen Kultur ins Ausland geschickt. Madera Limpia, eine Rap-Band aus Guantánamo, war erst kürzlich in Mexiko, erklärt Vizekulturminister Abel Acosta. Auch eine nationale Tour der angesagtesten Rap-Combos Kubas habe das Ministerium erst kürzlich organisiert. Priorität genießt die Förderung des Rap Cubano allerdings sicherlich nicht, aber das wäre auch zu viel verlangt angesichts der vielen musikalischen Genres, die die Insel hervorgebracht hat. Ein Grund, weshalb sich viele der Acts auf das Ausland orientieren. Justicia (Gerechtigkeit) haben gerade ihre neue CD im Homestudio eines Freundes aufgenommen und für Bandleader Reinaldo González ist klar, dass er die CD ausländischen Labels präsentieren wird. Justicia, die des öfteren in der Madriguera auftreten, werden allerdings nicht wie Doble Filo und Obsesión von der Agencia de Rap repräsentiert, sondern von einer staatlichen Musikagentur, die vor allem Son- und Salsa-Künstler vertritt, der Asociación Benny Moré.

Vernetzt mit einer der Künstlervertretungen sind allerdings die allermeisten der bekannteren Rap-Acts der kubanischen Hauptstadt. Und die Kontakte zur Asociación Hermanos Saíz pflegen sie alle, denn zum einen vermittelt die Organisation immer wieder gute Auftrittsmöglichkeiten, zum anderen veranstaltet sie das Rap-Festival in Alamar. Und das ist für die Rap-Community Pflicht, denn jedes Jahr kommen mehr Bands aus dem Ausland, die für wichtige Kontakte sorgen können.

In diesem Jahr sollen allein zehn Gruppen aus Brasilien zum Anfang August stattfindenden Festival kommen, so ist vom Vorbereitungsstab zu hören. »Für uns ist das Festival ein Schaufenster und eine Kontaktbörse mit der internationalen HipHop-Szene«, erklärt William von der Asociación Hermanos Saíz. Er wünscht sich zum zehnten Jubiläum eine breite internationale Resonanz. Ein Traum, dem viele der kubanischen Rapper vermutlich nachhängen, denn das Glück, wie Doble Filo und Obsesión ins Ausland reisen zu können, haben nur wenige.

Inzwischen neigt sich der Gig in der »Lenin« dem Ende entgegen. Mit »Revolución«, einem kritischen Stück über die kubanische Wirklichkeit zwischen Emigration und Tourismus, lassen Alexei und Mahia den Abend ausklingen. Die letzten Beats ersterben gerade erst in den Boxen, als schon die ersten Fans die Bühne entern und um Autogramme bitten. Geduldig und gleichzeitig gerührt vom Enthusiasmus der Jugendlichen, unterschreibt Obsesión-Sängerin Mahia kleine Zettel und setzt ihren Namen in Notizbücher und Schulhefte. Endlich ist auch Jamelis fertig. Mit einem letzten Pinselstrich beendet sie das Graffito, das dem Namensgeber der Schule gewidmet ist. Versehen mit den Unterschriften der Mitglieder der Fabrica wird es in der Schule bleiben. Ein kleines Dankeschön der »Raperos«, die lange darauf warten mussten, an Orten wie diesem auftreten zu dürfen.