Auf offener See

Drei Wochen lang lag das Schiff »Cap Anamur« vor der sizilianischen Küste. An Bord befanden sich 37 schiffbrüchige Flüchtlinge, die Italien nicht aufnehmen will. Sie werden nun in Deutschland Asyl beantragen. von federica matteoni

Vor der Küste der italienischen Insel Lampedusa sind bereits Hunderte ertrunken, die sich auf den Weg in die Festung Europa machten. Wer überlebt, ist dennoch nicht in Sicherheit, wie die jüngste »Flüchtlingsodyssee« beweist. Bei ihrem Versuch, die Küsten Europas per Schlauchboot zu erreichen, wurden am 20. Juni 36 Sudanesen und ein Mann aus Sierra Leone von einem Frachter der deutschen Hilfsorganisation Cap Anamur aus Seenot gerettet. Erst am vergangenen Montag erlaubten die italienischen Behörden dem Schiff die Einfahrt in den sizilianischen Hafen Porto Empedocle. Der Hilfsorganisation, die sich seit 25 Jahren mit der Rettung von Schiffsbrüchigen beschäftigt, wird unterstellt, »illegale« Migranten nach Italien schleusen zu wollen.

Drei Wochen lang befanden sich das Schiff »Cap Anamur« und seine menschliche Ladung 15 Seemeilen vor der sizilianischen Küste. An Land kommen durfte niemand. Ein politischer, humanitärer und diplomatischer Fall gleichzeitig. Vor allem aber sei die Weigerung der italienischen Regierung, für diese Situation Verantwortung zu übernehmen, »angesichts des tagtäglichen Dramas auf dem Mittelmeer ein Skandal – nicht nur für Italien, sondern für ganz Europa«, meint der Chef der Hilfsorganisation Cap Anamur, Elias Bierdel.

Am 20. Juni befand sich der deutsche Frachter in internationalen Gewässern, als die Besatzung ein hilflos treibendes Gummiboot mit 37 Männern entdeckte. »Sie waren mitten auf dem weiten Meer vor der libyschen Küste unterwegs. Wir haben zunächst von weitem einen kleinen gelben Strich auf dem Wasser gesehen. Dann sind wir näher herangefahren, und es stellte sich heraus, dass es eben ein Schlauchboot war. Der Motor qualmte stark. Die Männer an Bord winkten mit einem Tuch und gaben damit ein Seenotsignal.« So rekonstruiert Bierdel die Rettungsaktion in einem Interview mit Radio Lora aus München. »Daraufhin haben wir einen von ihnen an Bord geholt«, fährt Bierdel fort, »um ihn zu befragen, wer sie seien und woher sie kämen. Er gab zur Antwort: ›Wir sind Flüchtlinge in Not. Wir haben kein Trinkwasser, wir wissen nicht, was wir jetzt machen sollen.‹«

Die Unglücklichen wurden also an Bord genommen, untergebracht und versorgt. Erst nach einigen Tagen versuchte die »Cap Anamur«, die Flüchtlinge an Land zu bringen. Doch selbst nach Anmeldung bei der Küstenwache in Porto Empedocle verweigerten ihr die italienischen Behörden das Einlaufen in den Hafen.

»Wir haben selbstverständlich detailliert angemeldet, wen wir an Bord haben, wer wir sind und was wir wollen. Wir haben auch die Genehmigung bekommen, in den Hafen einzulaufen. Doch als wir uns zwölf Meilen vor der Küste befanden, hat man uns die Genehmigung plötzlich verweigert«, berichtet Bierdel. Stattdessen kam ein üppiges militärisches Aufgebot: Das Schiff wurde von zwei Fregatten der italienischen Marine samt Hubschraubern und von Schnellbooten der Küstenwache eingekreist. »Die Behörden haben uns nicht gesagt, wieso sie dieses enorme Einschüchterungsprogramm für notwendig halten.«

Juristisch gesehen befanden sich an Bord der Cap Anamur keine »illegalen« Migranten, sondern potenzielle Asylsuchende, die aus der sudanesischen Krisenregion Darfur stammen, wo mehr als eine Million Menschen auf der Flucht vor den regierungsnahen arabischen Milizen sind. Die Flüchtlinge befanden sich außerdem nicht auf einem unidentifizierten Schiff, sondern auf einem deutschen Frachter. Sie wurden in internationalen Gewässern gerettet und haben nie versucht, eine Grenze der europäischen Festung »illegal« zu überschreiten.

Was sieht die EU-Gesetzgebung für solch einen Fall vor? Gar nichts. Zwar ist der Kampf gegen »illegale« Migration einer der »erfolgreichsten« Bereiche der Zusammenarbeit zwischen den EU-Staaten. Sie konzentrierte sich jedoch vor allem auf die Militarisierung des Mittelmeers, auf die systematische Ausweitung der Kompetenzen von Polizei und Militär zur Flüchtlingsabwehr, während das Thema Asylrecht immer nur am Rande behandelt wurde (Jungle World, 52/03). Genau das sei am Fall der »Cap Anamur« deutlich geworden, betonten viele Menschenrechtsorganisationen, die in den drei Wochen eine Solidaritätskampagne starteten, um den Flüchtlingen medizinische Hilfe, juristische Unterstützung sowie Versorgung mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln zu garantieren.

»Wir stellen fest, dass es in der europäischen Gesetzgebung ein schwarzes Loch gibt und dass der Fall der ›Cap Anamur‹ ein Novum ist«, sagte Christopher Hein, der Leiter des Italienischen Flüchtlingsrats (CIR), der italienischen Tageszeitung il manifesto. »Nach unserer Ansicht muss die Lösung zwischen Deutschland und Italien ausgehandelt werden«, meinte Hein, »die Flüchtlinge befinden sich auf einem deutschen Schiff in internationalen Gewässern, also auf deutschem Staatsgebiet. Theoretisch könnten sie in Deutschland Asyl beantragen. Auf der anderen Seite sollte sich aus humanitären Gründen die italienische Regierung für sie einsetzen, denn das Schiff befindet sich vor der sizilianischen Küste.«

Am vergangenen Sonntag, als sich die Situation an Bord zuspitzte, war es so weit. In einem Notruf an die italienischen Behörden drohte der Kapitän, notfalls auch ohne Genehmigung den Hafen Porto Empedocle anzusteuern. Einige Flüchtlinge hätten aus Verzweiflung versucht, sich ins Meer zu stürzen, die Lage sei nicht mehr auszuhalten.

Anfang vergangener Woche hatten der italienische Innenminister Giuseppe Pisanu und sein deutscher Amtskollege Otto Schily in einer offiziellen Stellungsnahme erklärt: »Wir halten es für absolut notwendig, uns an die internationale Norm zu halten. Diese sieht vor, dass Flüchtlinge dort Asyl beantragen, wo sie zunächst an Land kamen, in diesem Fall in Malta.« Nach Angaben der Schiffsbesatzung habe nämlich die »Cap Anamur« am Tag nach der Rettung der 37 Schiffbrüchigen ein weiteres Kleinschiff mit elf Menschen aus Somalia nach Malta eskortiert. Erst danach schipperte sie Richtung Sizilien, um die Flüchtlinge an Land zu bringen. Italien und Deutschland behaupten nun, Malta sei beim Aufgreifen der Flüchtlinge der nächste Hafen gewesen, was die Besatzung der »Cap Anamur« aber immer bestritt.

Der Druck auf die italienische Regierung war vor allem in der letzten Woche enorm gewachsen. In einem gemeinsam verfassten Papier schrieben Amnesty international (ai) und Medécins sans Frontières (MsF): »Die italienische Regierung verstößt gerade gegen das internationale See- und Flüchtlingsrecht.« Dabei berufen sich ai und MsF auf die Genfer Flüchtlingskonvention, welche Kollektivausweisungen explizit für »unzulässig« erklärt, und auf die am 1. September 1997 in Kraft getretene Dubliner Konvention, welche die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten hinsichtlich der Überprüfung von Asylgesuchen regelt. Sie sieht vor, dass jeder Mensch das Recht hat, einen Asylantrag zu stellen.

Alle Flüchlinge haben noch auf dem Schiff einen Antrag auf Asyl in Deutschland gestellt, meldete die Organisation Cap Anamur am Sonntag.

Ihre »Odyssee« scheint vorerst beendet zu sein. Unklar bleibt jedoch, was mit ihnen in Italien geschehen wird.