MV und 20er

Den DFB regiert jetzt eine »Doppelspitze«. Gerhard Mayer-Vorfelder und der rechte Filz bleiben. von jan süselbeck

Rumms! MV entmachtet«, jubelte die Bild-Zeitung. »MV ist zwar jetzt noch ein bisschen dabei. Doch die Macht hat ab sofort Zwanziger.« Tatsächlich? Zumindest einer sah das ganz anders. »Es ist absolut keine Entmachtung«, zitierte der Kicker einen sichtlich erleichterten Gerhard Mayer-Vorfelder (»MV«), der entgegen allen Voraussagen immer noch Präsident des Deutschen Fußballbundes (DFB) ist.

»Ich bin mit dieser Entscheidung sehr zufrieden, denn es ist eine menschlich anständige Lösung«, behauptete schließlich sein designierter Co-Präsident, DFB-Schatzmeister Theo Zwanziger, gegenüber der Süddeutschen Zeitung.

Die allgemeine Verwirrung ist perfekt. Nach einer siebenstündigen Sitzung der DFB-Schlichtungskommission am Freitag hat Mayer-Vorfelder, dessen endgültiger Rücktritt vor der WM 2006 zuletzt nur noch als Frage der Zeit dargestellt worden ist, einen neuerlichen persönlichen Coup gelandet. Er und Zwanziger sollen den DFB ab Oktober als so genannte Doppelspitze leiten. Eine flugs ersonnene Satzungsänderung soll dies ermöglichen.

Der wegen seines diktatorischen Führungsstils zuletzt scharf kritisierte Mayer-Vorfelder bleibt für den internationalen und repräsentativen Bereich zuständig, während der biedere Altendiezer CDU-Jurist Zwanziger künftig als Geschäftsführender Präsident für die Verbindung zu den Mitgliedsverbänden verantwortlich sein soll.

Also eine zweijährige Gnadenfrist für Mayer-Vorfelder. Und das, obwohl der Sender n-tv bereits verkündete, dass der Musterschwabe bei 96,2 Prozent der Fans abgeschrieben sei. Zwanziger dagegen präsentierte man allerorten als untadeligen Mann der DFB-Basis und somit als aussichtsreichen Nachfolger des allgemein verhassten Präsidenten.

Nichts da: Mayer-Vorfelder wird im Fernsehen weiter als selbstherrlicher Länderspiel-Pausenclown auftreten, während der fürs Tagesgeschäft zuständige Zwanziger ein Schattendasein fristen darf. Im DFB glaubt man, mit diesem faulen Kompromiss eine drohende Schlammschlacht verhindert zu haben. Hatte doch zuletzt selbst Innenminister Otto Schily mit Blick auf die WM 2006 in Deutschland auf eine schnelle Entscheidung in der Präsidentenfrage gedrängt und gemahnt, bloß »kein Porzellan zu zerschlagen«.

Nun also harrt die unverwechselbare, sanft alkoholgetränkte Interviewrhetorik des gewieften DFB-Populisten mit dem unheimlichen Eulengesicht neuer Sternstunden. Schließlich war Mayer-Vorfelder, ausgerechnet im Jahr 1933 geboren, schon immer für einen erheiternden Denkspruch gut – und das nicht nur zum Thema Fußball.

Auf einer Veranstaltung der CDU erklärte der Hauptmann der Reserve bereits 1987: »Die Chaoten in Berlin, in der Hamburger Hafenstraße und in Wackersdorf springen schlimmer rum als die SA damals.« Genau, damals: »Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein«, sagte ja einst schon Mayer-Vorfelders früher politischer Mentor, Hans Karl Filbinger (CDU), über die NS-Zeit. Bei ihm hatte »MV« über 14 Jahre als persönlicher Referent und engster politischer Berater gedient. Filbinger musste 1978 trotz seines schmissigen Diktums als Ministerpräsident Baden-Württembergs zurücktreten, weil nachgewiesen wurde, dass er als »furchtbarer Jurist« (Rolf Hochhuth) der Kriegsmarine in Oslo standgerichtliche Todesurteile gegen Deserteure erlassen hatte.

Mayer-Vorfelder aber schaffte den Sprung in die Landesregierung, blieb dort auch nach dem Rücktritt seines Meisters auf dem Posten und machte von 1980 bis 1998 eine steile, mehrgleisig organisierte Karriere. Zuerst war er baden-württembergischer Kultusminister, später Finanzminister, gleichzeitig über 25 Jahre Präsident des VfB Stuttgart, und schließlich wurde er 2001 als Nachfolger von Egidius »Pater« Braun Präsident des DFB.

Schon als Kultusminister setzte er sich zu Beginn der achtziger Jahre vehement dafür ein, an den Schulen alle drei Strophen der deutschen Nationalhymne singen zu lassen. Er engagierte sich in der reaktionären Hans-Filbinger-Stiftung und der rechtskonservativen bis rechtsextremistischen Denkfabrik des Studienzentrums Weikersheim. Er ist Träger der »Bund der Vertriebenen-Plakette für Verdienste um den Deutschen Osten und das Selbstbestimmungsrecht« und bekannte 1996, in Treue fest: »Links steht für mich zu oft als Synonym für Gleichmacherei, Schwächung der Leistungsträger, diktatorische Gesellschaftsformen, sowie häufig für Bonzentum. Links heißt für mich Misswirtschaft und Schuldenmacherei.«

Damit nicht genug. Wie die SZ berichtete, soll der Minister anlässlich eines Europapokalspiels des VfB Stuttgart in Moskau einen Journalisten, der einen Bestseller über seine Kriegsgefangenschaft in Russland verfasst hatte, mit dem Satz abgefertigt haben: »Wärst du damals mit deinem Panzer ein paar Kilometer weitergefahren, wäre ich heute Stadtkommandant von Moskau.«

Doch so, wie Filbinger von der schwäbischen CDU bis heute hofiert wird, überstand auch Mayer-Vorfelder alle kritischen Anfechtungen mühelos, nicht zuletzt dank der nahezu bedingungslosen Autoritätshörigkeit der Presse im Musterländle. Auch der DFB selbst, der seine dunkle NS-Vergangenheit und deren Kontinuitäten nach 1945 bis heute nicht aufgearbeitet hat, eckte an der eigenwillig nationalistischen Fußballphilosophie seines Präsidenten bisher trotz einiger antirassistischer Werbekampagnen nie ernsthaft an.

Und dies, obwohl Mayer-Vorfelder angesichts der WM 1998 von besonderen »genetischen Voraussetzungen afrikanischer und südamerikanischer Fußballer« wusste. Schade bloß um die ehemaligen Rekrutierungsgebiete Deutschlands: »Hätten wir 1918 die deutschen Kolonien nicht verloren, hätten wir heute in der Nationalmannschaft wahrscheinlich auch nur Spieler aus Deutsch-Südwest«, ärgerte sich »MV« damals. Andererseits machte er sich 2001, wie seit 1989 immer mal wieder, fürsorglich um die Arier-Quote im Bundesligafußball Sorgen: »Wenn beim Spiel Bayern gegen Cottbus nur zwei Germanen in den Anfangsformationen stehen, kann irgendetwas nicht stimmen.«

Im DFB gelten eben nach wie vor besondere Regeln. Der »Trickser« (Bild) Mayer-Vorfelder blieb mit Hilfe loyaler Seilschaften, die vom Vorstand des FC Bayern bis hin zum zwielichtigen Fifa-Präsidenten Sepp Blatter reichen, als fußballerischer Praeceptor Germaniae sakrosankt. Schließlich wäre es für den »Affärenprofi« (SZ) eine persönliche Katastrophe sondergleichen gewesen, das internationale Fußballparkett ausgerechnet vor der WM 2006 verlassen zu müssen. Doch Blatters dreister Versuch zur Erpressung des DFB scheint seine Wirkung nicht verfehlt zu haben: »Wenn ich an die WM 2006 in Deutschland denke, ist es nicht an der Zeit, die gesamte Organisation des DFB in Frage zu stellen. Wenn dies doch passieren sollte, werden wir bei der Fifa sehr, sehr böse.«

Nicht mehr nötig. Die Fifa darf lieb bleiben. Und die WM 2006 ist aus verbandsdemokratischer Sicht kaum noch einen Zwanziger wert.