»Wir haben uns zunächst verschätzt«

Thomas Nord
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Thomas Nord ist Landesgeschäftsführer und Mitglied des Landesvorstands der PDS in Brandenburg. Der 47jährige Kulturwissenschaftler aus Berlin arbeitete zuvor als Wahlkreismitarbeiter des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Wolfgang Gehrcke. Er trägt gerne Lederjacken und hat einen kurzen Draht zu Gregor Gysi und Lothar Bisky. Am 19. September finden in Brandenburg und Sachsen Landtagswahlen statt. Mit Thomas Nord sprach Ivo Bozic.

Die PDS ist erst seit ein paar Wochen im Aufwind, obwohl die SPD schon seit weit über einem Jahr in einer fundamentalen Krise steckt. Wie erklären Sie sich, dass die PDS erst jetzt von dem Absturz der Sozialdemokraten profitiert?

Desillusionierungsprozesse dauern wohl etwas länger. Jetzt erfahren relativ viele Menschen sehr konkret, was die Hartz-Reformen für sie bedeuten. Daraus resultieren ganz individuelle Betroffenheiten.

Aber weshalb profitiert die PDS erst jetzt davon? Bisher war es vor allem die CDU.

Die Stimmung gegenüber der SPD war schon länger schlecht. Ich denke aber, dass vielen Bürgerinnen und Bürgern nicht so bewusst war, dass diese Reformen sie persönlich treffen werden. In einer Situation der großen Enttäuschung sucht man nach politischen Alternativen, und da bietet sich die PDS an, weil sie von Anfang an gegen die Agenda 2010 war und gegen Hartz IV.

Bisher profitiert die PDS vor allem im Osten. Dort finden auch die meisten Anti-Hartz-Proteste statt. Woran liegt das?

Auf niedrigem Niveau wirkt sich das auch in den Umfragen im Westen aus. Dort ist die PDS ja bekanntermaßen personell schwach vertreten und nicht so wahrnehmbar. Im Osten ist die PDS natürlich wesentlich stärker in der Gesellschaft verankert.

Im Osten wird auch mehr demonstriert als im Westen.

Die Betroffenheit ist im Osten größer. Hier leben wesentlich mehr Langzeitarbeitslose als in den alten Bundesländern, und für die ist es ja besonders hart, was Hartz IV ihnen zumutet.

In Berlin und Schwerin regiert die PDS und ist somit auch an drastischen Sparmaßnahmen beteiligt.

Die Landesregierungen von Berlin und Mecklenburg-Vorpommern waren die einzigen, die sich gegen Hartz IV ausgesprochen haben.

Aber Hartz IV ist doch nur die Spitze des Eisberges.

Das ist richtig. Wir haben uns als Gesamtpartei von Anfang an gegen die Agenda 2010 ausgesprochen, und das ist auch von den Landesministern mitgetragen und öffentlich vermittelt worden. Dass unsere Ministerinnen und Minister jetzt in der Situation sind, ein von Bundestag und Bundesrat beschlossenes Gesetz mit umsetzen zu müssen, das gehört dazu, wenn man bereit ist, Regierungsverantwortung zu übernehmen.

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat der PDS vorgeworfen, mit ihrer Anti-Hartz-Mobilisierung auch den rechtsextremen Rand der Gesellschaft zu fördern. Besteht diese Gefahr nicht tatsächlich, wenn man sich die Beteiligung von Neonazis an den Montagsdemonstrationen anschaut?

Wenn hier jemand – wenn auch ungewollt – den Rechtsextremismus befördert, dann ist es die Bundesregierung mit ihrer Gesetzgebung. Der Protest ist ja nicht dadurch zustande gekommen, dass die PDS ihn angeheizt hat, sondern er kommt ja wirklich von den Betroffenen selbst. Die PDS hat schlicht die demokratische Verantwortung, dafür zu sorgen, dass der Protest demokratisch bleibt, antirassistisch und antifaschistisch. Dort, wo wir nicht bereit sind, uns dieser Aufgabe zu stellen, ist es in der Tat so, dass rechtsextremen Kräften Tür und Tor geöffnet wird.

Wieso hat die PDS es nicht geschafft, selber einen solchen Widerstand zu organisieren?

Wir hatten hier in Brandenburg zunächst nicht die Einschätzung, dass die Bürgerinnen und Bürger mit einem solchen Protest reagieren würden. Wir haben uns mit dieser Einschätzung geirrt. Die Betroffenheit ist größer, als wir selber vermutet haben. Jetzt sind wir gefordert, diesen Protest, den wir politisch richtig finden, zu unterstützen.

Die PDS ist zurzeit Umfragen zufolge stärkste Partei in Brandenburg. Doch wenn sie gewinnt, wird die SPD niemals als Juniorpartnerin eine PDS-Ministerpräsidentin stützen. Die einzige Chance der PDS mitzuregieren, ist, die Wahl zu verlieren. Ist das Ihr neues Wahlziel?

Das war nie unsere Strategie und wird es auch nie werden. Von Anfang an haben wir gesagt, unsere Zielstellung ist es, eine andere Politik für Brandenburg durchzusetzen. Das ist unser Maßstab.

Was wäre Ihnen denn lieber, eine rot-rote Regierung mit einer SPD als stärkster Fraktion, oder dass die PDS stärkste Partei wird und CDU und SPD weiterregieren?

Wir können unsere Politik genauso gut in der Opposition vertreten wie in der Regierung. Es war ja auch bis jetzt schon so, dass die große Koalition nicht alle Vorhaben durchsetzen konnte, weil die PDS als Oppositionskraft auf Veränderungen der Regierungspolitik gedrängt hat. Als Beispiel sei das Bombodrom erwähnt. Nur durch die starke Bürgerinitiative und den Kampf in der Region, unterstützt von der PDS im Parlament, haben sich die Positionen bei SPD und CDU verändert.

Es gab Spekulationen, ob die PDS auch einen SPD-Minderheits-Ministerpräsidenten Platzeck mittragen würde. Ist das Thema durch?

Unsere Spitzenkandidatin Dagmar Enkelmann hat erklärt, als Ministerpräsidentin anzutreten, wenn es das Wahlergebnis erfordert. Dahinter steht die PDS Brandenburg.

Ist die neu gegründete Wahlalternative eine Bedrohung für die PDS, gerade im Hinblick auf den Westen und auf die Bundestagswahlen 2006?

Ich sehe darin keine Bedrohung. Ich weiß noch gar nicht so genau, was ich von dieser Wahlalternative halten soll. Sie versteht sich ja gegenwärtig als Sammlungsbewegung für Protest. Die inhaltliche Grundorientierung ist noch ziemlich unklar. Sie fokussieren alles nur auf das Thema Abbau des Sozialstaates. Aber ich glaube, dass Deutschland insgesamt eine andere Politik braucht, auch auf anderen Politikfeldern. Wir brauchen eine andere Innenpolitik, einen anderen Umgang mit Asylbewerberinnen und –bewerbern, wir brauchen einen Abbau der Repressionen, die nach dem 11. September 2001 auch in Deutschland in Gesetze gegossen wurden. Ich vermisse die Bereitschaft der Wahlalternative, sich da klar und deutlich zu äußern. Da möchte man sich wohl herummogeln, weil man glaubt, dass es sonst mit der Einheit dieses Bündnisses sehr schnell vorbei wäre.

Und wenn dort Oskar Lafontaine und Gregor Gysi mitmachen würden, oder wenn die beiden eine eigene Partei aufmachen würden?

Auch davor habe ich keine Angst. Lafontaine ist nach wie vor Mitglied der SPD, und Gysi ist Mitglied der PDS. Ich kenne auch keine aktuellen Äußerungen von Gregor Gysi, dass er vorhat, mit Lafontaine eine eigene Partei aufzumachen. Im Gegenteil, er macht zurzeit intensiv Wahlkampf für die PDS in Brandenburg und Sachsen. Im Übrigen sind zwei Spitzenpolitiker noch keine Partei, die in der Gesellschaft die nötige Verankerung hat.

Rechnet die PDS mit Gregor Gysi im Bundestagswahlkampf 2006?

Er hält sich diese Frage ja selber noch offen. Da will ich ihm nicht vorgreifen. Ich weiß, dass sich Lothar Bisky sicherlich darüber freuen würde, aber letztlich ist das eine Entscheidung von Gregor Gysi selbst. Und die hat er noch nicht getroffen.