Tugend forscht

Die Stimmen für eine Zulassung des therapeutischen Klonens mehren sich. Vor allem im so genannten Ethikrat. von guido sprügel

In der Biotechnologie gilt nichts für immer und ewig. Im Gegenteil, die Halbwertszeit ethischer Grundannahmen scheint sich zu verkürzen. Als der deutsche Bundestag im Jahre 1991 das Embryonenschutzgesetz verabschiedete, waren sich viele Parlamentarier einig, dass jegliche Forschung am Embryo moralisch unvertretbar sei. Die Haltung der Wissenschaftler hat sich seitdem rasant verändert. Im In- und Ausland entdeckten sie in den vergangenen Jahren die Embryonen bzw. die embryonalen Stammzellen als wichtigen Forschungsgegenstand.

Der embryonalen Stammzelle trauen sie Übermenschliches zu. Mit ihrer Hilfe wollen Forscher menschliches Gewebe züchten und in ferner Zukunft Krankheiten wie Diabetes und Alzheimer heilen. Große Forschungserfolge gibt es bis dato jedoch nicht, von der Möglichkeit einer wirtschaftlichen Anwendung ganz zu schweigen.

Bei der Entnahme der begehrten Zellen wird der Embryo vernichtet, was den Zugriff ethisch bedenklich macht. Das therapeutische Klonen, also das Klonen zum Zwecke der medizinischen Anwendung, würde die Embryonen im Frühstadium verfügbar machen, da sie, weil sie geklont sind, elternlos sind. Nötig wäre nur noch die Spenderin einer Eizelle.

Das reproduktive Klonen, also die Herstellung menschlicher Kopien, wird in vielen Ländern der Welt diskutiert. In Deutschland beschloss der Bundestag bereits im Februar 2003 eine Ächtung des Klonens und eine Beibehaltung des strengen Embryonenschutzgesetzes. Die Vereinten Nationen mühten sich im vergangenen Herbst vergeblich, ein internationales Verbot des Klonens der menschlichen Spezies zu verabschieden. Zu groß war die Kluft zwischen den Gegnern und den Befürwortern. Die Entscheidung wurde vertagt. Eine weltweite Ächtung des reproduktiven Klonens lässt weiter auf sich warten.

Im Februar dieses Jahres schließlich präsentierten südkoreanische Forscher den ersten geklonten menschlichen Embryo, und Mitte August genehmigte die britische Behörde für menschliche Fortpflanzung und Embryologie (HFEA) Wissenschaftlern der Universität Newcastle das therapeutische Klonen eines menschlichen Embryos. Die Forscher wollen einen Embryo klonen, ihm Stammzellen entnehmen und innerhalb von 14 Tagen vernichten. Ab diesem Stichtag gilt ein Embryo bislang als menschliches Leben.

Der Aufschrei ließ nicht lange auf sich warten. Auch in Deutschland folgten die Proteste prompt. Ärzteverbände, Kirchen und Parteien äußerten ihre Ablehnung. Sie reicht von konservativen Lebensschützern wie dem Beauftragten für Kirchen- und Religionsgemeinschaften der Unionsfraktion im Bundestag, Hermann Kues (CDU), der eine europäische Ausrichtung »am Lebensschutz« fordert, bis zum Präsidenten der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, der in einer Presseerklärung davor warnt, »unser Menschenbild (…) nach den Gesetzen des ökonomischen Wettbewerbs« auszurichten.

Aber es gab auch zustimmende Worte. Die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, Ulrike Flach (FDP), fordert ein »Umdenken« beim therapeutischen Klonen. Sie fragte im Deutschlandradio: »Kann ich das verantworten, dass ich Erfolge in meinem Land nicht ermöglichen kann? Kann ich das verantworten, dass ich Deutsche in andere Länder schicken muss, damit sie dort geheilt werden?« Und die christdemokratische Forschungspolitikerin Katharina Reiche meinte im Kölner Stadtanzeiger: »Wir verlieren in Deutschland an innovativer Leistungskraft, weil wir zu defensiv an die Dinge herangehen.«

Die zustimmenden Worte dürften Bundeskanzler Gerhard Gerhard Schröder und Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) gefreut haben. Sie betreiben schon seit langem eine forschungsfreundliche Politik. Als die Süddeutsche Zeitung vorletzte Woche berichtete, im Nationalen Ethikrat zeichne sich ebenfalls eine Entscheidung für das therapeutische Klonen ab, muss die Welt für die beiden wunderschön gewesen sein.

In Deutschland konkurrieren zwei Gremien darum, der Bundesregierung und dem Bundestag Empfehlungen bei der Entscheidung in biotechnologischen Fragen zu geben: die vom Bundestag eingesetzte Enquetekommission »Recht und Ethik in der modernen Medizin« und der von Schröder ins Leben gerufene Nationale Ethikrat.

Dem Ethikrat fehlt jegliche demokratische Legitimation. Die 25 Mitglieder wurden von Schröder im Jahre 2001 selbst ernannt, mit jährlich knapp zwei Millionen Euro ausgestattet und um Empfehlungen bei kniffeligen ethischen Fragen gebeten. »Selten dürfte ein Bundeskanzler sich mit einer derart bescheidenen Investition eine derart große Freude bereitet haben«, kommentierte die Süddeutsche Zeitung zu Recht. Die Empfehlungen des Ethikrates fielen bislang immer zugunsten der Forschung aus. Im Dezember 2001 etwa empfahl der Rat dem Bundestag, den Import embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken unter strengen Auflagen zuzulassen.

Als die Nachricht über das erfolgreiche Klonen in Südkorea bekannt wurde, kam wieder Leben in die Debatte des Ethikrates. Zunächst aber nur intern. Das strikte Verbot des reproduktiven Klonens war dabei nicht umstritten, doch beim Thema therapeutisches Klonen kam Bewegung in die Diskussion. Nach internen Sitzungsprotokollen, die die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte, befürworteten die Ratsmitglieder mehrheitlich das therapeutische Klonen.

Der Humangenetiker Jens Reich etwa, ein Mitglied des Rates, forderte demnach, den Sprachgebrauch in Bezug auf das Wort »Embryo« zu verändern. Das Wort erinnere an einen wachsenden Menschen, besser wäre es für die Akzeptanz der Forschung, von »künstlich hergestellten Zellverbänden« oder »menschlichen Blastocysten« zu sprechen. Nach der Veröffentlichung der Süddeutschen Zeitung sagte der Vorsitzende des Rates, der Juraprofessor Spiros Simitis, der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, die Medienberichte seien an den Haaren herbeigezogen.

In seinen folgenden Sitzungen zeigte sich der Ethikrat zutiefst gespalten. In der Stellungnahme, die für Mitte September angekündigt wurde, dürften erstmals alle Haltungen nebeneinander vorgestellt werden. Das würde ein Novum darstellen, hatte der Rat bislang doch immer eine Empfehlung nach einem Mehrheitsbeschluss erteilt. So könnten in der Stellungnahme bis zu fünf Meinungen vertreten sein, von der strikten Ablehnung des therapeutischen Klonens bis zur Zustimmung. Zwischentöne stellen Forderungen nach strengen Auflagen oder Befürchtungen wie die der Biologin Regine Kollek dar, die zum Klonen benötigten Eizellen könnten Frauen zu Eizelllieferantinnen degradieren.

Die Ablehnungsfront bröckle, stellte Ulrike Flach fest. Für den Fall der Fälle habe die FDP schon ein neues Embryonenschutzgesetz »in der Schublade«. Ob die große Mehrheit aus der SPD, der Union und den Grünen gegen das Klonen weiter besteht, ist fraglich. Die Verhandlungen der Vereinten Nationen über ein internationales Klonverbot gehen im Herbst dieses Jahres in die zweite Runde. Offen ist, ob die deutsche Delegation dabei wieder wie im Jahr 2003 gegen das Votum des Bundestages verstoßen wird. Der Bundestag lehnte damals das therapeutische Klonen rundweg ab, die deutsche Delegation aber sprach sich für nationale Moratorien zum therapeutischen Klonen aus. (Jungle World, 45/2003) Möglich ist aber auch, dass sich bis dahin die Mehrheiten beim Thema Klonen im Bundestag ändern.