Rocken für den Subcomandante

Rock Mestizo erobert Schritt für Schritt das Publikum in Europa. Bands wie Karamelo Santo, La Vela Puerca oder Panteón Rococó gehen die Sache mit politischem Bewusstsein an. von knut henkel

Die Mitglieder von Karamelo Santo sind St.-Pauli-Fans. Auf ihrer letzten Tour im Sommer letzten Jahres waren sie im Stadion am Millerntor und haben sich einen Kick der Hamburger Underdogs angeschaut. Für die geplante Visite in diesem Jahr haben sie schon Fan-T-Shirts bei ihrer Booking-Agentur geordert, um im korrekten Outfit aufzulaufen. Die argentinische Band hat eben etwas übrig für Underdogs.

In Buenos Aires haben sie sich mit den Piqueteros, den arbeitslosen Straßenblockierern, die von Autofahrern Wegezoll erheben, solidarisiert und ab und zu Konzerte zu ihren Gunsten gegeben. In ihren Texten benennen sie klar und deutlich einen schwergewichtigen Mitschuldigen für die argentinische Misere – den Internationalen Währungsfonds (IWF). »Der IWF ist eine hinterhältige Institution. Auf der einen Seite hilft er mit Krediten, auf der anderen sorgt er dafür, dass sich die Situation der Bevölkerung verschlechtert«, schimpft Pedro Rosafa, Percussionist und Sänger von Karamelo Santo.

Die Auswirkungen der Rezepte des IWF hat die Band täglich vor Augen. Verarmung, Kriminalisierung und Hoffnungslosigkeit prägen den Alltag in La Boca, einem Stadtteil von Buenos Aires, wo die Gruppe ihr Hauptquartier hat. »Die sozialen Bezüge sind uns wichtig«, betont der Bandgründer und Songwriter Ogalde Gluzman alias Goy. Für ihn ist der soziale Mikrokosmos La Boca eine zentrale Inspirationsquelle.

In Mendoza, einer Provinzstadt, wurde Karamelo Santo 1993 gegründet. Interesse von größeren Labels hat es an der Band, die Cumbia, Merengue und Salsa mit einigen Spritzern Punkrock und einer guten Portion Ska und Reggae zu einem überaus melodischen Sound verquirlt, nie gegeben. Die bislang vier CDs sind in Eigenregie entstanden, zuletzt »Haciendo Bulla«, die im Juni in Argentinien erschien und rechtzeitig zum Tourstart im Oktober in Deutschland erscheinen wird. »In Argentinien ist der Vertrieb unser größtes Problem. Bei uns läuft er über ein Netzwerk von kleinen Agenturen, die wiederum mit zahlreichen Bands zusammenarbeiten. So ist in den letzten Jahren ein Netzwerk der unabhängigen Musik entstanden«, erklärt Goy. Außerdem hat die Band ein eigenes Studio, in dem nicht nur die eigenen CDs, sondern auch die von befreundeten Bands wie Resistencia Suburbana oder Neglisa Negast aufgenommen und produziert werden.

Leben können die acht Kumpels von ihrem vielfältigen Sound, in Argentinien als Mestizo-Rock bezeichnet, nicht. Fast alle der acht Bandmitglieder jobben, geben Musikunterricht oder mischen im Studio, wie Goy. »Kein Idealzustand«, sagt er dazu, »aber dank unserer unabhängigen Strukturen müssen wir uns keine Sorgen machen, von einem Major einen Tritt zu bekommen.«

Der Band Abuela Coca aus Uruguay ist es so ergangen, sie wurde von einem Major gefeuert. Knall auf Fall wurde der Plattenvertrag von Sony aufgelöst, und der Neuanfang war alles andere als leicht, erinnert sich der Sänger Gonzalo Brown. Die Studiomiete mussten sich die neun Musiker aus Montevideo leihen, um ihre CD »El ritmo del barrio« aufzunehmen. Wertvolle Starthilfe lieferte Karamelo Santo. Die Gruppe drückte den Kollegen aus Montevideo auch die Adresse ihres deutschen Labels in die Hand. Für Abuela Coca bedeutete dies die Eintrittskarte für den europäischen Markt.

Solidarisch, kritisch, unbequem

Solidarität wird unter den Bands der Mestizo-Szene groß geschrieben. Nicht nur innerhalb Lateinamerikas, sondern auch nach Europa und in die USA gibt es gute Kontakte. Karamelo Santo ist eng befreundet mit Manu Chao und Fermín Muguruza, die Band hat ihre Homepage mit den Kumpels von Arbol und Andanda Descalzo verlinkt und pflegt Kontakte zu Panteón Rococó in Mexiko.

Kennen gelernt haben sich Karamelo Santo und Panteón Rococó in Deutschland, und hier standen sie auch des Öfteren gemeinsam auf der Bühne. »Auftritte oder gar Tourneen in Lateinamerika zu organisieren, ist alles andere als einfach«, sagt Dr. Shenka, der Sänger von Panteón Rococó. Equipment ist genauso rar wie geeignete Locations, und nicht immer sind die kritischen Töne willkommen. Panteón Rococó machen aus ihrer Sympathie für Subcomandante Marcos und die Zapatistische Befreiungsbewegung EZLN keinen Hehl. »Die Bewegung hat uns Bewegungsfreiheit, Ausdrucksmöglichkeiten und Auftritte verschafft«, erklärt Frontmann Dr. Shenka. Und diesen Roots ist die Band, die im Juni vor 40 000 Fans auf dem Zócalo in Mexikos Hauptstadt spielte, treu geblieben.

Damit ecken sie zwar auch an, und im Radio werden einige Stücke von der neuen CD »Tres Veces Tres« gar nicht erst gespielt. Doch dies ist nichts Neues für die elfköpfige Band, die ihre fünfte Europatour im Sommer hinter sich brachte. Lange wurden Dr. Shenka und seine Mitstreiter von den Labels links liegen gelassen. Erst als ihre selbst produzierte CD »A la Izquierda de la Tierra« mit 80 000 verkauften Exemplaren zu einem Renner wurde, nahm BMG die elf Musiker unter Vertrag. Genau zum richtigen Zeitpunkt, denn damals war ein vermeintlicher Kumpel mit der Bandkasse durchgebrannt.

Fusion oder auf spanisch »Mestizaje« ist für den Gitarristen Gorri, der alles zwischen Santana und Ramones hört, eine Selbstverständlichkeit im Melting Pot Mexiko-Stadt. »Die Stadt ist wie ein Mixer, in dem alle Einflüsse verquirlt werden. Wir als Band profitieren davon, weil wir nicht auf ein Genre festgelegt sind.« Die Zeiten, in denen mexikanische Bands lediglich Rock’n’Roll nach amerikanischem Rezept spielten, sind lange vorbei. Und die erste Goldene Schallplatte gibt den sendungsbewussten Musikern Recht. Längst sind Panteón Rococó in Mexiko eine große Nummer, gleichwohl stehen sie für Solikonzerte zugunsten von sozialen Bewegungen, kleinen Kooperativen oder indigenen Gemeinden zur Verfügung.

Und zu ihrem politischen Selbstverständnis gehört es auch, in Deutschland über die Verhältnisse in ihrem Herkunftsland aufzuklären. »Es ist wichtig, dass von außen darauf geachtet wird, was in Mexiko passiert«, erklärt der sympathische Sänger mit dem kurz geschorenen Haupthaar. Von Deutschland aus wollen sie nun den europäischen Markt erobern. Das ist ungewöhnlich für eine Latino-Band, denn Musiker aus Südamerika wählen normalerweise Spanien als Sprungbrett für den europäischen Markt. »In Deutschland kommt unser Sound an, wir haben ein Label, und wir fühlen uns hier viel wohler als in Spanien«, erklärt Dr. Shenka lapidar. Ähnlich geht es auch Karamelo Santo. Ab Mitte Oktober ist diese Band für gut zwei Monate in Europa unterwegs – mit Schwerpunkt Deutschland, um dort »Haciendo Bulla« vorzustellen.

Mano Negra: Pate der Politisierung

Mit von der Partie bei einigen Aufnahmen von Karamelo Santo war auch Sebastían Teysera von La Vela Puerca. Diese Band von der anderen Seite des Río de la Plata, aus Uruguays Hauptstadt Montevideo, entstand als Reaktion auf die Lateinamerika-Tour von Mano Negra Anfang der neunziger Jahre. »Es gibt eine Zeitrechnung vor Mano Negra und eine nach Mano Negra«, sagt der 30jährige Sänger der achtköpfigen Mestizo-Kapelle, die im Dezember 1994 gegründet wurde.

Für ihn ist die spanisch-französische Band um Manu Chao schlicht Pate der Politisierung der alternativen Musikszene in Lateinamerika. Anspruchsvolle Texte mit einem engen Bezug zur jüngeren Geschichte von Diktatur und Wirtschaftskrise zeichnen La Vela Puerca aus. Als »poetische Annäherung an die Realität des Landes« will Teysera seine Texte verstanden wissen. Vor den Karren einer Partei würde sich die Band, die Wert auf ihre Unabhängigkeit und ihre musikalischen Roots legt, allerdings nie spannen lassen. Mit dieser Einstellung ist sie in Uruguay längst sehr beliebt, und der Sprung nach Europa ist dank einem Majorvertrag schon geschafft: Für die Ärzte machte sie im Sommer den Warm-Up und gewann damit neue Fans.

Derartiges ist keine Selbstverständlichkeit für Sebastían Teysera. Für ihn ist es ein Privileg, angesichts der sozialen Misere in seinem Herkunftsland von der Musik leben zu können. Mit dieser Einstellung und den daraus resultierenden Texten hat La Vela Puerca den Nerv einer perspektivlosen Generation getroffen. Es geht um klare Ansagen einer Band, die tief in den sozialen Zusammenhängen des Barrio verankert ist.

Karamelo Santo: Haciendo Bulla (Übersee Records/ Indigo), erscheint am 11. Oktober

Bersuit La Argentinidad al Palo: Surco (Universal Music)

Abuela Coca: El Ritmo del Barrio (Übersee Records/ Alive)

La Vela Puerca: A Contraluz (Universal Music)

Panteón Rococó: Tres Veces Tres (BMG Mexiko)

Panteón Rococó: Compañeiros musicales (Übersee/Alive)