Mesa will nicht nach Miami

Proteste gegen die Erhöhung der Kraftstoffpreise in Bolivien bringen Unternehmer und soziale Bewegungen gemeinsam auf die Straße. Präsident Carlos Mesa droht mit Rücktritt. von stefanie kron

Carlos Mesa bekleidet ein undankbares Amt in einem ungemütlichen Land. »Man lässt mich nicht regieren«, klagte Boliviens Übergangspräsident am Montag der vergangenen Woche in einer »Rede an die Nation«. Einen Tag später drohte er gar mit Rücktritt. Wenn er gezwungen sei, Gewalt anzuwenden, die Menschen das Leben kosten könne, trete er von seinem Posten zurück, erklärte Mesa. Damit will er offenbar dem Schicksal seines Vorgängers Gonzalo Sanchez de Lozada entgehen.

Der floh im Oktober 2003 mit einem Hubschrauber Richtung Miami aus dem Land, nach einer mehrtägigen Totalblockade des Regierungssitzes und dem Tod von rund 60 Menschen, die bei Auseinandersetzungen mit den bolivianischen Streitkräften ums Leben kamen. Damals hatten die Pläne der Regierung, Erdgas zum Billigtarif ins Nachbarland Chile zu exportieren, im ganzen Land wochenlange Proteste gegen die Privatisierungspolitik ausgelöst.

Nun ist es in Bolivien wieder unruhig geworden. Anfang Januar kündigte Mesa an, die staatlich subventionierten Treibstoffpreise um 23 Prozent zu erhöhen. Als erste reagierten die Gewerkschaften der Transportunternehmen mit Straßenblockaden, die den Verkehr in den Großstädten La Paz und Cochabamba für 24 Stunden zum Erliegen brachten. Schnell schlossen sich weitere soziale Organisationen und Bürgerkomitees in allen großen Städten des Landes mit Protesten gegen die Regierung an. So rief der Gewerkschaftsdachverband COB für den Dienstag der vergangenen Woche zu einem Generalstreik auf. Minenarbeiter, Kleinbauern und Indigenagruppen blockierten Straßen und besetzten Ländereien in den Regionen La Paz und Cochabamba.

In El Alto blockierten die Nachbarschaftsräte in der vorigen Woche die Zufahrtswege nach La Paz. Ihr Unmut richtet sich gegen das Wasserkonsortium Aguas de Illimani, deren Hauptteilhaber der französische Konzern Lyonnaise de Eaux ist. Das Konsortium ist seit der Privatisierung im Jahr 1997 für Trink- und Abwasser von El Alto zuständig, wo die meisten Haushalte nicht über Wasseranschlüsse verfügen. Entgegen den vertraglichen Vereinbarungen verzichtete Aguas de Illimani auf einen Ausbau der Infrastruktur und hob stattdessen die Preispauschalen an. Mitte vergangener Woche versprach Mesa, über die Auflösung des Vertrages mit Aguas de Illimani zu verhandeln. Der Konzern reagierte mit der Drohung, eine Entschädigung zu fordern.

Im Unterschied zu Sanchez de Lozada kann Mesa, der bislang als nationale Integrationsfigur gehandelt wurde, kaum noch auf Verbündete im Kongress und in Unternehmerkreisen zählen. Evo Morales, Abgeordneter der Linkspartei MAS und aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat für die Wahlen 2007, hat Mesa bisher unterstützt. In der vergangenen Woche sah er seine Stunde gekommen. Er erklärte Mesa zum »Feind des bolivianischen Volkes« und forderte vorgezogene Neuwahlen.

Auch auf der Straße scheint es sich nur vordergründig um ein Protestbündnis gegen die Privatisierungspolitik der Regierung zu handeln. In Santa Cruz im Osten des Landes prügelten sich bei Demonstrationen in den ersten Januartagen Busfahrer, Gewerkschafter und Vertreter privater Unternehmen mit der Polizei. Doch während die regionalen Gewerkschaften eine staatlich kontrollierte Senkung der Benzinpreise fordern, schwebt den Unternehmern eine weitere Liberalisierung der Preispolitik vor. Santa Cruz gilt als Zentrum der Autonomiebewegung der regionalen weißen Elite (Jungle World 30/04). So war die Benzinpreiserhöhung für alle »Crucenos« ein willkommener Anlass, wieder einmal mehr Distanz zur Regierung zu fordern.