Hoyzer und die Pseudo-Mafia

Der Wettskandal in der deutschen Fußball-Bundesliga schadet vor allem dem staatlichen Monopolisten Oddset. von doris akrap

Es ist mal wieder Zeit, einen Artikel zu schreiben«, flüsterte mir unser Informant aus dem Zockermilieu beim kanakischen Familientreffen am vergangenen Heiligabend zu. »Hamburg gegen Paderborn war gekauft!« Qua Profession erzählt unser Informant ständig von Korruption und Auftragsspiel im Fußballgeschäft. Bisher waren es aber immer die anderen: italienische und türkische Ligaspieler, portugiesische und tschechische Klubpräsidenten. Oder es ging um Spiele der jugoslawischen Regionalliga, die auf 1 000 Meter Höhe im Karstgebirge ausgetragen werden. Jetzt aber handelte es sich um den deutschen Fußball.

Ich jedoch glaubte weiter fest an die deutsche Ordnung und sagte ihm, er solle lieber wieder das Weihnachtsmannkostüm anziehen und den Kindern weiter Märchen vorlesen.

Seit der vergangenen Woche aber jagt ein ARD-»Brennpunkt« die nächste Sondersendung über einen der größten Korruptionsskandale im deutschen Fußball. Der Berliner Schiedsrichter Robert Hoyzer war von vier seiner Kollegen verpfiffen worden, diverse Spiele entsprechend der höchsten Wettquote manipuliert zu haben. Schnell war von organisierter Kriminalität die Rede, die Staatsanwaltschaft mischte sich ein, und Hoyzer wurde Kronzeuge. Wie bei der asiatischen Flutkatastrophe erweiterte sich stündlich der betroffene Personenkreis: von Schiedsrichtern über Spieler bis zu Mafiosi.

Während ich lediglich mein Glück verspielte, als ich nicht auf meinen Informanten hörte, könnte es für den DFB wesentlich verheerendere Folgen haben, seine Hinweislieferanten nicht ernst genommen zu haben. Während der Organisationspräsident der WM 2006, Franz Beckenbauer, weiter an die Unschuld des Schiedsrichters glaubte oder das zumindest vorgab, hatte der ehemalige Fifa-Schiedsrichter Hellmut Krug bereits ausgesagt, dem DFB sei schon länger bekannt, dass Hoyzer dubiose Entscheidungen getroffen habe.

Den durch die Bestechung des Schiedsrichters entstandenen Schaden beziffert die staatliche Sportwettengesellschaft Oddset mit einer Million Euro. »Das sind realistische Zahlen«, meint auch unser Informant. Um die Kunden weiterhin bei der Stange zu halten, muss der DFB also nicht nur den Glauben an den unbestechlichen deutschen Schiedsrichter wieder herstellen, sondern auch die Sportwette selbst rehabilitieren.

Schleunigst wurden Verträge zur Überwachung von Wetteinsätzen mit dem größten Informationslieferanten der Welt, Betradar, geschlossen, Wettverbote für Schiedsrichter und Ähnliches diskutiert. Dass es ein solches Wettverbot bislang nicht gab, verwundert ganz zu Recht. Schließlich konnte doch auch dem DFB die immense Bedeutung der Sportwetten im Fußballbusiness nicht entgangen sein. Seit 2002 nämlich besteht ein Staatsvertrag mit Oddset, in welchem dem DFB jährlich zwölf Prozent der Einnahmen aus dem Wettbetrieb für die Organisation der WM 2006 zur Verfügung gestellt werden.

Es geht also nicht um ein paar tausend Euro, die Hoyzer von den Kroaten bekommen haben soll, sondern um einen geschätzten jährlichen Umsatz von 800 Millionen Euro, der aus Sportwetten erwirtschaftet wird. Allein die Gesellschaft Oddset, die seit 1999 besteht, macht pro Spieltag einen Umsatz von zehn Millionen Euro und ist Marktführer, dicht gefolgt von der privaten Konkurrenz. Die privaten Buchmacher sind von der Affäre Hoyzer nicht so stark betroffen, da sie durch ihre engmaschigere Struktur über effektive Frühwarnsysteme verfügen und bei auffälligen Wetteinsätzen die Wette sofort stornieren können.

Um diese private Konkurrenz auszuschalten, wird sie seit Jahren kriminalisiert. Die Vermittlung und Veranstaltung von Sportwetten in Deutschland ist tatsächlich bis heute rechtlich nicht geklärt. Etliche Klagen von Privatanbietern gegen das faktische Staatsmonopol von Oddset sind anhängig. Wie am Fließband werden Urteile gesprochen und revidiert. Bei den Privatanbietern handelt es sich um im Ausland ansässige Veranstalter, die in Deutschland als so genannte Vermittler auftreten, um reine Internetanbieter und um die drei DDR-Lizenzen, die aus einer Lücke im Einigungsvertrag resultieren. (Jungle World, 39/2002)

Anfang vergangenen Jahres gab der hessische Landesgerichtshof einem britischen Kläger Recht und erklärte das Wettmonopol des Landes für ungültig, da es im Widerspruch zum EU-Recht stehe. Das so genannte Gambelli-Urteil des europäischen Gerichtshofes unterstreicht die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit für Wettspielanbieter. Für eine staatliche Monopolstellung müsse ein sachlich zwingender Grund vorliegen.

Staatliche Monopole sind dem Grundgesetz zufolge nur gerechtfertigt zur »Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut«. Schnell schlossen dann Mitte letzten Jahres die Bundesländer einen neuen Staatsvertrag, in dem man sich gegenseitig versicherte, allein das staatlich kontrollierte Sammeln von Wetten könne »den Schutz der Spielleidenschaft vor Ausbeutung« gewährleisten, die Spielleidenschaft grundsätzlich eindämmen und kanalisieren und die »Umfeldkriminalität« verhindern.

Dass Oddset dazu nicht in der Lage war, hat Hoyzer in der vergangenen Woche bewiesen und damit wahrscheinlich dem Kampf der Privatanbieter um eine Lizenz einen großen Dienst erwiesen. Zudem fällt es dem staatlichen Wettunternehmen immer schwerer, seine zunehmende Werbetätigkeit für das Glücksspielangebot mit seinem monopolstiftenden Auftrag der Eindämmung der Spielsucht zu vereinbaren. Nicht im geringsten unterscheidet sich die breite öffentliche Präsenz von Oddset von dem Verhalten privatwirtschaftlicher Anbieter.

Die gängige Meinung der Rechtsgelehrten deckt sich mit der unseres Informanten: Auch in Deutschland wird über kurz oder lang eine Liberalisierung des Wettangebots stattfinden müssen. Bis dahin wird man aber wahrscheinlich noch öfter, wie in Hessen nach dem Widerruf des eigenen Urteils durch den Landesgerichtshof, von Schließungen und Razzien in privaten Wettbüros hören.

Ob aber Sportwetten überhaupt als »Glücksspiel« oder eher als »Leistungsprüfung« zu gelten haben, ist ebenfalls eine rechtliche Streitfrage. Entscheidend für die juristische Kategorisierung einer Sportveranstaltung als Glücksspiel ist nämlich der Zufall. In welchem Verhältnis aber der Zufall zu den Kenntnissen, Fähigkeiten und der Aufmerksamkeit der Spieler steht, bleibt, nach den Ereignissen vergangener Woche allemal, fraglich.

Der kroatischen Zeitung Slobodna Dalmacija erklärte der mittlerweile verhaftete Besitzer des kroatischen »Café King«: »Wir kennen keine kroatische Mafia!« Das Gerede von der organisierten ausländischen Kriminalität bleibt also vorerst Spekulation und damit im Arbeitsbereich unseres Informanten: »Von Mafia keine Spur, das sind ein paar Jungs, die einfach ausprobiert haben, wie weit man im staatlich kontrollierten Sportwettgeschäft gehen kann.«

Dafür, dass es sich bei den kroatischen Jungs kaum um eine Konkurrenz der Camorra handelt, dürfte die Tatsache sprechen, dass sie offenbar seit einem halben Jahr in ihrem eigenen Café den Gewinn versoffen haben und nur darauf gewartet haben, dass die Bullen sie abholen.