Der Ball als Film

Auf dem ersten Fußballfilmfestival dreht sich alles ums Kicken. von elke wittich

Football sells. Was Verlage schon seit einigen Jahren eingesehen haben – Bücher übers Kicken finanzieren selbst ausgewiesene Klassenkampfliteratur und anderen unsportlichen Kram –, muss die Filmbranche erst noch lernen. Auf der diesjährigen Berlinale gab es einige Versuche, das Balltreten filmisch aufzubereiten, allerdings gingen sie allesamt gründlich schief. Über das Fußballspielen zu reden, kommt schließlich nur dann gut an, wenn man zumindest rudimentäre Ahnung vom Thema hat.

Wie es richtig geht, zeigt nun das Festival »11mm«, eine Kooperation zwischen dem Fanzine 11 Freunde und dem Berliner Kino Central. Vom 20. bis zum 26. Februar zeigt man Streifen, in denen nicht nur der Ball im Mittelpunkt steht, sondern auch die Liebe zum Kicken.

Präsentiert werden Fußballfilme aus mehr als acht Jahrzehnten, vom 1935 entstandenen Krimi »Arsenal Stadium Mystery« bis hin zum nach dem literarischen Bestseller gedrehten, von der Kritik gefeierten Hool-Streifen »Football Factory«.

Dabei stehen vor allem Dokumentationen im Vordergrund. »En un momento dado« zum Beispiel, in dem es um die Karriere von Johan Cruyff geht, oder »FC Barcelona Confidential«, der den Verein als Indikator für das Seelenleben einer kompletten Region zum Thema hat. In »Zwei Halbzeiten in der Hölle« geht es dagegen um ein deutsches Lager in der Ukraine. Einer der Inhaftierten, ein ehemaliger ungarischer Fußballstar, soll anlässlich Hitlers Geburtstag ein Team zusammenstellen, das gegen eine aus Wächtern gebildete Mannschaft antritt. »Die Todeself« handelt hingegen vom Match des FC Start – in dem ukrainische Zwangsarbeiter aktiv waren – gegen die »Adler«, eine Auswahl von Piloten und Mitarbeitern der deutschen Luftwaffe.

In »The Last Yugoslavian Football Team« kommen diejenigen zu Wort, die einst zusammen kickten. Boban, Prosinecki, Savicevic, Mihajlovic und Suker hätten durchaus um einen internationalen Titel mitspielen können, wenn Separatismus und Krieg nicht gewesen wären. Wie es ist, sich nach Jahren des gemeinsamen Kickens plötzlich in unterschiedlichen Nationalteams gegenüberzustehen, wird von den Betroffenen erzählt.

»Fimpen, der Knirps« handelt hingegen vom Tagtraum eines Jungen, der immens gern in der schwedischen Nationalmannschaft kicken möchte. Was natürlich nicht geht, wenn man erst neun Jahre alt ist – aber, wie es schon Freddy in den Nightmare-on-Elmstreet-Filmen leidvoll erfahren musste: »Wir alle können etwas ganz besonders, in unseren Träumen!« Und so schafft Fimpen es vom belächelten Knirps nicht nur zur großen Hoffnung der gelb-blauen Nationalauswahl, sondern auch zum entscheidenden Torschützen.

Die Vorbereitungen einer durchschnittlichen Fußballnationalmannschaft auf ein Länderspiel sehen wohl in etwa so aus: Kurz vor dem Termin versammeln sich die Spieler in irgendeinem schicken Trainingslager mit angeschlossenem Spa, üben ein bisschen und werden schließlich mit tonnenweise Ausrüstung sowie jeder Menge Funktionären, Ärzten und Köchen erster Klasse zum Ort des Anpfiffs geflogen.

Wie sich die Auswahl eines Landes, das eigentlich gar kein anerkannter Staat ist, auf sein erstes Länderspiel vorbereitet, zeigt der dänische Dokumentarfilm »The Forbidden Team« von Rasmus Dinesen und Arnold Kroigaard. Für den 30. Juni 2001 hatte das grönländische Team die Kollegen aus Tibet zu einem Match nach Dänemark eingeladen. Zur Vorbereitung reisten die tibetischen Freizeitkicker, allesamt im indischen Exil lebend, in die Grenzstadt Dharamsala, wo sie vier Wochen lang unter dem dänischen Coach Jens Espensen trainieren sollten.

Der zeigt sich von den Bedingungen dort völlig schockiert. Der Matschplatz ist auf dem Stadtplan ausdrücklich als Straße ausgewiesen, so dass Menschen und Kühe nicht daran gehindert werden können, wann immer ihnen danach ist durchs Training zu latschen. Und mit »Fußball, wie ihn Buddha gespielt haben würde«, wie es euphemistisch auf dem Werbeplakat für »The Forbidden Team« heißt, hat das, was die Tibetkicker können, nur bedingt zu tun. »Wenn ihr den Ball schon gegen vier Mann verliert, wie soll das erst gegen elf werden?« wird Espensen irgendwann resigniert fragen.

Dass einige der besten Kicker keine Ausreisebewilligung, die für die Wiedereinreise nach Indien unabdingbar ist, in ihre Pässe gestempelt bekommen haben und nicht mitreisen dürfen, drückt zudem schwer auf die Teamstimmung. Die Bekanntgabe, wer zu Hause bleiben muss, gehört zu den stärksten Szenen des Films: Wie betäubt sitzen diejenigen, die es nicht geschafft haben, da, während ihre glücklichen Kollegen sich angesichts derart großer Enttäuschung nicht richtig freuen können. Er habe sein ganzes Leben davon geträumt, einmal ein Länderspiel zu bestreiten, wird Torhüter Thanzin Thin Iay später unter Tränen sagen.

Trainer Espensen plagen noch ganz andere Sorgen: »Ein Land kann ruhig klein sein, und seine Kicker müssen auch nicht viel können – aber der eine oder andere wird sich furchtbar blamieren, und dann hat Tibet keine Chance mehr, als Fußballnation ernst genommen zu werden«, befürchtet er. Einfach im Ausland in Kreisklassenmannschaften aktive Legionäre nachzunominieren, geht jedoch nicht, wie sich rasch erweist. Eigentlich wollte der Coach entscheidende Mannschaftsteile mit schweizerischen Tibetern verstärken, die Fifa drohte jedoch, jeden an dem Kick Beteiligten zu sperren – obwohl sie für nicht assoziierte Staaten streng genommen nicht zuständig ist.

Während die tibetischen Jungs im indischen Trainingslager Pässe üben, stehen sie im Zentrum diplomatischer Verwicklungen: China fordert das dänische Außenministerium ultimativ auf, das Länderspiel zu verbieten. Überdies nimmt eine Abordnung Kontakt mit der grönländischen Selbstverwaltung auf und weist darauf hin, dass das Match sicherlich Auswirkungen auf die Shrimpsexporte haben werde. Schließlich erklärt die Fifa, es handele sich lediglich um eine«inoffizielle Begegnung«, bei der Flaggen und Hymnen verboten sind. Und es kann endlich gekickt werden. Es gehe dabei nicht ums Gewinnen, hatte Assistenztrainer Kasang zuvor erklärt, »es geht darum, besser zu werden«. Am Ende verliert die tibetische Auswahl mit 1:4.

Aber das Ergebnis sei zweitrangig, werden alle Beteiligten später betonen. Ihnen sei es schließlich um eine ganz andere, durchaus politische Forderung gegangen: das Recht, ungehindert und ohne Reglementierung zu kicken, gegen wen und wo man gerade will, selbst wenn man aus einer Region kommt, die nicht offiziell als eigenständiger Staat anerkannt ist.

»11 mm«. Kino Central, Berlin. Vom 20. bis 26. Februar