Zu jung für die Bank

Alan Shearer ist Mitte 30 und will noch ein weiteres Jahr als Fußballprofi bei Newcastle spielen. von elke wittich

Profifußballer können auf peinliche oder auf völlig untadelige Weise auftreten. Peinlich ist es, sich wie Lothar Matthäus trotz erwiesener Zenitüberschreitung von einem ihm ergebenen Boulevardjournalisten wieder zurück in die Nationalmannschaft und anschließend auf diverse Trainerposten schreiben zu lassen.

Untadelig ist es dagegen, aus lauter Spaß am Kicken noch ein Jahr dranzuhängen, wie es gerade der Brite Alan Shearer angekündigt hat, der zukünftig bei Newscastle Spielertrainer sein möchte.

Zumindest die Wahl des Ortes ist dabei logisch, denn Alan Shearer, »the angel of the north«, wie ihn seine Fans nennen, wurde am 31. August 1970 in Gosforth/Newcastle geboren. Smoky, wie er von seinen Fans wegen seiner Vorliebe für Räucherspeck-Chips genannt wurde, hatte eigentlich, solange sich seine Kumpels zurückerinnern können, nur eines im Kopf: Fußballspielen.

Das tat er dann auch, ausgiebig und wann immer er durfte, zweifellos mit Erfolg: Im Alter von zwölf Jahren wurde er zum Kapitän seiner Schulmannschaft gewählt, aus gutem Grund, wie sich sein Sportlehrer später erinnerte. Nicht nur, dass Alan ein notorischer Torschütze war und in einem heute absolut legendären Spiel gleich 13 Treffer erzielte, er war als Captain seines Teams auch so wichtig, »dass wir versuchten, Spiele aus fadenscheinigen Gründen abzusagen, wenn er einmal krank war«.

Beim örtlichen Premierligisten Newcastle wurde man jedoch trotz dieser Erfolgsstatistiken auf das schussgewaltige junge Talent nicht aufmerksam. Experten rechneten später aus, dass diese Unachtsamkeit den Verein rund 15 Millionen Pfund gekostet haben dürfte, die später, nachdem Shearer international bekannt geworden war, an Transfergeldern angefallen wären.

Mitte der Achtziger, als man in England von Siegen des Nationalteams nur träumen konnte, war wohl auch Alan Shearer weit von Phantasien über Spiele für die britische Equipe entfernt. Im Gegenteil, der junge Kicker war mit ganz anderen Gedanken beschäftigt: Alan Shearer muss damals sehr enttäuscht gewesen sein über das äußerst mangelhafte, vulgo nicht vorhandene Interesse seines Lieblingsclubs Newcastle, dessen Fan er schließlich schon als kleines Kind gewesen war. Er habe als Junge, so erzählte er später gern, einmal stundenlang gewartet, nur, um endlich einmal einen Blick auf sein großes Fußball-Idol Kevin Keegan werfen zu können, und immer davon geträumt, eines Tages der A-Mannschaft von Newcastle anzugehören und vor vollbesetzten Rängen spielen zu dürfen.

Umso schlimmer muss den jungen Alan getroffen haben, dass die Scouts von Newcastle ihn nicht auf der Rechnung hatten. Bei Southhampton beschäftigte man zu seinem Glück dagegen einen weit erfolgreicheren Talentspäher, Joe Hixon; der erkannte das Shearersche Potenzial und sorgte dafür, dass Alan im Alter von 15 Jahren zu seinem Club wechselte.

Fußballinternate und sonstige Weiterbildungsmaßnahmen für die jungen Kicker waren damals noch unbekannt; wer sich für die Profifußballlaufbahn entschied, hatte keinerlei andere berufliche Absicherung, man schaffte es oder man schaffte es halt nicht. Seine Schulbildung habe unter der frühen Entscheidung für die Profilaufbahn sehr gelitten, bedauerte Shearer später in Interviews, seine einzige Qualifikation habe in einer dem deutschen Hauptschulabschluss vergleichbaren mündlichen Prüfung im Fach Englisch bestanden, als Thema habe er, wenig überraschend, Fußball gewählt.

»Meine riesigen Oberschenkel waren wohl die Kompensation für mein mangelndes intellektuelles Wissen«, scherzte der Stürmer gern, wohl wissend, dass einige seiner Statements es in die ewige Hall of Fame der dümmsten Fußballer-Äußerungen Großbritanniens geschafft haben.

»Eines kann man mir nun wirklich nicht vorwerfen, nämlich, dass ich immer mein Bestes gegeben habe«, hatte er so einmal erklärt und sicher etwas völlig anderes gemeint, und auch mit seinem angesichts seiner Berufung in die Nationalmannschaft so stolz geäußerten Satz: »Man bekommt nur einmal die Möglichkeit, zum ersten Mal für England zu spielen«, so ahnte er wohl dunkel, stimmte etwas nicht.

Aber im Jahr 1988 verschwendete Alan Shearer wohl kaum einen Gedanken an den richtigen Sprech angesichts möglicher späterer Internet-Rankings. Dass es einmal das WWW geben würde, ahnte der Jungprofi damals, wie die meisten anderen Menschen, wohl nicht, und für ihn stand sowieso etwas viel Wichtigeres auf dem Spiel: sein Debüt in der englischen Liga. Das verlief durchaus erfolgreich, überdies schaffte er im selben Jahr, der jüngste Spieler zu werden, der jemals einen Hattrick erzielen konnte – trotzdem schaffte er seinen Durchbruch nicht.

Immerhin traf der Spieler Shearer in Southhampton seine zukünftige Frau. Lainya und er hatten sich bei einem Blind Date in einem Pub kennen gelernt. Ihr erstes Treffen litt wohl, so erklärte er später, unter zwei Problemen: Die junge Frau hasste Fußball und verstand Alans breiten Geordie-Akzent nicht. Zudem war der Profi, der lediglich 25 Pfund in der Woche verdiente, ständig pleite, und Lainya musste in den meisten Fällen für ihn mitbezahlen.

1990 heirateten die beiden, mittlerweile haben sie zwei Töchter, Cloe und Hollie, »die mich beide jederzeit in jedem Computerspiel schlagen, da kann man mal sehen, was für ein Leben ich führe«.

Zwei Jahre später musste Familie Shearer fußballbedingt den Wohnort wechseln. 1992 ging Alan Shearer zu den Blackburn Rovers, für die damalige britische Rekordablösesumme von 6,4 Millionen Pfund. Er sollte dort zum einzigen Spieler des Landes werden, der in drei aufeinanderfolgenden Spielzeiten mehr als 30 Treffer erzielte. Zudem verhalf der Stürmer seinem Verein in der Saison 1994/95 dazu, den ersten Meistertitel nach 81 Jahren zu gewinnen.

Der ganz große Durchbruch gelang Alan Shearer jedoch bei der Fußball-Europameisterschaft 1996. Mit sechs Toren wurde er zum Top-Scorer – und anschließend mit Angeboten in- und ausländischer Vereine förmlich überschüttet. Der nunmehr 26jährige wies sie jedoch alle zurück, um sich seinen Kindheitstraum zu erfüllen und bei Newcastle zu kicken. »Das war das Einzige, was ich mir immer gewünscht habe, ich stand als kleiner Junge auf der Tribüne und träumte davon, eines Tages im schwarz-weißen Dress dort unten auf dem Platz aufzulaufen.«

Es folgte der bis dato teuerste Wechsel nicht nur in der britischen Fußballgeschichte, sondern der ganzen Welt. 15 Millionen Pfund investierte Newcastle, um das einst verschmähte Talent zu verpflichten. 15 000 Fans standen bei seiner Ankunft im Regen herum, nur um ihn winken zu sehen, wie sich Shearer später erinnern sollte.

Viel Spaß sollte er nach dem Wechsel in seine Heimat aber nicht haben: Sein großes Idol Kevin Keegan, unter dem spielen zu können er sich so gefreut hatte, verließ kurz darauf den Verein fluchtartig, zudem setzte eine ausgesprochen schwere Verletzungsserie ein. Shearer setzte jedoch alles daran, sich jedes Mal möglichst rasch zu erholen, was er auch 1997 schaffte, als er gerade rechtzeitig genug wieder fit wurde, um Newcastle zu helfen, die Relegation zu vermeiden.

Er hatte jedoch auch schon für diesen Fall einen noch heute in England gern zitierten Satz parat: »Ich möchte hier auf keinen Fall wieder weg, ich werde hier für den Rest meines Lebens bleiben und danach hoffentlich auch noch.« Es sieht so aus, als könne ihm dies gelingen.