Das Armenhaus Europas

Am 25. April werden die EU-Beitrittsverträge mit Bulgarien und Rumänien unterzeichnet. Kurz vor den Parlamentswahlen in Bulgarien versuchen alle maßgeblichen Politiker, sich als große Europäer zu profilieren. von jutta sommerbauer, sofia

Dramatik und Happy End in Straßburg«, titelte die bulgarische Tageszeitung Dnevnik nach der Abstimmung über den Beitritt Bulgariens und Rumäniens vergangene Woche im EU-Parlament. Kurz vor der Abstimmung ging es im Parlament noch einmal turbulent zu. Die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) forderte eine Verschiebung des Votums. Grund dafür waren aus ihrer Sicht ungerechtfertigte Finanzzusagen an die beiden Länder. Der EU-Ministerrat hat Rumänien und Bulgarien, deren Beitritt Anfang 2007 über die Bühne gehen soll, bis 2013 über 43 Milliarden Euro zugesagt. Bei der Verteilung der Finanzmittel habe man die Haushaltsrechte des EU-Parlaments übergangen, meintdie EVP.

Eine gemeinsame »Versöhnungserklärung« rettete schließlich die Abstimmung, bei der 522 Abgeordnete für die Aufnahme Bulgariens und 497 für den Beitritt Rumäniens stimmten. Dagegen stimmten 70 bzw. 93 Abgeordnete. Auch Angehörige der grünen Parlamentsfraktion dürften darunter gewesen sein. Daniel Cohn-Bendit kritisierte etwa, dass Ländern, die noch erhebliche Defizite bei der Erfüllung der Kriterien hätten, »Blankoschecks« für den Beitritt ausgestellt würden. Auch forderte er eine Verschiebung des Votums auf den Spätherbst – im November erscheint der alljährliche »Fortschrittsbericht« der EU-Kommission.

Doch von Blankoschecks kann gar keine Rede sein. Falls nämlich Bulgarien und Rumänien doch nicht so brav »ihre Hausaufgaben machen«, wie es die Europaparlamentarier verlangen, hat die EU bereits vorgesorgt. Wenn einzelne Vorgaben nicht erfüllt werden, kann die Kommission mittels einer »Schutzklausel« den Beitritt um ein Jahr verschieben (Jungle World, 50/04). Dieses Instrument, das in dieser Form erstmals angewendet wird, scheint die EU auch bei künftigen Beitrittskandidaten gebrauchen zu wollen.

Voraussichtlich werden die bereits bekannten Kritikpunkte auch im diesjährigen »Fortschrittsbericht« der Kommission zu finden sein. Von Bulgarien und Rumänien werden vor allem die Reform des Justizsystems, der Kampf gegen Korruption und das »organisierte Verbrechen« sowie die Einhaltung der Rechte der Minderheiten gefordert. Denn dass die Regierungen der beiden Nachbarländer in einigen Monaten alle diese Probleme regeln können, ist unwahrscheinlich.

In Bulgarien stehen für den 25. Juni zudem Parlamentswahlen an. Der nächsten Regierung wird wohl die Ehre zuteil werden, die »Rückkehr nach Europa« offiziell mit der EU zu besiegeln. Diese symbolisch aufgeladene Gelegenheit will sich natürlich keine Partei entgehen lassen. Dass gerade sie einen Löwenanteil zur »Europäisierung« des Landes beigetragen hätten, behaupten daher alle Politiker, die zur Wahl antreten.

Dass der im Westen so beliebte Premierminister Simeon Sakskoburggotski, legitimer Nachfolger des letzten regierenden Zaren von Bulgarien, mit seiner »Bewegung Simeon II.« abermals einen Wahlsieg davontragen kann, ist auszuschließen. In Umfragen wird ein Absturz der Bewegung auf dreizehn Prozent prognostiziert. Der Gang in die Opposition scheint fast unausweichlich. Im besten Fall könnte Simeons Partei Juniorpartnerin in einer Koalition mit der derzeit oppositionellen Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) werden. Denn die BSP ist derzeit populär. Ihr Vorsitzender, der 39jährige Sergej Stanishev, hat bereits Anspruch auf den Posten des Premierministers erhoben.

Auch die BSP bekennt sich zum EU-Beitritt, wenn auch weniger euphorisch als die Partei des Zaren. Sie möchte eine Volksabstimmung über den Beitritt durchführen. Bei dem kontrovers diskutierten Thema Atomenergie könnte sie beispielsweise weniger kompromissbereit sein. Bei der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit der EU hat sich Bulgarien dazu verpflichtet, das Atomkraftwerk Kozloduj stufenweise abzuschalten. Diese Maßnahme ist innenpolitisch sehr umstritten, da damit die eigenständige Energieversorgung auf dem Spiel steht.

Der Präsident des Europäischen Parlaments Josep Borell verglich nach der EU-Abstimmung die wirtschaftliche Lage Bulgariens mit der von Spanien vor zwanzig Jahren. Dass man in dieser Rechnung getrost noch ein paar Jahrzehnte dazuzählen kann, dürfte die westeuropäischen Investoren beruhigen. Sie können in der Zwischenzeit das Lohngefälle nutzen. Deutschland ist einer der führenden ausländischen Investoren in Bulgarien. 496 Millionen von insgesamt 5,8 Milliarden Euro kamen im vergangenen Jahr aus deutschen Landen.

Ein Hin und Her fand in den vergangenen Wochen zwischen dem Finanzminister Milen Velchev und dem Leiter der IWF-Mission in Bulgarien, Hans Flickenschild, statt. Dieser hatte die höheren bulgarischen Budgetausgaben kritisiert und sich anfänglich gegen die von der Regierung beschlossene Anhebung des Mindestlohns gestellt. Die Regierung wollte den Mindestlohn von 120 Leva, etwa 60 Euro, auf 150 Leva im Monat anheben. Die Sorge der Marktideologen, dass dadurch die Arbeitslosigkeit in die Höhe schnellen werde, ist unbegründet. Auch 150 Leva reichen nicht wirklich zum Überleben. Die Menschen sind auf zusätzliche Einkommensquellen angewiesen. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt derzeit bei dreizehn Prozent. Innerhalb des nächsten Jahres wolle man die magische Zehnprozentmarke erreichen, sagte die Sozialministerin Hristina Hristova vergangene Woche. Damit hätte man dann den EU-Durchschnitt erreicht.

Noch erhoffen sich viele Bulgaren große Verbesserungen vom EU-Beitritt. Viele Erwartungen dürften aber enttäuscht werden. Schon jetzt ist zu bemerken, dass antiwestliche und antiamerikanische Stimmen an Einfluss gewinnen. Zwar wird radikale Agitation gegen den Beitritt bis jetzt nur von einzelnen Demagogen wie dem nationalistischen Buchautor und Fernsehmoderator Volen Siderov betrieben. Dass es jedoch durchaus Ressentiments in der Bevölkerung gibt, zeigen die Angriffe auf Außenminister Solomon Passi, einen erklärten Anhänger der Nato- und EU-Erweiterung. Er wird auch in Medienberichten als »unechter Bulgare« und »ausländischer Agent« bezeichnet, der den Ausverkauf des Landes betreibe. Wobei diese Formulierungen umso brisanter sind, da Passi jüdischer Herkunft ist.

Dass die bulgarische Regierung die 460 im Irak stationierten Soldaten bis Ende dieses Jahres abziehen will, wird in der Bevölkerung mehrheitlich begrüßt und von allen Parteien unterstützt. Bulgariens Irak-Mission, mit der man sich vor den westlichen Bündnispartnern profilieren wollte und sich Schelte von maßgeblichen Teilen der EU einhandelte, ist damit geplatzt. Innenpolitisch war die Truppenentsendung immer umstritten. Derweil gefällt man sich in der Rolle als Musterschüler der Europäischen Integration. Mit Rumänien werde die EU jedenfalls viel mehr Probleme haben als mit Bulgarien, sagte ein bulgarischer Staatsbürger im ARD-Radio nach der siegreichen Abstimmung. Eine Meinung, die viele Bulgaren teilen.

Doch zunächst können derartige Animositäten ruhen. Momentan wird von den beiden Ländern nur ein dankbares Lächeln und ausgiebiges Händeschütteln erwartet. Kommenden Montag bittet die EU zum Fototermin: Dann werden die Beitrittsverträge in Luxemburg unterzeichnet.