Erspielt das Menschenrecht!

Der FC Internationale aus Berlin feiert seinen 25. Geburtstag und weiß nicht, ob er ein normaler oder ein besonderer Verein ist. von martin krauss

Ein Kommunist gab Auskunft: »In diesem normalen Verein bin ich Mitglied, und einige andere Genossen auch. Es ist der FC Internationale. Trotz seiner Normalität unterscheidet sich unser Verein in mancher Hinsicht von den anderen dieser Stadt.« Dieses Lob ist nachlesbar in den Protokollen der »Verhandlungen des VII. Parteitags der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins« (SEW) vom Mai 1984.

Vier Jahre zuvor, 1980, war der beinahe normale Verein in Westberlin gegründet worden. Als Gründungsvater gilt Karl-Heinz Hamburger, damals Dozent für Politische Wissenschaft an der Freien Universität Berlin. Er war schon eine Weile als Trainer im Berliner Fußball unterwegs. Als er einmal gefeuert wurde, fragte ihn ein Freund, warum er nicht einen eigenen Verein gründe. »Grundidee war, dass es ein Verein ist, bei dem niemand diskriminiert wird. Nicht wegen seiner Herkunft, aber auch nicht, weil er nicht so gut Fußball spielt.«

Dieser Verein gründete sich dann. »Wir beschlossen, uns in Schöneberg anzusiedeln«, sagt Hamburger. Heißen sollte der neue Verein »FC Berlin 1980 e.V.«, aber der Name war geschützt, denn immer wieder gab es in der Frontstadt Debatten, ob nicht Hertha, TeBe etc. fusionieren sollten, um die Berliner Fußballmisere zu beheben.

Die Vereinsgründer kamen auf den Namen »Internationale«. »Das hatte nichts mit dem Lied oder dem politischen Begriff zu tun«, behauptet Hamburger, dem auch Nähe zur SEW nachgesagt wurde, noch heute. Vielmehr verweist er darauf, dass Spieler aus zehn Nationen dabei waren.

Der Berliner Fußballverband lehnte jedoch ab. Einen »kommunistischen Beiklang« hörte man im Wort »Internationale« heraus und schlug die Streichung des »e« vor: »FC International« würde akzeptiert.

Das Berliner Fachblatt Fußballwoche schrieb: »Hier könnte sich mehr als nur eine Vereinsgründung zugetragen haben, selbst wenn einige der Vorstellungen sehr idealistisch erscheinen.«

Gemeint war die strikte Ablehnung des Geldes. »Die enttäuschende Erfahrung, dass im Berliner Amateur-Fußball bis in die untersten Spielklassen hinein das Geld eine wesentliche Rolle spielt«, habe zur Gründung geführt, heißt es im Antrag des Vereins an den Berliner Sportsenator auf Förderungswürdigkeit.

Werner Kawald, heute 3. Vorsitzender, erinnert sich: »Viele kickten vorher in der TU-Liga, die es damals schon gab. Einige waren auch in Vereinen, wo sie sich aber nicht gut fühlten. Als Student wird man in normalen Vereinen gerne als Außenseiter behandelt.«

Auch gute Vereinsfußballer stießen zu Internationale. »Es war ja so, dass die Leute zu uns kamen, gerade weil wir kein Geld zahlten«, sagt Uwe Kirchner, »da gab es manchmal eine Trainingsbeteiligung von 28 Leuten. So was habe ich nie wieder erlebt.« Er arbeitet heute in der Sportredaktion des WDR in Köln.

Die Absage ans Geld war keine Absage an den Ligabetrieb. »Das Grundprinzip, trotz unseres Namens und trotz unserer Herkunft, ist, dass wir nach Leistung spielen«, sagt Thomas Fehlker, Leiter der Jugendabteilung, 2. Vorsitzender und auch ein Alt-Internationaler. »Wir sind bewusst im Ligabetrieb und nicht in der Freizeitliga.«

Das Konzept ging auf. »Wir haben ja in die Kreisliga A fast einen Durchmarsch gemacht«, erinnert sich Uwe Kirchner, der damals in der ersten Mannschaft spielte. »Natürlich waren viele dabei, die politisch aktiv waren, aber nicht nur. Auf jeden Fall ist man bewusst zu Inter gegangen.« Oder man ist so dazugestoßen: »Ich bin zu Inter, weil ich in Schöneberg wohnte, nachdem ich nach Berlin gezogen war, und einfach Fußball spielen wollte«, sagt Thomas Fehlker, »mein Arbeitskollege war so ein Altmarxist, der kannte Inter. Das passte.«

Karl-Heinz Hamburger behauptet heute, es sei nicht geplant gewesen, politisch zu wirken, »wir wurden auch in die politische Ecke gedrängt«. Nachdem aber im September 1981 der 18jährige Klaus-Jürgen Rattay bei einer Demonstration getötet wurde, spielte Inter mit Trauerflor, und als 1982 die Berliner AEG-Werke geschlossen wurden, trat die Mannschaft an mit dem Trikotaufdruck: »AEG Arbeitsplätze sichern!«

Ostern 1982 sollte ein »Friedensturnier« veranstaltet werden. Alle Berliner Vereine wurden eingeladen, der »Krefelder Appell«, eine Unterschriftenaktion gegen den Nachrüstungsbeschluss der Nato, wurde als Motto gewählt. Die meisten der angeschriebenen Vereine antworteten nicht, einige sagten zu, und wenige lehnten ab. Der VfL Schöneberg etwa wollte sich nicht »vor einen politischen Karren spannen« lassen.

Bei Inter sah man das anders und hatte die ersten Jahre auch Erfolg. Doch die Bewegung verebbte, das Osterturnier wanderte zunächst auf den Pfingsttermin und dann raus aus dem Turnierkalender. »Es fehlen die Leute, die das organisieren könnten«, sagt Werner Kawald. Und es fehlt wohl auch das Klima, die ein solches Turnier unerlässlich erscheinen lässt. »Die Jungen, die etwa jetzt in der ersten Mannschaft spielen, kommen nicht mehr aus dem Inter-Milieu.«

Ein erster großer Streit im Verein rankte sich um die Frage, ob man nicht wenigstens den Trainern eine Aufwandsentschädigung zahlen müsste. »Mitte der achtziger Jahre war Werner Kawald Vorsitzender bei Inter, gleichzeitig war er bei Olympiakos, einem griechischen Verein«, berichtet Hamburger. »Kawald wollte eine Fusion. Olympiakos gehörte jedoch zu den Geldzahlern. Öffentlich sagten sie das natürlich nicht – aber ich habe das herausgefunden.«

Hamburger und seine Leute wollten das verhindern, Kawald scheiterte. »Letztlich wurde das von beiden Seiten abgelehnt«, sagt er heute. »Die Griechen wollten groß rauskommen, und die hatten auch Gemüsehändler und Tavernenbesitzer an der Hand, die Geld gegeben hätten.«

Auch andere Aktivitäten stießen nicht auf Gegenliebe. »Wir hatten einmal privat zu dritt einen Trainer der ersten Mannschaft finanziert. Als das rauskam, gab es einen Riesenärger.« Hamburger hält das bis heute für einen Fehler. »Es kommt auf den Überbau an«, sagt er. »Man braucht ein klares Ziel, das zeigt, wo man hin will, wer man sein will, und das darf man nicht aus den Augen verlieren.«

Das sah dann so aus: »Westberliner Breitensportler begrüßen Gorbatschow-Initiative«, hieß es im Januar 1986 in Die Wahrheit, der Tageszeitung der SEW. Ein Inter-Fußballer äußerte sich zu den Abrüstungsideen der Sowjetunion: »In unserem Verein wurden die jüngsten Gorbatschow-Vorschläge bisher kaum diskutiert, weil ihr konkreter Inhalt noch nicht im erwünschten Umfang bekanntgeworden ist. Es liest nun mal nicht jeder Sportkamerad und jede Sportkameradin täglich Die Wahrheit.«

Trotz solcher Eskapaden entwickelte sich der Sport. Ein guter Trainer wurde geholt, dem man bloß eine symbolische Mark zahlte. Das war mehr als der symbolische Durchbruch: Der Klub kickte sich hoch bis in die Landesliga, wo er zehn Jahre blieb, bis 2004. Zwischendurch wurde mit Mirjana Kovacev eine Trainerin verpflichtet.

Immerhin, der Trainer wurde mittlerweile bezahlt, aber nun gab es Streit um Trikotwerbung. Eine »Grundwertekommission« wurde gegründet. Nachwirkungen gibt es immer noch. Vor kurzem wurde das Angebot einer türkischen Bank abgelehnt, weil man den Namen »Internationale« doch nicht in Verbindung mit einem Finanzinstitut sehen möchte.

Außerdem gilt: »Im Jugendbereich machen wir keine Trikotwerbung«, so Fehlker. »Die Jugendlichen sollen sich mit dem Verein identifizieren, nicht mit irgend ’ner Pizzeria.« Die Jugendabteilung ist mittlerweile groß. 23 Mannschaften mit etwa 70 Betreuern halten den Laden zusammen. Einmal kam der damalige Boxeuropameister Oktay Urkal und wollte seinen Sohn anmelden. »Der wurde von den zuständigen Trainern weggeschickt, weil die Mannschaft schon zu voll war«, erzählt Fehlker. »So etwas ist natürlich peinlich.«

So sehr man im ganzen Verein stolz auf die gute Jugendarbeit ist, so sehr sind die daraus entstehenden Probleme Gegenstand von Diskussionen. »In den ersten 20 Jahren ist der Club auf 200 Mitglieder gewachsen. In den letzten fünf Jahren aber von 200 zu 600 Mitgliedern«, sagt Hubert. Der Streit, ob Inter ein mehr oder weniger normaler Kiezverein ist oder sich weiter als alternativen Club für ganz Berlin verstehen soll, belastete Mitte März auch die Jahreshauptversammlung und bringt den Verein an den Rand einer Spaltung.

Aber schon dass der Streit stattfindet, ist ein Rückfall in die gute alte Inter-Zeit. »Diese Versammlungen waren ja legendär«, erinnert sich Uwe Kirchner, »das war ja fast wie Schalke.«