Sorry für die Story

Newsweek hat sich für die Koran-Affäre entschuldigt. Doch wie lückenhaft war die Recherche wirklich? von martin schwarz

Auch nach der knappen Entschuldigung der Newsweek-Redaktion für den Bericht über die Zustände im Gefangenenlager Guantanamo halten die weltweiten Proteste von Muslimen gegen die US-Regierung und die Methoden ihrer Anti-Terror-Ermittler an. Exakt 240 Wörter hat Newsweek-Redakteur Marc Whitaker gebraucht, um sich für die Geschichte zu entschuldigen. Die Proteste gegen die USA und das Blatt, den Überbringer der schlechten Botschaft, gehen indessen weiter.

Am Freitag vergangener Woche gingen in der somalischen Hauptstadt Mogadischu Tausende Moslems auf die Straße. »Im Namen der islamischen Gemeinschaft verdamme ich Amerika und seine Regierung wegen der Misshandlungen der Gefangenen in Guantanamo und unserer Leute in Afghanistan und Irak«, hieß es in den Protesten. Etwas konkreter wurden andere Demonstranten: »Derjenige, der unseren Koran als Toilettenpapier benutzt, ist unser erster Feind.«

Laura Bush, die in politischen Fragen bisher eher zurückhaltend war, gab sich entsetzt über die Vorwürfe und gleichsam erleichtert über die Entschuldigung von Newsweek für die Story, die offenbar nicht optimal recherchiert worden sei. »Ich freue mich, dass sie die Geschichte zurückgezogen haben, aber wirklich wichtig ist, den Menschen im Mittleren Osten klar zu machen, wie wir wirklich sind und dass der Respekt für andere Religionen eine große Rolle in unserem Land spielt.«

Dass die First Lady glücklich über den Rückzieher von Newsweek ist, ist verständlich. »Ich denke, es ist großer Schaden verursacht worden«, meinte etwa US-Außenministerin Condoleezza Rice. Ihr Außenministerium soll in den vergangenen Tagen die Chefetage des Magazins zum Rückzug der Geschichte gedrängt haben. Das Kalkül dahinter, die Reputation der USA zu retten und die teilweise gewalttätigen Proteste von Muslimen, bei denen mehrere Menschen starben, unter Kontrolle zu bekommen, scheint nur bedingt aufzugehen.

Doch wie falsch ist eigentlich die Recherche von Newsweek, wonach die Ermittler im Gefangenenlager Guantanamo die muslimischen Häftlinge gezielt demütigten, indem sie deren religiöse Symbole beleidigten und Ausgaben des Korans auf den Boden oder in die Toilette warfen? Hat Newsweek die Story frei erfunden? Wohl kaum. Denn die Geschichte ist nichts anderes als eine Variation vieler anderer und sehr ähnlicher Darstellungen, die in den vergangenen Jahren in den Medien erschienen sind. Im Unterschied zu den Newsweek-Enthüllungen sind diese Recherchen aber nie bis zu den Muslimen in Afghanistan, im Irak und anderen Ländern durchgedrungen.

Das Internationale Rote Kreuz stützte inzwischen die Darstellung von Newsweek. Schon in den Jahren 2002 und 2003 habe man das US-Außenministerium mehrmals gewarnt, dass Gefangene durch einen beleidigenden Umgang mit dem Koran unter Druck gesetzt würden. Richard Boucher, ein Sprecher des US-Außenministeriums, musste bestätigen, diese Warnungen erhalten zu haben. Als Konsequenz habe man sofort scharfe Richtlinien über erlaubte und unerlaubte Verhörmethoden erlassen und derartige Exzesse verboten, erklärte er. Das Rote Kreuz allerdings kontert nun, dass die Ermittler in Guantanamo auf die Richtlinien aus Washington nicht viel mehr Rücksicht nahmen als auf den Koran selbst. Die Beleidigungen des muslimischen Religionssymbols sollen weiter gegangen sein.

Mag sein, dass die Enthüllungen des Roten Kreuzes die Freude des Weißen Hauses über das Dementi von Newsweek erheblich getrübt haben, denn die Darstellung der Hilfsorganisation dürfte für die muslimische Welt weit glaubwürdiger sein als die Berichte US-amerikanischer Medien. Wobei die Medien in den vergangenen Monaten immer wieder über die Vorgänge in dem Gefangenenlager berichtet haben und die Newsweek-Story in ihrer Substanz keineswegs so exklusiv war, wie es die blutigen Konsequenzen nahe legen.

Spätestens seit Januar berichten US-Medien unter Berufung auf unterschiedliche Quellen – etwa auf die Aussagen von ehemaligen Gefangenen – kontinuierlich über die Vorgänge in dem Anti-Terror-Camp. Schon am 1. Mai, also neun Tage bevor der Newsweek-Artikel erschien, meldete etwa die New York Times einen Hungerstreik von Gefangenen im März 2002. Die Häftlinge reagierten damals auf die Rituale mehrerer Ermittler, die den Koran mit Füßen getreten haben sollen, um die Gefangenen zu zermürben. Die New York Times hat für ihre Story gar mit einem ehemaligen Ermittler in dem Gefangenenlager gesprochen: »Er bestätigte die Angaben über Hungerstreiks und bedauerte die Behandlung des Koran«, heißt es in der Reportage. Ebenfalls um die Vorgänge im März 2002 geht es in einem Artikel, den der britische Guardian bereits im Dezember 2003 veröffentlichte und der als Hauptzeugen den ehemaligen Gefangenen Shafiq Rasul nennt. Auch der Vorwurf, US-Ermittler hätten den Koran die Toilette hinuntergespült, ist nicht neu und schon gar keine Erfindung des in die Bredouille geratenen Nachrichtenmagazins Newsweek. So berichtete die Washington Post bereits im März 2003 über derartige Vorgänge und berief sich auf die Aussagen eines anderen ehemaligen Häftlings: »Wir weinten und schrieen und baten die Männer, das nicht mit dem Koran zu tun«, zitiert das Blatt einen 29jährigen, der unschuldig in Guantanamo saß. Doch seine Geschichte fand damals kaum Beachtung, immerhin befanden sich zum damaligen Zeitpunkt die USA erst wenige Tage im Krieg mit dem Irak.

Auch im US-Lager in Bagram in Afghanistan, einer Sammelstelle für mutmaßliche Kämpfer der Taliban, soll es derartige Exzesse gegeben haben, berichtete zumindest die marokkanische Zeitung La Gazette du Maroc in einer Ausgabe vom April dieses Jahres. »Die Amerikaner haben auf den Koran uriniert«, wird der frühere Häftling Mohamed Mazouz zitiert. Auch er saß unschuldig ein.

Das Problem von Newsweek dürfte nicht die Darstellung selbst sein, sondern die Auswahl der Quellen. Der Newsweek-Redakteur Marc Whitaker hatte für seine Story zwei Beamte des US-Verteidigungsministeriums befragt, die interne Berichte des Pentagon über die Vorgänge gesehen haben wollten. Allerdings scheinen diese beiden Zeugen dem Druck der Regierung nachgegeben zu haben, beide konnten sich plötzlich nicht mehr so genau erinnern oder mussten zugeben, einiges verwechselt zu haben.

Hätte es die gewalttätigen Proteste der Muslime vor allem in Afghanistan nicht gegeben, wäre die Geschichte wohl unkommentiert in den Archiven gelandet. Schließlich kann es sich die Regierung Bush gerade zu Beginn ihrer groß angelegten Charme-Offensive gegenüber Europa und dem Mittleren Osten nicht leisten, als barbarische Macht geoutet zu werden. Und das Fazit lautet: Manchmal tut auch Medien allzu große Öffentlichkeit gar nicht gut.