Ein Trainer für die Ewigkeit

Nach 44 Jahren hat Guy Roux seinen Job als Trainer des französischen Fußballclubs AJ Auxerre an den Nagel gehängt. von elke wittich

Wenn jemand einen sicheren Job mit festen Arbeitszeiten sucht, wird er eines mal ganz sicher nicht: Fußballtrainer. Die Coaches sind nicht nur jedes Wochenende im Einsatz, sondern vor allem auch extrem gefährdet, hinausgeworfen zu werden. Wer länger als zwei Jahre im gleichen Club angestellt ist, gilt bereits als Urgestein. Rekordhalter im internationalen Profifußball dürfte Guy Roux sein. Er begann im Jahr 1961 seine Laufbahn beim französischen Erstligisten AJ Auxerre und trat jetzt, nach 44 Jahren, von seinem Posten zurück.

»Die Entscheidung ist definitiv. Ich hätte mir gewünscht, dass er noch ein Jahr weitermacht, aber die Ärzte haben ihm dringend geraten, sich den Stress nicht mehr anzutun. Das müssen wir respektieren«, erklärte Auxerres Präsident Jean Claude Hamel den überraschenden Entschluss von Roux, der tags zuvor noch mit seinem Team im Stade de France vor mehr als 77 000 Zuschauern zum vierten Mal das französische Pokalfinale gewonnen hatte. Und er fügte fassungslos hinzu: »Es ist traurig. Wir sind wie Brüder – ich der ältere, er der jüngere. Als ich davon hörte, stand meine Frau neben mir und weinte.«

Der Trainer selber sagte: »Das ist der Augenblick, um Schluss zu machen. Ich habe mehrere Wochen darüber nachgedacht.« Es sei »besser, ich höre jetzt nach einem Titel auf. Ich möchte von den Zuschauern hier nicht ausgepfiffen und zum Rücktritt aufgefordert werden.« Der Zeitpunkt sei genau richtig, »ich wollte auf dem Höhepunkt aufhören. Die Zukunft des Vereins sieht rosig aus, die Saison war toll, und um die Finanzen ist es gut bestellt.« Ganz so freiwillig war sein Rücktritt jedoch nicht. Im Jahr 2001 erlitt er auf dem Trainingsplatz einen Herzinfarkt, weswegen er sich einer Bypass-Operation unterziehen musste. Die Ärzte rieten ihm kurz vor dem Pokalfinale dringend zur Ruhe.

Wie schwer dem 66jährigen dieser Schritt gefallen sein muss, wird daran deutlich, wie sehr er sein Leben auf seinen Job ausgerichtet hat. Und wie viel Erfolg er mit AJA hatte! Eigentlich war Auxerre ein verschlafener Provinzclub, als der ehemalige Mittelfeldspieler Roux im Juli 1961 seinen Posten antrat. Der Verein dümpelte in der vierten Liga herum, die 40 000 Einwohner des im Burgund, 170 Kilometer vor Paris gelegenen Kleinstädtchens interessierten sich nicht sonderlich für ihren Club. Um die 200 Zuschauer zog es durchschnittlich in das kleine Stadion, entsprechend miserabel war es um die Finanzen des Vereins bestellt. Guy Roux wurde genommen, weil er der Kandidat war, der am wenigsten Geld verlangte und auch Aufgaben erledigte, die mit denen des Trainers nichts zu tun hatten: Er wusch zum Beispiel die Trikots seiner Spieler und markierte den Anstoßkreis und die Strafraumgrenze des Platzes selber.

Gemeinsam mit dem jetzigen Präsidenten Jean Claude Hamel, der den jungen Guy damals in seiner Eigenschaft als Sportchef zum Verein holte, machte er sich aber auch daran, AJA zu einem modernen Proficlub zu machen. Ende der siebziger Jahre war es schließlich so weit: Auxerre machte zunächst im französischen Pokalwettbewerb von sich reden, 1979 kam man sogar bis ins Finale. Außerdem schaffte der Verein den Aufstieg in die erste Liga, am 24. Juli 1980 wurde das erste Spiel angepfiffen.

Roux hatte zuvor immer wieder Geschick nicht nur bei der Spielersuche, sondern auch bei der Ausbildung junger Kicker bewiesen. Er gründete 1982 eine Jugendakademie und band die Talente so langfristig an den Verein, sorgte für umfassendes Training und verkaufte die fertig ausgebildeten Stars dann für viel Geld an renommierte Spitzenmannschaften der französischen und internationalen Ligen.

Viele berühmte Kicker wurden von ihm entdeckt: Djibril Cissé, Phillipe Mexes, Jean-Alain Boumsong, Olivier Kapo. Und Eric Cantona, der als 15jähriger von ihm verpflichtet wurde. Doch, es sei schon ziemlich schwierig gewesen, mit dem enfant terrible klarzukommen, erzählte der Trainer rückblickend. »Die ganzen sieben Jahre, die er bei uns verbracht hat, habe ich eigentlich nichts anderes getan, als ihn in Schach zu halten«, lachte er. »Ich mag ihn wirklich furchtbar gern, er hat zwar einigen Ärger verursacht, aber dafür schenkte er uns wunderbare fußballerische Momente. Und er hat ein Herz aus Gold!«

Mit dem Bosman-Urteil des Europäischen Gerichtshofs, in dem 1995 das Transfersystem und die Ausländerregelung im europäischen Profifußball aufgehoben wurden, musste Auxerre dann zwar einen empfindlichen Rückschlag in seiner bisherigen Transferpolitik hinnehmen, aber Roux schaffte es trotzdem, dem Verein 1996 zum bis heute einzigen Meistertitel zu verhelfen. 1997 brachte AJA es in der Champions League immerhin bis zum Viertelfinale, wo man gegen den späteren Sieger Borussia Dortmund ausschied.

Vorausschauend hatte Roux schon früh darauf gedrängt, das heruntergekommene Vereinsstadion durch eine Arena zu ersetzen, die den Kriterien der Uefa für internationale Begegnungen entsprach. Er sah übrigens den Aufstieg in die dritte Liga noch nach Jahrzehnten als sein schönstes sportliches Erlebnis an: »In dieser Nacht wartete ich darauf, bis die Lokalzeitung gedruckt war, um den Artikel über unser Spiel zu lesen. Ich habe die ganze Nacht hindurch gefeiert.«

Dabei hätte es für ihn sicher einfachere Wege zum sportlichen Erfolg gegeben, aber er sah sich selber stets als Trainer von Auxerre, zu einem anderen Verein zu wechseln, kam für ihn einfach nicht in Frage. Angebote in- und ausländischer Spitzenmannschaften schlug er regelmäßig aus, und auch als der französische Fußballverband FFF ihn zum Nationalcoach machen wollte, überlegte Roux nicht lange, sondern sagte einfach Nein. Trotzdem oder vielleicht auch deswegen wurde er zum Werbestar, außerdem arbeitet er seit einigen Jahren als Kommentator für das französische Fernsehen.

Dass es sein Nachfolger ebenfalls zum am längsten amtierenden Coach Frankreichs bringen wird, ist allerdings fraglich. Der ehemalige französische Nationaltrainer Jacques Santini ist immerhin schon 53 Jahre alt, und besonders lange hielt er es bislang an keiner seiner Arbeitsstellen aus. Zuletzt trat er nach nur vier Monaten bei den Tottenham Hotspurs »aus persönlichen Gründen«, wie er damals sagte, von seinem Posten zurück.

Und was wird aus Roux? »Ich habe seit 1966 keinen Film mehr gesehen«, sagte er kürzlich in einem Interview, »ich werde mich weiterbilden.« Ganz ohne Fußball wird er sein Rentnerdasein jedoch nicht verbringen. Zum einen will er Fernsehkommentator bleiben, zum anderen wird er bei AJA weiter als Berater tätig sein. Und zur Not wird er wahrscheinlich die Trikots der Mannschaft waschen.