Ein Sender für alle Fälle

Ein alternatives Frauenradio in Nicaragua versorgt sein Publikum mit Sportsendungen, Sexualaufklärung und Umweltberichten und nennt regelmäßig die Namen von Vergewaltigern und Schlägern. von knut henkel

Seit vier Jahren ist die »Stimme der Frau« in der nicaraguanischen Kleinstadt Bocana de Paiwas zu hören. Täglich von fünf Uhr morgens bis 17 Uhr ist der alternative Radiosender auf Sendung und tritt für die Rechte der Frauen ein. Dafür haben die Programmmacherinnen den international bekannten Medienpreis der britischen Stiftung One World Broadcasting erhalten. Jeden Dienstag ist Markttag in Bocana de Paiwas. Für Yamileth Chavarría ein wichtiger Arbeitstag, denn dann kommen die Frauen aus den umliegenden Dörfern in die kleine Provinzstadt. Und manche von ihnen steuern schnurstracks auf das kleine Haus zu, in dem die Radiostation »Palabra de la Muyer« (Stimme der Frau) untergebracht ist. Kommentare und Anregungen zum Programm wollen sie loswerden, und viele fragen nach der »schwatzhaften Hexe«.

Die »schwatzhafte Hexe« ist die beliebteste Sendung der kleinen Station. Jeden Morgen um fünf läuft die einstündige Sendung von Yamileth Chavarría. Die 33jährige Moderatorin berichtet über alles, was ihr in den letzten Tagen aus den Dörfern und der kleinen Provinzstadt zu Ohren gekommen ist. Und die Mutter zweier Kinder ist äußerst resolut und berichtet, in welchen Häusern Frauen und Kinder geschlagen und missbraucht werden, Einzelheiten werden genauso genannt wie der Name des beschuldigten Mannes.

»Feminismus aus Notwendigkeit ist das«, erklärt Frau Chavarría das populistische Konzept, »denn in Nicaragua kümmert sich kaum jemand um die Rechte der Frau.« Selbst wenn eine Frau grün und blau geschlagen sei, nehme die Polizei nicht unbedingt die Anzeige entgegen. Zumindest nicht, wenn der Täter zum Freundeskreis des Bürgermeisters gehöre, erläutert die Radiomacherin die Zustände in der Region. Zuständig ist die örtliche Polizei ohnehin nicht für alle Straftaten. Um eine Vergewaltigung anzuzeigen, müssen die Frauen von Bocana de Paiwas in die drei Autostunden entfernte Distrikthauptstadt Matagalpa fahren. Eine ausgesprochen kostspielige Reise, die die meisten Frauen sich nicht leisten können.

Für viele von ihnen ist das Radio deshalb eine willkommene Alternative, um das Schweigen zu brechen und gegen die weit verbreitete Macho-Kultur in der rund 50 000 Einwohner zählenden Region Nicaraguas vorzugehen. Bocana de Paiwas ist nichts Besonderes in Nicaragua. Jede dritte nicaraguanische Frau hat schlechte Erfahrungen mit ihrem Partner gemacht, ist geschlagen, misshandelt oder vergewaltigt wurden, so schätzen Experten. Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Perspektivlosigkeit tragen erheblich zur Zunahme der häuslichen Gewalt bei. Doch nur wenige Frauen bringen den Mut auf, ihren Partner anzuzeigen. Nicht allein, weil Vergewaltigungs- und Missbrauchsprozesse extrem belastend für die Opfer sind, sondern auch, weil sie in Nicaragua alles andere als aussichtsreich sind. Polizei und Justiz genießen nicht den besten Ruf, und so könnte das Konzept der öffentlichen Anklage zu einem Beispiel für andere Regionen des Landes werden.

Das Konzept und die Möglichkeiten, die »Palabra de la Muyer« bieten, sprechen sich langsam herum. »Immer mehr Frauen kommen, um bei uns etwas anzuzeigen, was sie selbst betrifft oder was sie in der Nachbarschaft mitbekommen haben, oder um bei uns mitzuarbeiten«, schildert Frau Chavarría die Erfahrungen aus vier Jahren Arbeit. Ein Indikator für den Erfolg des Projekts ist für die Feministin die steigende Zahl von Anzeigen, die beim Radio eingehen, ein anderer die wachsende Zahl der Männer, die dazu gelernt hätten.

Zwei Männer und 14 Frauen bilden derzeit das Sendeteam. Auch die steigende Zahl von Jugendlichen beiderlei Geschlechts, die Beiträge vorbereiten und senden, führt sie als Beispiel für die wachsende Beliebtheit des Senders an. Selbst der konservative Bürgermeister des kleinen Provinzkaffs kann es sich nicht mehr erlauben, den Sender und die dahinter stehende Frauenorganisation von Bocana de Paiwas zu ignorieren.

Anfang Juni wurde die am 17. Januar 2001 gegründete Radiostation mit dem One World Broadcasting Award ausgezeichnet. Der von einer britischen Stiftung verliehene Preis hat in Nicaragua für einiges Aufsehen gesorgt und den Frauen um Yamileth Chavarría zusätzliche Motivation gebracht. Und natürlich war es sie selbst, die zur Preisverleihung am 9. Juni nach London flog, um das Radio, sein Programm und die Finanzierung vorzustellen.

Möglich wurde die Gründung des kommunalen Radios durch das Wiederaufbauprogramm, das helfen sollte, die Schäden zu beheben, die der Hurrikan »Mitch« 1998 angerichtet hatte. Die Hausbauten, die u.a. mit Unterstützung der Christlichen Initiative Romero (CIR) aus Münster zustande kamen, waren günstiger als erwartet ausgefallen.

So konnte die Idee vom kommunalen Radio realisiert werden. Aufnahme- und Sendestudio wurden in einem der Neubauten aus dem Hilfsprogramm eingerichtet. Die Baseballübertragung und die Sportsendungen gehören ebenso wie Umwelt- und Informationssendungen zur Programmstruktur. So hat sich der Sender wiederholt für die Nutzung der Erdwärme in Nicaragua stark gemacht. »Die Vulkankette, die das Land von Nord nach Süd durchzieht, könnte zukünftig die Energie für das von Erdölimporten abhängige Land liefern«, erklärt die Radiomacherin. Eine These, die von Experten gestützt wird. Doch für die Realisierung derartiger Pläne fehlt es an politischem Engagement in Managua, klagt Frau Chavarría. So bleibt es vorerst bei den regelmäßigen Stromausfällen, von denen auch das Radio immer wieder betroffen ist.

Einen wichtigen Teil des Programms bilden allerdings die Sendungen mit informativem und präventivem Anspruch. »Über Verhütungspraktiken informieren wir genauso wie über Gesundheitsprävention«, erklärt Yamileth Chavarría. Die katholischen Würdenträger sind damit zwar nicht einverstanden, aber die Frauen der Radiostation wollen den Mädchen der Region das Risiko einer ungewollten und frühen Schwangerschaft ersparen.

Das präventive Programm im Bereich Gesundheit wie Umwelt wird hingegen mittlerweile von den lokalen Ablegern des Gesundheits-, Umwelt- und Bildungsministeriums gefördert. Gemeinsame Sendungen sind im Laufe der letzten Jahre entstanden und werden ständig aktualisiert und erweitert. Die Behörden leisten dabei einen Teil zur Finanzierung des kommunalen Radios. Ein anderer Teil kommt in Form von Spenden aus dem Ausland. Und den Rest bestreiten die Hörer. Von denen unterstützen viele das Radio regelmäßig, damit das Projekt weitergeführt werden kann.