Funktionale Vierfach-Pest

Boris Mayer aka GM-Graf ist der erfolgreichste Spieler des Online-Fußball-Games Hattrick. von elke wittich

Wer samstags ab 18 Uhr in Deutschland gebannt vor dem Rechner sitzt und, je nach Temperament und Spielausgang, den Bildschirm samt der darauf erscheinenden Schrift wahlweise anschreit oder glücklich streichelt, spielt mit hoher Wahrscheinlichkeit das textbasierte Online-Fußballmanager-Spiel Hattrick. Mehr als 40 000 deutsche User – weltweit sind es über 600 000 – haben derzeit einen eigenen Verein, um den man sich ziemlich viel kümmern muss.

Hauptsächlich mit dem Ziel, in die nächsthöhere Liga aufzusteigen, wobei diese nächsthöhere Serie in den meisten Fällen blöderweise auch immer die nächstniedrigere ist. Wer es jedoch geschafft hat und in der Bundesliga spielt, gehört bei Hattrick ganz unbedingt zur Prominenz.

Wie Boris Mayer aka GM-Graf, dessen virtueller Verein FC Teerlunge an diesem Samstag ein relativ wichtiges Heimspiel hat. Der bärtige Mann mit dem schauderhaften hessischen Akzent sitzt jedoch sehr gelassen vor seinem Rechner, schreibt zwischendurch Mails, telefoniert und stellt mit Hilfe eines Car-Configurators sein nächstes Auto zusammen. Die Tore seines Teams nimmt er dabei lediglich mit einem halblauten »Yes!« zur Kenntnis. Hmmm, kann man sich wirklich derart ans Gewinnen gewöhnen? Und macht das Spiel dann überhaupt noch Spaß?

»Nun, Hattrick ist in erster Linie ein Managergame, in dem der Erfolg kalkulierbar ist. Zu sehen, dass eine ausgeklügelte Taktik Erfolg hat, ist schon sehr befriedigend. Außerdem ist es in der Bundesliga allein schon deswegen interessant, da zwischen den meisten Vereinen schon sehr alte Rivalitäten bestehen – man ist sogar teilweise im richtigen Leben befreundet. So ist dann fast jedes Spiel auch ein Duell auf persönlicher Ebene.« Die Liga beschäftigt sich vorwiegend mit sich selber, neidvoll beobachtet von der unterklassigen Umwelt.

Für die meisten der in den niedrigen Ligen herumdaddelnden Manager verkörpert Mayer zudem noch so etwas wie die personifizierte Vierfach-Pest, schließlich ist er Deutscher Meister, Pokalsieger, Nationaltrainer und Gamemaster. Über seine GM-Tätigkeit möchte der Informatiker nicht reden. Über seinen Verein und die deutsche Hattrick-Nationalmannschaft dagegen umso lieber. Ende Mai wurde GM-Graf von der Community mit großer Mehrheit zum neuen Coach der deutschen Auswahl gewählt, für die in der nächsten Saison stattfindende Weltmeisterschaft ist man schon so gut wie qualifiziert.

Wie viel Zeit er mit Hattrick verbringt, kann Mayer schwer einschätzen. Zum einen ist er sowieso daueronline. »Das Spiel läuft im Hintergrund einfach ständig mit.« Zum anderen hänge der Aufwand natürlich auch vom jeweiligen Gegner ab. »Einige sind wirklich leicht einzuschätzen.« Ein, zwei Stunden investiert er für die Teerlungen-Belange. »Für die Nationalmannschaft gehen dagegen schon drei, vier Stunden die Woche drauf«, sagt er. Dazu gehören nicht nur Gegneranalyse und das Aufstellen der Spieler, sondern auch Besprechungen mit dem Beraterteam. Und Diskussionen mit dauerübelnehmenden anderen Managern, die sich, ganz wie im richtigen Leben, als die besseren Nationalcoaches fühlen und sich zur Not auch ganze Nächte lang trotz gewonnener Spiele in Klagethreads über den Coach mokieren. »Ich denke darüber nach, mal vor einem Match gar nichts zu sagen und dann in aller Ruhe zuzuschauen, wie das Forum platzt«, sagt Mayer. Dass er sicher nicht zu den beliebtesten Usern gehört, störe ihn schließlich »nicht besonders«. Träumt er eigentlich nachts manchmal von Hattrick? »Nein«, lacht er, »im Unterschied zu anderen Computerspielen basiert das Game ja nicht auf visuellen Reizen, Zahlen und Buchstaben können einem im Schlaf wohl kaum durch den Kopf spuken.« Allerdings, räumt er dann doch ein: »Hin und wieder denke ich abends im Bett schon noch darüber nach, wie ich die Mannschaft aufstellen könnte, und manchmal kommen da echt gute Ideen bei raus.« Lässt sich so viel Engagement für ein Online-Spiel eigentlich im Freundeskreis vermitteln? »Och«, sagt Boris Mayer, »ein ziemlich großer Teil spielt selber. Einige andere hätten sicher Interesse, ein eigenes Team anzumelden, aber fürchten sich davor, dass es zu viel Zeit fressen könnte. Und ein paar wenigen sagt das Ganze nix, aber die freuen sich für mich, weil ich eben so viel Spaß daran habe.«

Dem typischen Bild eines sozial vereinsamten Nerds, dessen Sozialkontakte sich auf elektronische Kommunikation beschränken, entspricht Mayer mithin also nicht. Bis zu seinem 13. Lebensjahr hat er beim SKV Rot Weiß Darmstadt gekickt. »Einmal musste ich ins Tor, da ist der Trainer ziemlich ausgerastet, als ich einem Gegner im Strafraum den Ball vom Fuß weggegrätscht habe.« Eine massive Knieverletzung beendete dann jedoch die Kick-Karriere. Gut, holt er die halt bei Hattrick nach. Theoretisch könnten er und das Spiel ganz in Ruhe miteinander alt werden – wenn das denn gewollt ist. »Klar, es kann immer sein, dass man das Interesse an etwas verliert«, räumt er ein. Geht es auch konkreter? Yep: »Veränderungen können immer eintreten, möglicherweise hat man plötzlich einfach keine Zeit mehr für Hattrick. In den mehr als drei Jahren, die ich nun dabei bin, habe ich das des öfteren selbst bei Spielern erlebt, die eigentlich fest davon ausgegangen waren, noch als Rentner im Altersheim ihre Mannschaft zu betreuen. Langeweile wäre ein definitiver Grund für mich, aufzuhören, und die träte ganz sicher ein, wenn die Komplexität, die das Game noch immer auszeichnet, verloren ginge. Neueinsteiger-Freundlichkeit muss zwar sein, aber noch einfacher sollte man es den Newbies nicht machen.«

Muss Mayer nicht manchmal ziemlich heftig lachen, wenn er wieder einen der typischen Anfängerfehler entdeckt? »Nein, warum das denn?«, wundert er sich. »Auch in den ganz unteren Ligen gibt es interessante Mannschaften, die gute Konzepte haben.« Überall gehe es zudem primär ums Geld, das man bei Hattrick durch Zuschauereinnahmen und Spielerverkäufe erwirtschaften kann. »Bei uns in der Bundesliga haben wir zwar im Unterschied zu den meisten anderen kein Problem damit, riesige Summen für Spieler zu bezahlen – aber die Gehälter, die solchen Monstern gezahlt werden müssen, sind auch für uns oft unmöglich zu finanzieren.« Angesichts solcher Aussichten will nicht unbedingt jeder ganz nach oben, vielen genügt es, mit netten Ligakollegen Spaß zu haben oder sich skurrile Ziele zu setzen. Jemanden, der derart rational an das Spiel herangeht wie der derzeit erfolgreichste deutsche Hattrick-Manager, müsste das doch eigentlich mindestens leicht irritieren. »Bullshit, es gibt einfach viele unterschiedliche Herangehensweisen«, konstatiert Mayer. »Manche setzen alles daran, ein nur aus schönen Spielern bestehendes Team zu haben oder eines, in dem die Kicker Frauenvornamen haben, andere haben es sich zum Ziel gesetzt, die schlechteste Mannschaft überhaupt zu haben.« Das alles habe »nun mal definitiv seine Daseinsberechtigung, jeder soll einfach das tun, was am meisten Spaß bringt«. Allerdings, so betont er, »ist dies nicht meine Herangehensweise, ich spiele eben funktional.« Okay. Leistet sich ein ausgewiesener Funktionalist denn wenigstens so etwas wie eine klitzekleine Hattrick-Sentimentalität? Ja, tut er. »Ich habe einen Spieler aus Anfangstagen zurückgekauft. Er kann nix, eigentlich, aber ich werde ihn für immer behalten.«