Das Anti-Gibraltar

Das Verhältnis von Marokko und Spanien wird immer wieder von den Streitigkeiten um die Exklaven in Nordafrika getrübt. von thilo f. papacek

Ceuta ist Spanien!« skandierten etwa 2 000 Demonstranten am Mittwoch vergangener Woche auf den Straßen der Exklave. Sie reagierten damit auf einen Zwischenfall während des Treffens zwischen dem spanischen Regierungschef José Luis Zapatero und seinem marokkanischen Amtskollegen Dris Yetun am 29. September. Eigentlich wollten die beiden Politiker ihr Vorgehen gegen die Flüchtlingsströme koordinieren, bis eine Journalistin ein noch sensibleres Thema ansprach. Ob nicht eine geteilte Souveränität über die Exklaven Melilla und Ceuta die Probleme lösen könne, fragte sie. Wie man im Fernsehen beobachten konnte, schwieg Zapatero lieber zu dem Thema und nahm einen Schluck Wasser. Diese Reaktion aber war vielen Bewohnern Ceutas zu diplomatisch. Sie gingen auf die Straße.

Am Tag nach der Demonstration versuchte Zapatero, die aufgebrachten Bewohner Ceutas zu beruhigen: »Dass Ceuta zu Spanien gehört, steht außer Frage«, erklärte er. Auch kündigte er an, die Exklave demnächst zu besuchen.

Dass er dies vor seinem marokkanischen Amtskollegen nicht so deutlich sagte, hat seine Gründe. Seit der Unabhängigkeit von Frankreich 1956 beansprucht Marokko die Souveränität über die spanischen Exklaven in Nordafrika. Erst vor drei Jahren kam es zu einer diplomatischen Groteske um die »Petersilien-Insel«. Am 11. Juli 2002 landeten marokkanische Grenzsoldaten auf dem unbewohnten Eiland und hissten die Nationalfahne. Keine Woche später landeten spanische Elitesoldaten auf dem Felsen im Meer und nahmen die Marokkaner ohne Gegenwehr fest. »Souveränität wiederherstellen« hieß die eine Million teure Prestigeaktion der spanischen Militärs.

Damit ist dieser Konflikt vergleichsweise friedlich beigelegt worden. 1957 griff Marokko die spanische Kolonie Ifni an, wurde jedoch von Francos Truppen zurückgeschlagen. Das ist kein Wunder, denn die Kolonien in der Sahara dienten seit dem 19. Jahrhundert dazu, eventuell putschwillige Militärs auf Distanz zu halten. Doch Spanien geriet zusehends unter internationalen Druck. Franco musste schließlich nachgeben. Im Jahr 1968 zog sich Spanien aus Ifni zurück, 1975 endlich aus der Westsahara. Mit einem »Grünen Marsch« zogen damals hunderttausende marokkanischer Zivilisten in die Westsahara ein. Die »Frente Polisario«, die sich aus den dort ansässigen Sahauris rekrutiert und einen eigenen Staat fordert, führte lange einen Guerillakrieg gegen Marokko. Unterstützung erhält sie bis heute auch von spanischen Linken.

Die koloniale Vergangenheit ist zwar nicht vergessen, wird aber in Spanien weitgehend ignoriert. Doch bei Melilla und Ceuta ist Madrid unnachgiebig. Im Gegensatz zu den anderen Kolonien gelten die beiden Exklaven als Teil des Kernlands. Schon 1497 eroberte eine spanische Expedition Melilla. Die ehemalige portugiesische Exklave Ceuta ist seit 1668 offiziell spanisch. Als sich Portugal aus der Union mit dem Nachbarland löste, erklärte der Gouverneur Ceutas seine Treue zum spanischen König. »Ceuta ist damit der einzige Teil Spaniens, der freiwillig in den Staat eingetreten ist«, heißt es auf der Homepage ceuta.com.

Die beiden Exklaven gelten daher Nationalisten als ein Symbol spanischer Größe, ein Relikt imperialer Vergangenheit. Während der napoleonischen Besetzung Spaniens blieben Ceuta und Melilla frei von der französischen Herrschaft, von dort aus zog später Franco mit seinen Soldaten gegen die Republik. Ceuta ist wegen seiner strategisch günstigen Lage an der Meerenge zwischen Europa und Afrika Stützpunkt der spanischen Fremdenlegion.

Außerdem sehen viele Spanier nicht ein, warum ausgerechnet sie ihre Exklaven räumen sollten. Schließlich haben sie selbst eine ungeliebte fremde Präsenz auf »ihrem« Territorium. Direkt gegenüber von Ceuta liegt die britische Exklave Gibraltar.