Unbegrenzt haltbar

Arman, der Künstler der Konsumenten, ist tot. von stefan ripplinger

Im vorletzten Jahrhundert teilten sich die französischen Dichter die Welt auf. Alphonse de Lamartine sollte den Himmel, Victor Hugo die Erde besingen, und für den armen Baudelaire blieb nur der Abort übrig. Drei junge Männer aus Nizza taten es ihnen in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts gleich. Den Künstler Yves Klein kürten sie zum Herrscher über die organische, den Dichter Claude Pascal zu dem über die anorganische Natur, und ihr Freund Arman wurde König des Künstlichen.

Aus dieser ersten Konferenz von Nizza folgte außer einigen gemeinsamen Reisen per Rad und Anhalter nicht viel, Pascal ging seiner Wege, doch in den Jahren darauf muss es zu einer erneuten Teilung der Welt gekommen sein. Klein und Arman zerschnitten sie nun in zwei ungleich große Teile. Alles, was an ihr Leere oder Nichts ist, immerhin der Löwenanteil, fiel an Klein. Und alles, was an ihr Müll ist, den ganzen Rest also, übernahm Arman.

Nachdem Klein 1958 in der Pariser Galerie Iris Clert blanke Leere ausgestellt hatte (»Le Vide«), wollte Arman denselben Raum bis an die Decke mit Müll vollstopfen (»Le Plein«). Es dauerte über zwei Jahre, bis die Galeristin von diesem schönen Plan überzeugt werden konnte, doch dann weigerte sich die Pariser Stadtreinigung, ihre Schätze preiszugeben. Schließlich musste der Künstler selbst Müll zusammenkarren. Vor diesem Berg an Mist, der das Schaufenster der Galerie restlos ausfüllte, rief Klein aus: »Nach meiner Leere die Fülle von Arman! Dem Gedächtnis der Weltkunst hat diese entschlossene Mumifizierung des Quantitativismus gefehlt!«

Quantität blieb Armans Gebiet, die Mumifizierung der zerstörten Materie seine Methode. Seine Idee war es, die Zeitungscollagen von Kurt Schwitters ins Dreidimensionale und Monumentale zu übertragen. Während die Ausstellung »Le Plein« noch wahllos Müll anhäufte, trennte er ihn bald nach Bevölkerungs- oder Berufsgruppe – Kinder, Hausfrauen, Friseure –, Ort (er signierte 1961 den Abfall hinter der Metropolitan Opera, New York) oder nach Personen. Er verarbeitete den seiner Freunde Klein, Jim Dine, Jacques de la Villeglé, Sol Le Witt, Roy Lichtenstein, Daniel Spoerri oder auch den des legendären Werbers Charles Wilp (»Sexy, mini, super, flower, pop-op, alles ist in Afri Cola«).

In ihrem Müll porträtiert sich die Person automatisch, behauptete Arman, und nannte die in Glaskästen und -kuben geleerten privaten Papier- und Müllkörbe »Portraits-robot«. Im »Portrait Charles Wilp« (1961) schweben, mit Polyester fixiert, Filmrollen, ein Stativbein, Reste von Chemikalien in Tuben und Fläschchen, Pipetten, Papierabzüge, Watte, Ketten, zerschlissene Portefeuilles, ein schmutziges Oberhemd samt Krawatte, abgetragene Hausschuhe, ein Handschuh und eine Zahnbürste. Er ordne und gewichte die Dinge nicht, sagte Arman, sie setzten sich vielmehr »stets von selbst zusammen«. Es hat etwas Unheimliches, wie perfekt sie das tun. Wilp war der Hohepriester einer metaphysischen Werbung, die in der Aura eines Dings seinen eigentlichen Gebrauchswert entdecken wollte und sich nicht scheute, diese Aura zu stiften: »Der Mensch hat einen Heißhunger auf unrealistische Dinge.« Doch nicht seinen tropenfeuchten Colaflaschen, sondern dem Müll aus seinem Düsseldorfer Studio wächst etwas Auratisches, zumindest Geheimnisvolles zu.

Der Werber schöpft den wertlosen Wert, der Künstler den Wert des Wertlosen oder Entwerteten. Arman, nebenbei ein bedeutender Sammler afrikanischer Kunst, erkannte den Fetisch der westlichen Welt nicht wie Karl Marx oder die Pop Art im Produkt, sondern in dessen Abfall, nicht in der Ware, sondern in ihrer verwesenden Hülle. Und doch überlebt hier das Verbrauchte den Verbraucher, der Abfall den Einfallsreichen. Das ist ganz wörtlich zu verstehen; der Porträtierte, Charles Wilp, verstarb im Januar, der Porträtist, Arman, folgte ihm am vorletzten Wochenende.

Zwei Typen von Künstlern gebe es, lehrte Arman, die Instinktiven, die wie Pawlowsche Hunde auf ihre Umwelt reagierten, und die Souveränen, die, schon bevor sie den ersten Handgriff tun, das vollendete Werk konzipiert haben. Sich selbst zählte er zum zweiten Typ. Doch verführte ihn seine kühl kalkulierende Methode nicht dazu, sich die Kontrolle über alles, was geschehen kann, anzumaßen. Im Gegenteil gewährte er dem Zufall großzügig Gastrecht. Das bezeugt auch sein Künstlername. Nachdem 1958 auf einer Einladungskarte zur ersten Einzelausstellung bei Iris Clert (»Les Olympiens«) sein bürgerlicher Vorname Armand – er hieß eigentlich Armand Pierre Fernandez – mit einem Druckfehler, nämlich ohne »d«, erschienen war, zeichnete er fortan mit Arman.

Von der Seite des Vaters her Abkömmling verfeinerter spanischer Juden, von der mütterlichen Seite der armer Bauern aus Südfrankreich, verband er in seinen Werken schroffen Realismus mit einem gewissen Ästhetizismus, denn Anti-Ästhetik sei schließlich auch eine Ästhetik und der Schönheit könne einer eh nicht ausweichen. Er sprengte Wilps weißen Sportwagen in die Luft, befestigte das geborstene Blech, das sich wie eine Blüte zu entfalten scheint, an einer Wand und nannte das Ganze »Weiße Orchidee«.

Andere Statussymbole zerhackte (»Colères«), verbrannte (»Combustions«) oder zersägte (»Coupes«) er. Vor allem aber häufte er Kaputtes auf, ob Kannen oder Kotflügel. Weil industriell Gefertigtes immer gleich aussieht, verleiht erst Verbrauch, Abnutzung und Zerstörung Individualität. Den Dingen, die durch Zufall aus unseren Müllkübeln gerettet werden, eignet etwas Verletzliches, ein schlichtes Pathos. Nur das Kaputte gehört uns ganz, und gerade das geben wir her. Hingegen störte Arman die sich bei Sammlern regende Nostalgie gern mit skurrilen Titeln. Eine Skulptur aus Blechgabeln nannte er »Les Chromosomes«, rostende Schlüssel »Die Rückkehr der Kreuzritter«, in Kunstharz gegossene Zigarren »Warten aufs Ausatmen«, einen Haufen kaputter Rasierer »Barbecube« und eine Sammlung von Gasmasken »Home Sweet Home«.

Der »Nouveau Réalisme«, den er mit Klein, Jacques de Villeglé, dem Kritiker Pierre Restany und einigen anderen begründete, fand nicht nur Geschmack am ungestalteten Objekt, sondern auch am geschliffenen Witz, der bald dadaistische Köpfe wie Daniel Spoerri und Jean Tinguely anzog. Die Gruppe selbst bestand allerdings nicht lange. Nach Auskunft von Arman hatten sich Klein und Restany schon 20 Minuten nach der Gründung heillos zerstritten.

In Frankreich hinterließ Arman trotz oder wegen einiger spektakulärer Erfolge verbrannte Erde. Die französischen Kuratoren und Kritiker schätzten ihn gering. Seine weltweite Reputation nahm man deshalb nur widerstrebend zur Kenntnis. Die erste Pariser Retrospektive datiert auf das Jahr 1998. Die 1990 für das neue Museum in Nizza geplante lehnte er selbst ab, weil der Bürgermeister den Front National unterstützte. Ein Jahr zuvor reihte François Mitterrand den Künstler in die Ehrenlegion ein, was, wie Umberto Eco bemerkte, ebenso schlimm ist wie Nobelpreis oder Heiligsprechung. Frankreich war nicht sein Land. Wie Marcel Duchamp, den er Anfang der sechziger Jahre noch kennen lernte, übersiedelte er nach New York und nahm 1973 auch die US-amerikanische Staatsangehörigkeit an.

Während man ihn daheim gern für einen Rechten hielt, erschien er seinen neuen Nachbarn als linksradikal. Bei der Aktion »Slicing« (1970) zerschnitt er von Besuchern mitgebrachte Gegenstände und verwandelte sie so in Kunst; der Erlös ging an die Black Panthers. Bei »Conscious Vandalism« (1975) zertrümmerten er und seine zweite Frau Corice binnen 22 Minuten eine bürgerliche Inneneinrichtung.

Viel Neues entstand in den letzten beiden Jahrzehnten jedoch nicht mehr. Manche späten Werke erscheinen wie Veredelungen der frühen, andere gar wie Gebinde von Antiquitäten, doch bis zuletzt blitzt immer wieder sein guter schwarzer Humor auf. Harry Bellet berichtet in seinem Nachruf (Le Monde, 25. Oktober), vor zwei Jahren habe man Arman in Teheran gefragt, ob ihn sein Aufenthalt im Iran zu einem neuen Werk inspiriert habe. »Arman betrachtete die schwarze Flut der Tschadors und antwortete kühl: ›Ja, zu einer Anhäufung von Turbanen.‹«

Duchamps Warnung, wenn Arman, den er für außerordentlich intelligent und wandlungsfähig hielt, immerzu dasselbe Zeug ansammele, werde man es in 20 Jahren nicht mehr anschauen können, hat sich nicht bewahrheitet. Wenn seine neueren Akkumulationen prall gefüllten Warentheken gleichen, sind sie langweilig wie Pop Art. Doch der Müll der frühen Jahre bleibt.