Ruht in Frieden!

In dem neu erschienenen Buch »Der letzte Pass« widmen sich die Autoren den Themen Tod und Fußball. von elke wittich

Manchmal passiert es. Ein Spieler fällt tot auf dem Fußballplatz um, ein Zuschauer bricht sterbend auf der Tribüne zusammen, ein Fan hört vor dem Fernseher auf zu atmen. Und dann ist das Entsetzen groß, ganz so, als sei ausgerechnet die Kickerei eine garantiert sterbefreie Veranstaltung.

Ist sie natürlich nicht – wohin aber kommen Fußballer und ihre Anhänger nach dem Tod? Für Deutschland ist die Frage leicht zu beantworten, denn die deutschen Bestattungsgesetze sind sehr streng. Auf den Friedhof kommt die Leiche. Punkt. Dass jemand, wie es Courtney Love nach dem Selbstmord von Kurt Cobain tat, einem Teil der Asche eines kremierten Angehörigen in einen Teddybär einnähen lässt, um so wenigstens einen Rest des geliebten Verstorbenen immer um sich zu haben, ist hierzulande undenkbar. Mit dem Tod erlischt das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Selbst wenn man im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte testamentarisch verfügt, dass man nach dem Ableben unter dem heimischen Rosenbeet oder eben in einer Urne im Wohnzimmerschrank aufbewahrt werden möchte, wird man auf einem Friedhof landen.

Natürlich gibt es Ausnahmen, wie den Service eines findigen Unternehmers, der an der Grenze zu den Niederlanden wohnt. Er bietet an, die in den Niederlanden, wo Bestattungsfreiheit gilt, kremierte Asche eines Verstorbenen zurück nach Deutschland zu schmuggeln und dann den Angehörigen auszuhändigen.

»Der letzte Pass« heißt das gerade erschienene Buch von Peter Cardorff und Conny Böttger, in dem es um den Tod und den Fußball geht. Wobei sich die letzten Ruhestätten, wie die Autoren feststellen, durchaus voneinander unterscheiden. So etwas wie in England, wo man die eigene Asche auf dem Rasen seines Lieblingsvereins verteilen lassen kann, ist in Deutschland eben nicht möglich. Wobei die Vorstellung, dass man keinen schöneren Platz im Leben kannte als ein Stadion und deswegen meint, dass die Spieler des Lieblingsvereins auf den eigenen Knochensplittern und verkohlten Körperresten kicken sollen, nicht sehr schön ist.

Seit 1966 können sich Ajax-Fans auf dem Rasen des abgerissenen Stadions De Meer anonym bestatten lassen. In dem Jahr war ein Teil des Grüns auf den städtischen Friedhof Westgaarde geschafft worden – wie viele Anhänger diesen Service seither nutzten, ist unbekannt, auf ihre Anfrage erhielten die Autoren von der Verwaltung keine Auskunft. Aber das ist ja auch ein winziges Detail des selbst gewählten Projekts, bei dem es dem Buchuntertitel zufolge darum geht, »Fußballzauber in Friedhofswelten« zu dokumentieren.

Eine bloße Sammlung von Fotos von Kickergräbern plus ein wenig erklärender Text war dabei sicher nicht zu erwarten. Leider zeigen schon die Kapitelüberschriften wie »Namensklänge, Spielerpässe. Auf dem Friedhof offenbart der Fußballer, welche Substanz er gelassen hat« den Hang zu verschwiemelten Formulierungen. Entsprechend wimmelt es im Buch neben langatmigen, eher nicht mit Inhalt beladenen Sätzen vor bemühten Analogien zum Fußballspiel: »Der Grabstein ist die Fortführung des öffentlichen Auftritts eines Menschen nach seinem Tod – ein ultimatives Lebenszeichen, des Menschen letzter Pass.« Und von Ausführungen, die vom unbedingten Willen zur Nullaussage und zum Zeilenschinden geprägt zu sein scheinen. So hätte es statt folgender, elendig langer Ausführungen über Blumen an sich (»Doch kaum ist der Strauß gekauft und vergeben, schon hat er keinen Tauschwert mehr, und der Gebrauchswert ist auch rasch dahin. Ob zur Begrüßung oder zum Abschied, es gibt kein Geschenk, das so unaufdringlich wäre wie ein Blumengruß – und so sehr die Aura der Endlichkeit atmet. Selbst dort, wo ganz unverhohlen Berechnung und Konvention im Spiel sind, eignet der Blumengabe eine Spur Großmut und Freigiebigkeit«) die kurze Bemerkung, dass Florales bei Beerdigungen durchaus gängig ist und die Bestattung von Fußballern da keine Ausnahme macht, durchaus auch getan. Beim Weiterblättern ergibt sich, dass das Geschwalle endlos weitergeht – lediglich die an manche Kapitel angehängten Fußnoten und Anmerkungen beinhalten unbedingt interessante und lesenswerte Informationen.

Und auch sonst ist wenig Überraschendes zu finden. Dass Bestattungsriten auch bei denen, die im Fußballgeschäft tätig sind, abhängig von der Persönlichkeit des Verstorbenen unterschiedlich ausfallen, hatte man durchaus geahnt. Als Jean Löring, mehr als 30 Jahre lang Präsident und Gönner von Fortuna Köln, im Jahr 2005 starb, folgten mehr als 1 000 Menschen einer von einem Pfarrer und Trägern der Vereinsfahne angeführten Prozession. Andere, wie der St. Pauli-Präsident Heinz Weisener, bevorzugen Beerdigungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit; in solchen Fällen muss ein ausgelegtes Kondolenzbuch genügen.

Und für die meisten prominenten Nationalspieler reicht es nach dem Tod gerade noch dazu, dass ihre Namen auf Straßenschildern zu lesen sind – beispielsweise sind Wege nach Ernst Kuzorra, Berni Klodt und Stan Libuda benannt. Warum nach Hans Kalb eine Straße und nach Max Morlock ein Platz benannt wurde, bleibt ein ungelöstes Rätsel. In den Jahren 2004/2005, so fanden die Autoren jedoch heraus, trugen gerade drei Stadien der ersten drei Ligen die Namen von Fußballern: das Fritz-Walter-Stadion in Karlsruhe, das Paul-Janes-Stadion in Düsseldorf und das Robert-Schlienz-Stadion in Stuttgart, wo die Amateure des VfB kicken.

Bleibt halt mehr Zeit für das Anschauen der Dokumente. Die Bilder der Grabsteine prominenter deutscher Spieler von Conny Böttger, die ansonsten für Greenpeace fotografiert, zeigen vor allem eines: Fußball kommt auf ihnen kaum vor. Die meisten Grabsteine sind schlicht und tragen außer Namen und Geburts- und Sterbedatum keine Zusätze, vielleicht, um zu verhindern, dass Fans sich etwaigen zusätzlichen Schmuck als Devotionalien mit nach Hause nehmen. Vielleicht aber auch, weil die aktive Zeit in einem durchschnittlichen Kickerleben entgegen der Fanmeinung weniger wichtig ist als andere Ereignisse wie Hochzeiten, Geburten, die kleinen und großen alltäglichen Katastrophen und Freuden.

Interessanter sind da schon die Todesanzeigen, um die es in einem Extra-Kapitel geht und die nicht nur von Vereinen aufgegeben wurden und strikt konventionell gehalten sind. Um den ehemaligen Nationalspieler Lothar Emmerich trauerte zum Beispiel auch das Dortmunder Seniorenzentrum »Zur Eulengasse«, weil er als Fanbeauftragter des BVB bei der Gründung des ersten Fanclubs in einem Altenheim zugegen war. Rudi Kappes wurde mit einem Spruch von Karl Marx verabschiedet: »Die Natur des Menschen ist so eingerichtet, dass er seine Vervollkommnung nur erreichen kann, wenn er für das Wohl seiner Mitmenschen sorgt. Wenn er nur an sich denkt, kann er wohl ein ausgezeichneter Gelehrter oder ein berühmter Denker werden, jedoch nie ein vollendeter, wahrhaft großer Mensch sein!« Aufgegeben hat die Annonce nicht etwa die DKP Duisburg, sondern die Erste Mannschaft des SV Röchling Völklingen, wo Kappes als Trainer tätig war. »In diesem Sinne stand sein Leben«, schreibt die Mannschaft.

An Heinz Hammer erinnerte seine Familie ein Jahr nach seinem Tod mit dem Bild eines Fußballs (»Das war sein Leben«). Und Werner »Niere« Mierow, der von 1923 bis 2002 lebte, wird »von Walli« mit den Worten verabschiedet: »Damals – als Linksaußen – schicktest Du mich auf die Reise. Jetzt ist es umgekehrt. Aber irgendwann folge ich Dir. Bis dann.«

Peter Cardorff / Conny Böttger: Der letzte Pass. Fußballzauber in Friedhofswelten. Verlag »Die Werkstatt«, Göttingen 2005. 208 S., 19,80 Euro