Das Sachertortenregime

Auf die österreichische EU-Ratspräsidentschaft warten ungelöste Probleme: Der Finanzstreit ist keineswegs beendet und die Erweiterung stockt. von martin schwarz, wien

Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel ist von seiner wachsenden Bedeutung schon ganz ergriffen. Als sich die österreichische Staatsspitze samt dem Friedensnobelpreisträger Mohamed al-Baradei und dem diplomatischem Corps Mitte Dezember in der Wiener Hofburg versammelte, um 50 Jahre österreichischer Uno-Mitgliedschaft und Wien als einen der drei Hauptsitze der Vereinten Nationen neben New York und Genf zu feiern, sprach Schüssel in seiner Festrede nur von einem: der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft, die er, Schüssel, zu einem Erfolg werden lasse. Die UN-Mitgliedschaft dagegen war ihm nur ein paar Nebensätze wert.

Etwas entrückt mag der kleine Kanzler auf die Zuhörer gewirkt haben, gefangen in seiner künf­ti­gen Rolle als europäischer Staatsmann. Tatsächlich ist seine persönliche Europäisierung ein erstaunlicher Wandel. Denn kaum einer mag vergessen haben, dass der gleiche Mann noch vor fünf Jahren wegen seiner Koalition mit der damals von Jörg Haider geführten rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) beinahe EU-Sank­tionen gegen die Regierung zu vergegenwärtigen gehabt hätte und seine Amtskollegen ihn bei diversen EU-Treffen eher geschnitten haben. Mitt­ler­wei­le hat sich in Österreichs Innenpolitik einiges dramatisch verändert. Die FPÖ gibt es immer noch, doch Jörg Haider führt mittlerweile eine Abspaltung seiner alten Partei an, das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ). Zwar koaliert dieses Bündnis derzeit mit Schüssels Volkspartei (ÖVP), doch von den Wählern legitimiert ist die Regierung schon lange nicht mehr. Mit gerade mal drei Prozent Zustimmung würde das BZÖ derzeit nicht einmal den Einzug ins Parlament schaffen und die ÖVP liegt mit 36 Prozent Zustimmung weit hinter den Sozialdemokraten, die bei den Wahlen im kom­menden Herbst wohl stärkste Partei werden. Kanz­ler wird Wolfgang Schüssel voraussichtlich also nicht mehr, als großer Europäer möchte er sich dennoch von Österreichs Innenpolitik verabschieden.

Die sechs Monate EU-Präsidentschaft aber werden hart für die kleine Alpenrepublik. Angesichts der drängenden Probleme der EU wird es den Österreichern wohl versagt bleiben, eigene große The­men zu forcieren. Vielmehr wird die österreichische Präsidentschaft voraussichtlich zu einer sechs Monaten andauernden Sanierungsmaßnahme. Das ver­gangene Jahr ist schlimm für die EU gewesen. EU-Verfassung: im politischen Koma. EU-Erweiterung: in der Schwebe. EU-Finanzstreit: keineswegs ausgestanden. Befund: Der EU fehlen derzeit die Rezepte für ihre eigene Zukunft. »Die österreichische Präsidentschaft muss jetzt Antwort auf die großen Fragen geben. Dazu gehört vor allem: Wie viele Mitglieder kann die EU noch verkraften«, meint etwa der Vizepräsident der EU-Kommission, Günter Verheugen.

Schon jetzt scheint klar, dass sich die Union ihre künftige Erweiterung nicht so einfach leisten kann. Alleine deshalb nicht, weil der derzeit noch immer gültige Vertrag von Nizza nur für 27 EU-Staaten ausgelegt ist. »Spätestens 2009 kommt eine kritische Phase«, sagt der Vorsitzende des Verfassungsausschusses des Europäischen Parlaments, Jo Leinen. Beginnen würde die kritische Phase, wenn Bulgarien und Rumänien beigetreten sind und die EU-Verfassung immer noch nicht zum europäischen Rechtsgut gehört. Eine gemeinsame Verfassung ist unbedingt von Nöten, um ein Europa mit mehr als 27 Mitgliedsstaaten reglementieren zu können. Noch dazu ist beim EU-Gipfel Ende Dezem­ber in Brüssel ein weiterer Beitrittskandidat dazu gekommen: Mazedonien. Ebenso wie Kroatien hofft das kleine Land auf die Unterstützung Österreichs und wird darauf dringen, die größten Hindernisse für die Integration noch während der österreichischen Ratspräsidentschaft beiseite räumen zu lassen. »Wir wissen, dass wir im Herzen Europas echte Freunde haben«, freute sich der mazedonische Regierungschef Vlado Buckovski.

Weiter westlich dagegen sind die echten Freunde schon etwas seltener anzutreffen. Frankreich und Deutschland haben bereits einen Sondergipfel zu Erweiterungsfragen gefordert, der wahrscheinlich auch noch unter österreichischer Präsidentschaft stattfinden würde. Österreich hat sich gerade bei der Integration der Balkanstaaten im Herbst sehr hervorgetan: Man möchte alles für den EU-Beitritt Kroatiens und auch Ma­zedoniens tun und den der Türkei so lange wie möglich hinauszögern.

Auch der Finanzstreit innerhalb der EU ist nach dem Brüsseler Gipfel nur vordergründig gelöst. Auch wenn sich die Staats – und Regierungschefs auf ein Budget von 862 Milliarden Euro für die Jahre zwischen 2007 und 2013 geeinigt haben, könnte nun das Parlament Schwierigkeiten machen. Als EU-Parlamentspräsident Josep Borrell Mitte Dezember zu seinem Antrittsbesuch nach Wien kam und Wolfgang Schüssel traf, machte er schon einmal deutlich, dass das letzte Wort über das Budget noch nicht gesprochen sei. Die Einigung sei »weit entfernt« von den Forderungen des EU-Parlaments, erklärte er. Das Parlament hatte 975 Milliarden Euro gefordert. Auch einzelne Fraktionen könnten Ärger machen. Der CDU-Parlamentarier Elmar Brok verlangte Nachverhandlungen, und sein sozialdemokratischer Kollege Herbert Bösch vermisste den »europä­ischen Geist« gar schmerzlich. Eine Blocka­de des Entwurfs scheint derzeit durchaus mög­lich.

Aber auch etwas schillernde, wenn auch keineswegs erfreulichere Themen wird Österreich in seiner Rolle als EU-Ratspräsident zu verhan­deln haben. So wurde ein Beschluss über das Ende des Waffenembargos gegen China auf dieses Jahr vertagt – ein Erbe Gerhard Schröders, auf das der österreichische Kanzler wohl gerne verzichtet hätte.

Die Vorbereitungen für die sechsmonatige Präsidentschaft würden immerhin gut laufen, sagt zumindest die österreichische Regierung. Weil die dauernden Gipfeltreffen und die Ratspräsidentschaft insgesamt eine Menge Geld verschlingen werden – von 100 Millionen Euro ist die Rede –, lässt sich die Regierung möglichst viel von der Privatwirtschaft sponsern. Nicht nur die Autos der Luxusklasse werden von einem Fahrzeugproduzen­ten bereitgestellt. Die künftigen Gipfelteilnehmer können auch auf gesponserten Bleistiften herumkauen, wenn die Sitzungen lang und die Probleme übermächtig werden. Immerhin 120 000 Stück hat sich die österreichische Regierung von Schreibwarenherstellern besorgt.