Entführen gegen den Terror

Zur Aufklärung der Anschläge von London sollen Geheimdienste in Griechenland Migranten entführt und misshandelt haben. Die Justiz ermittelt, die Regierung dementiert. von harry ladis, thessaloniki

Eine dubiose Geheimdienstaffäre macht seit Wochen in Griechenland Schlagzeilen und wird für die Regierung zur Belastung. Daran beteiligt sind griechische und britische Geheim­agenten, die im Zusammenhang mit der Aufklärung der Londoner Attentate vom vergangenen Juli insgesamt 28 in Griechenland lebende Pakistaner verschleppt und misshandelt haben sollen.

Im Dezember strahlte die BBC einen Bericht über diese Geschichte aus, seitdem entwickelte sich ein Medienwirbel um die Affäre, die schnell zum Poli­tikum wurde. Eifrig bemühten sich die beteiligten Regierungen, das Ganze klein zu reden: Eine solche Massenentführung habe es nie gegeben, hieß es aus dem griechischen Ministerium für öffentliche Ordnung, die Vorwürfe bezeichnete der britische Außenminister Jack Straw als »kompletten Unsinn«. Dabei sind die Fakten seit langem bekannt.

Alles begann einige Tage nach den Bombenanschlägen vom 7. Juli, als bei einem der Selbstmordattentäter griechische Telefonnummern gefunden wurden. Bereits damals berichteten griechische Medien über die Entführung pakistanischer Migranten aus ihren Wohnungen in Athen. Wie einige von ihnen erst Monate später auf einer Pressekonferenz erklärten, seien sie nachts mit verbundenen Augen an einen geheimen Ort unweit der griechischen Hauptstadt geschleppt worden, um dort von griechischen und britischen Agenten mehrere Tage lang verhört zu werden. Dabei sei es auch zu Misshandlungen gekommen. Die Agenten hätten außerdem gedroht, die Entführten würden »Schlimmeres erleben«, sollten sie mit der Presse reden.

Bereits Ende Juli erstattete der Vorsitzende der pakistanischen Gemeinde in Griechenland, Jawied Aslam, im Auftrag der Entführten bei der Athener Staatsanwaltschaft Anzeige, was jedoch ohne Folgen blieb.

Erst nach dem BBC-Bericht und nachdem die griechische Wochenzeitung Proto Thema die Namen der an der Affäre beteiligten britischen und griechischen Agenten veröffentlicht hatte, kündigte der griechische Staatsanwalt Dimitris Linos die Aufnahme von Ermittlungen an.

Der Geheimdienst ist bekanntlich in einer recht­lichen Grauzone tätig, wo er zwar beobachten, aber ohne die Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft weder festnehmen noch verhören darf. Die Aktion, die den britischen und griechischen Agenten vorgeworfen wird, ist also offensichtlich rechtswidrig, und angesichts des Medienwirbels um die Entführungen konnte die Staatsanwaltschaft die inzwischen vielfach gemachten Aussagen der Betroffenen einfach nicht mehr ignorieren. Der Minister für öffentliche Ordnung, Giorgos Voulgarakis, war bis zum Anfang dieser Geschichte einer der beliebtesten Regierungspolitiker, nicht zuletzt wegen der »erfolgreichen« Ab­schirmung der Olympischen Spiele im Jahr 2004 durch brachiale »Sicherheitsmaßnahmen« wie die Vertreibung von Ausländern aus dem Stadtzentrum von Athen. Jetzt rücken dieselben Ausländer erneut ins Zentrum der Aufmerksamkeit, sorgen wochenlang für Schlagzeilen und stellen die Aufstiegsperspektiven des ehrgeizigen Ministers, ja seinen Verbleib auf dem Posten, in Frage. Sein Vize, Christos Markogiannakis, wurde vergangene Woche entlassen, nachdem er den ermittelnden Staats­anwalt als »dumm und ungebildet« bezeich­net hatte. Der Minister, der die Verwicklung griechischer Agenten in die Entführung nicht mehr leugnen konnte, richtete seine Kritik an die Zeitungen, welche die Namen der Geheimagenten veröffentlicht hatten. Er bezeichnete sie als »verbrecherisch und verantwortungslos«, denn sie würden damit die Gefahr erhöhen, dass Griechenland zum Opfer von terroristischen Akten wird. Außerdem habe die Ver­öffentlichung der Namen ein Image-Problem für den Nationalen Nachrichtendienst geschaffen.

In diesem Punkt mag der Minister Recht haben: Eine wesentliche Verschlechterung in den Beziehungen zwischen den griechischen und den britischen Geheimdiensten durch diese Affäre war nicht zu verhindern, und das in einer Zeit, in der im Kampf gegen den Terror die Sicherheitskräfte aller europäischen Länder sich um Kooperation bemühen.

Die Sorgen der griechischen Politiker, der Justiz und der Repressionsapparate bestehen vor allem darin, dass durch diese Ereignisse die traditionell guten Beziehungen Griechenlands zur arabischen Welt gefährdet werden könnten. Seit den achtziger Jahren und den Sympathien des damaligen Pasok-Regierungschefs Andreas Papandreou für die »nationalen Befreiungskämpfer« Muammar al-Gaddafi und Yassir Arafat bis zur Beteiligung am Irak-Krieg pflegt Griechenland das Image des araberfreundlichen Landes. Bislang zählt es nicht zu den möglichen Zielen von Anschlägen islamischer Fundamentalisten. Das könnte sich nunmehr ändern.

Diejenigen, welche sich gegen die Handlungen des griechischen Geheimdiensts kritisieren, tun das weniger aus Ausländerfreundlichkeit als aus Nationalismus. Im Dezember berichtete die Tageszeitung To Vima, dass auch CIA-Agenten Pakistaner in Aspropirgos verhörten, jedoch erst, nachdem sie eine Erlaubnis der griechischen Justizbehörden erhalten hatten, und unter deren Mitwirkung. Die Verletzung der nationalen Souveränität durch die Einmischung von ausländischen Agenten sowie der weit verbreitete Antiamerikanismus rufen in Griechenland eine Empörung hervor, die nach dem Prinzip funktioniert: »Wir sind gegen den Terror, aber das schaffen wir alleine.« Das ist eher anachronistisch als menschenrechtsgerecht. Bezeichnend für diese Stimmung ist auch die Aussage des ultrarechten Vorsitzenden der christlich-nationalistischen Partei Laos, Giorgos Karatzaferis, die Amerikaner hätten insgeheim Pakistaner auf ihre Marinebasis in Souda auf der Insel Kreta entführt und dort wochenlang gefangen gehalten. Karatzaferis nennt als Schwerpunkt seiner Partei die »Unabhängigkeit von den USA«.

Nicht zuletzt manifestieren sich in der Entführungsaffäre auch die gegenseitige Feindschaft und der Vertrauensmangel, die zwischen den verschiedenen griechischen Herrschaftsapparaten bestehen. Justiz, Geheimdienst, Regierungsmitglieder und Presse haben in diesem Fall eine ausgezeichnete Chance entdeckt, ihren Streitigkeiten und ihrer Rivalität Ausdruck zu verleihen. Bei der Aufklärung der Ge­heimdienstaffäre wird insbesondere der Kon­flikt zwischen dem Justizministerium, unter dessen Leitung die Ermittlungen laufen, und dem Ministerium für öffentliche Ordnung deutlich werden.