Das letzte Aufgebot

Milosevic war ein Mann der Vergangenheit, schon bevor er starb. von boris kanzleiter, belgrad

Ein pompöses Staatsbegräbnis, wie es die ­Unterstützer Slobodan Milosevics gefordert hatten, war es nicht. Aber auch der improvisierte Beerdigungsmarathon strahl­te noch vergan­gene Macht und Bedeutung aus. Zuerst pilgerten zwei Tage lang Tausende Bürger ins Revolutionsmuseum im Belgrader Nobelvorort Dedinje, um dem aufgebahrten ehemaligen serbischen und jugoslawischen Präsidenten die letzte Ehre zu erweisen. Dann wurde der Sarg nach einer Zeremonie vor dem Parlamentsgebäude nach Pozarevac gebracht. In seinem 80 Kilometer südöstlich der Hauptstadt gelegenen Geburtsort wurde Milosevic am Samstag schließlich beerdigt. Immerhin knapp 100 000 Getreue sorgten für eine imposante Kulisse.

Es sind vor allem ältere Menschen und Landbewohner, denen der 65jährige ehemalige Chef der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) auch heute noch als Held gilt. Zwar hatte er in den letzten Regierungsjahren vor seinem Sturz im Oktober 2000 viel Unterstützung eingebüßt. Aber Milosevics erfolgreiches Rezept zur populistischen Mobilisierung der Massen funktionierte auch noch bei seiner Grablegung. Die Wahl des Revolutionsmuseums als Ort der Aufbahrung weckte einerseits nos­talgische Erinnerungen an den vergangenen Wohlstand und Stolz des sozialistischen Jugoslawien. Das von Patriarch Pavle ausgesprochene Beileid der orthodoxen Kirche beschwor andererseits die nationale Einheit der Serben, als deren Beschützer sich Milosevic stets inszenierte. Das Amalgam aus pseudolinken und rechten Ideologien, das Milosevics Herrschaft auszeichnete, hat seinen Schöpfer überlebt.

Nichts kann allerdings darüber hinwegtäuschen, dass Milosevic schon lange, bevor er starb, ein Mann der Vergangenheit war. Der Strom der Getreuen ist ein letztes Aufgebot. Die große Mehrheit der jüngeren Serben will mit dem verblichenen Herrscher nichts mehr zu tun haben. »Milosevic hat meine Jugend zerstört«, klagt der 30jährige CD-Verkäufer Nenad in der Belgrader Innenstadt. »Ich konnte niemals ins Ausland fahren, und meine Familie lebt von einem Hungerlohn«, drückt er seine Wut aus. Die 32jährige Marina fügt hinzu: »Die neunziger Jahre kommen mir heute vor wie eine große Paranoia. Während wir ständig unter Druck gehalten wurden, bereicherten sich die Kriegs­pro­fiteure.« Besonders verhasst ist ihr dabei Milosevics Sohn Marko. Er soll im großen Stil Zigaretten geschmuggelt haben, prahlte gerne mit schnellen Autos und eröffnete in Pozarevac die glamouröse Diskothek »Bambiland«.

Für Emotionen sorgt Milosevics Tod indes nicht nur in Serbien. Er sei ein »Schläch­ter«, »Totengräber« und »Mörder« gewesen wetteifern die internationalen Medien in Nachrufen um die blut­rünstigste Beschreibung des Serbenherr­schers. Am drastischsten äußerte sich US-Diplomat Richard Holbrooke auf BBC. Milosevic sei ein »Monster«, das nur mit »Hitler und Stalin« verglichen werden könne, erklärte Bill Clintons Balkan-Unterhändler. Erinnerungen an längst vergessene Behauptungen vom »Konzentrationslager« in Pristina (so der ehemalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping) oder Auschwitz-Ana­logien wie der »Ram­pe von Srebrenica« (Jürgen Klose, SPD) werden wach.

Nach Milosevics Tod wird so noch einmal das Muster der ahistorischen Vergleiche, Holocaust-Relativierungen und großen Vereinfachungen aktiviert, mit dem Serbien während der Jugoslawien-Kriege zur Chiffre für Aggression, tota­litäre Machtansprüche und eine balkanische Kopie des Nationalsozia­lismus erklärte wurde. Es scheint, als habe halb Europa in Gefahr gestanden, von »Großserbien« erobert zu werden, hätte die Nato im dreimonatigen Bombardement 1999 dem barbarischen Treiben kein En­de gesetzt und dafür gesorgt, dass Milosevic vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag landete.

In einer paradoxen Wendung ist es aber genau der seit über vier Jahren geführte Mammutprozess, der das vorherrschende Bild von der Zerstörung Jugos­lawiens deutlich revidiert. Der Versuch der Anklage, die serbische Alleinschuld an den Kriegen zu beweisen, muss als kläglich gescheitert bezeichnet werden. Im Gegenteil gelang es Milosevic, deutlich zu machen, dass er zwar viel von der »Einheit der Serben« redete, aber zu keinem Zeitpunkt zu ethnischen Säuberungen aufrief oder auch nur natio­na­lis­tischen Hass predigte. Während der Verhandlung am 25. August 2005 musste Anklagevertreter Geoffrey Nice schließlich eingestehen, dass Milosevic niemals das Konzept eines ethnisch gesäuberten »Großserbien« anstrebte, wie die ursprünglich Anklageschrift suggerierte, sondern lediglich dafür stand, »alle Serben in einem Staat« zu vereinen.

Das Scheitern der Anklage bedeutet aber nicht, dass Milosevic »unschuldig« wäre, wie seine Unterstützergemeinde behauptet. Im Gegenteil steht außer Frage, dass Milosevics Infragestellung der Grenzen zwischen den ehemaligen Republiken Jugoslawiens am Ende der achtziger Jahre auf allen Seiten ethno-na­tionalistischen Sezessionsbestrebungen Auftrieb gab. Und nicht nur das: Es kann als bewiesen gelten, dass die Behörden in Belgrad die serbischen Aufständischen in Kroatien und Bosnien mit Waffen, Geld und Paramilitärs planmäßig unterstützten und damit Verantwortung für deren Massaker an Zivilisten, Hinrichtungen von Kriegsgefangenen und Massenvertreibungen tragen.

Am klarsten lässt sich allerdings eine direkte Verantwortung Milosevics für Kriegsverbrechen im Kosovo nachweisen. Auch wenn noch nicht einmal in Carla del Pontes aufgepumpter Anklageschrift mehr die Rede von einem angeblichen »Genozid« ist, mit dem das Nato-Bom­bar­de­ment 1999 begründet wurde, haben serbische Truppen bei der Bekämpfung der UCK-Kommandos ohne Zweifel zahlreiche Zivilisten ermordet. Ein dunkles Zeugnis von der Grausamkeit des Krieges sind beispielsweise die Massengräber von Batajnica bei Belgrad, in denen im Frühjahr 2001 die Leichen von 980 Albanern aus dem Kosovo entdeckt wurden. Sie waren 1999 von serbischen Truppen in LKWs mehrere hundert Kilometer trans­portiert worden, um Massenerschießungen zu kaschieren.

Diese Wahrheiten sind für die Unterstützer Milosevics schwer zu akzeptieren. Lieber verweisen sie auf die Kriegsverbrechen der anderen. Und das macht ihnen die »internationale Gemeinschaft« leicht. Während Milosevic mit großem Presserummel unter die Erde gebracht wurde, durfte im UN-Protektorat Kosovo der ehemalige UCK-Generalstabschef Agim Ceku in aller Stille Premierminister werden. Dass er nach dem Prinzip der Kommandoverantwortung für zahlreiche Kriegsverbrechen anzuklagen wäre, spielte dabei keine Rolle.

Denn im Kosovo dürfen sogar von Den Haag bereits angeklagte mutmaßliche Kriegsverbrecher auf die politische Bühne zurückkehren. So im Falle des ehemaligen Premierministers Ramush Haradinaj. Auf Drängen des Chefs der UN-Zivilverwaltung im Kosovo, Søren Jessen-Peterson, wurde der UCK-Kommandant Ende vergangenen Jahres aus der Untersuchungshaft in Den Haag entlassen und darf nach der Aufhebung eines Betätigungsverbots seit vergangener Woche wieder für ein unabhängiges Kosovo kämpfen.