Zu Gast bei Türken

Der Fußballclub Türkiyemspor ist der erfolgreichste Verein in Kreuzberg. Am Samstag spielte er gegen den Ost-Berliner BFC Dynamo. von doris akrap

Zwischen den Kneipen »Am Kreuzberg« und dem »Alptraum« stehen ein paar Glatzköpfe und pöbeln sich gegenseitig an. Alle Gaststätten rund um den Kreuzberg, die mit dem Schild »Gepflegte Biere« und einer Fahne von Hertha BSC werben, sind von den Fans und Hooligans des BFC Dynamo besetzt. Im nahe gelegenen Kreuzberger Katzbachstadion wird an diesem Samstag das Spiel der Oberliga Nordost-Nord zwischen dem BFC Dynamo und Türkiyemspor Berlin ausgetragen.

Vor dem Eingang zum Stadion steht ein für die Oberliga ungewöhnlich großes Polizeiaufgebot, sabbernde Polizeihunde drücken ihre Nasen an die Wagenscheiben. Die Fans des BFC werden durch den Haupteingang ins Stadion geschleust, die Fans der Gastgeber dürfen lediglich einen Seiteneingang benutzen, der ansonsten als Notausgang dient. Während dort aber nur vereinzelt ein paar Fami­lien mit Kindern, Antifas und ein Dutzend Männer ­eintrudeln, füllen sich die Ränge der Gäste viel schneller. Die vom Stadionsprecher später verkündeten 461 zahlenden Zuschauer setzen sich offenbar aus 400 Fans des BFC und 61 von Türkiyemspor zusammen.

In den ersten Minuten des Spiels herrscht im Stadion eine bedrückende Stimmung. Eisige Stille herrscht in der Kurve der Glatzen. Haben einige der BFC-Fans am Vorabend zu lange Führers Geburtstag gefeiert? Oder sind sie von dem Anblick der gegenüberliegenden Tribüne verstört? Mit ihren Deutschland-Fahnen und -kappen behängt, schauen die BFCler in Kreuzberg nicht etwa auf Fahnen mit Antifa-Emblem oder Halbmondstickerei, sondern auf zwei Deutschland-Flaggen. Mehmet Matur, der Integrationsbeauftragte des Berliner Fußballverbands, hat sie mitgebracht. Die ungewöhnliche Aneignung erklärt er so: »Wenn die da drüben sagen: ›Ausländer raus!‹, antworten wir: ›Wir sind Deutschland!‹«

Bereits in der achten Minute geht Türkiyemspor in Führung. Doch die wenigen Fans der Gastgeber können nur für spärlichen Beifall sorgen. Dafür versetzen die Gäste sich selbst in immer bessere Stimmung. Neben ihren Transparenten, auf denen das Vereinsmotto »Euer Hass macht uns stärker« zu lesen ist, entrollen sie ein kleineres Plakat mit der Aufschrift »Danke Schweiz!« Traditionelle Sprüche wie »Abschieben!« und »Pass auf! Der Ali steht hinter dir!« werden mit neuem Material wie »Schwesternmörder« und »Rütli-Schüler« angereichert.

Für die Spieler von Türkiyemspor gehören diese Beschimpfungen zwar zum Fußballalltag, da der Verein im Nordostdeutschen Fußballverband einer der wenigen nicht ostdeutschen Mannschaften ist, doch der BFC ist in Deutschland der Verein mit den meisten Hooligans der »Kategorie C«, eine polizeilich verliehene Auszeichnung für allzeit gewaltbereite Fußballfans.

»Die ›Asylanten-Rufe‹ sind für uns wie Zucker!« sagt der Manager Fikret Ceylan. Das Team ist häufig erheblich heftigeren Angriffen ausgesetzt. So wurde etwa während des Hinspiels ein Spieler von Türkiyemspor von einem Stein getroffen, der aus der Fankurve des BFC geworfen worden war.

Doch nicht nur bei Spielen gegen den BFC Dynamo sind Spieler und der Anhang von Türkiyemspor rassistischen Attacken ausgesetzt. Auch im Nordostfußballverband und in den politischen Gremien der Sportabteilungen des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg hat es der Verein nicht leicht. Der erfolgreichste, 1978 gegründete Kreuzberger Fußballclub erhält als einziger deutscher Verein in der Oberliga keinen eigenen Rasenplatz, um darauf zu trainieren. Das Sportamt Kreuzberg befürchtet, dass der Rasen kaputt ginge, wenn das Training der Oberligamannschaft von Türkiyemspor im Katzbachstadion ausgetragen werde.

Auch Manager Ceylan, der sichtlich darum bemüht ist, seinen Verein als unpolitisch darzustellen, versteht nicht, warum der Club noch immer eine besondere Behandlung erfährt. »Die Leute müssen endlich anerkennen, dass wir ein Berliner Verein sind«, betonen er und Dogan. »Bei uns wirst du keine türkischen Fahnen sehen«, sagt dieser.

Das war nicht immer so. Jedoch hat sich unter dem derzeitigen zweiten Vorsitzenden, Remzi Kaplan, einem der größten Dönerproduzenten Europas, die Fraktion in der Vereinsführung durch­gesetzt, die sich weniger mit der türkischen Fahne als mit dem Berliner Bären identifiziert, die beide das Vereinswappen schmücken.

Das Spiel am Samstag endet unentschieden 1:1. Während Türkiyemspor einige gut herausgespielte Torchancen unglücklich vergibt, ist der BFC nur ein einziges Mal in der Lage, die häufig chaotische Abwehr von Türkiyemspor zu überwinden. Die Ränge leeren sich schnell, aber die »dritte Halbzeit« fällt diesmal aus. Der Grund dürfte darin liegen, dass den ostdeutschen Hooligans ganz einfach die Gegner fehlen. Mitten in Kreuzberg steht eine Horde Glatzen, und keiner kümmert sich um sie.

Szenenwechsel. Bereits seit Stunden sitzen die meisten türkischen Fußballfans in Wettbüros und Vereinslokalen, um sich das Istanbuler Derby Fenerbahce gegen Galatasaray über Satellit anzuschauen, das für die türkische Meisterschaft vorentscheidend ist. Das Vereinshaus von Türkiyemspor am Kottbusser Tor quillt über. Hundert Leute stehen und sitzen in dem kleinen Laden und feiern ausgelassen den Sieg von Fenerbahce. »Das ist viel wichtiger als Türkiyemspor!« sagt ein Vereinsmitglied.

Das Satellitenfernsehen ist ein Grund, warum die Spiele von Türkiyemspor so schlecht besucht sind. Aber für die meisten Besucher ist der Verein sowieso nur noch ein Überbleibsel aus besseren Tagen: Anfang der neunziger Jahre stand man kurz davor, in die zweite Bundesliga aufzusteigen. Der Aufstieg wurde zwar knapp verpasst, aber der DFB schuf die »Lex Türkiyem«. Da in einer Bundesligamannschaft in der Regel nur vier nicht europäische Spieler unter Vertrag genommen werden dürfen, wurde der »Fußballdeutsche« erfunden: Wer fünf Jahre in einer deutschen Vereinsmannschaft gekickt hat, gilt als deutscher Fußballer, auch wenn er keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

Dennoch wurde kein einziger ehemaliger Spieler von Türkiyemspor je in einen Bundesligaclub geholt. Als Spieler des Kreuzberger Vereins kann man in Deutschland bis heute nichts werden. Eine Reihe von Spielern ist deshalb auch in die Türkei gegangen. Einer von ihnen, Ümit Karan, hat es in die »Süper Lig« gebracht. Seit einiger Zeit steht er bei Galatasaray unter Vertrag, er wurde sogar in den türkischen Nationalkader berufen.

»Früher wären wir mit 200 Mann vor das Stadion gezogen und hätten gewartet, dass die Nazis rauskommen!« raunt uns ein 30jähriger Fan von Galatasaray vor dem Vereinslokal zu. »Die Türken von heute gibt’s hier gar nicht mehr!« Zumindest für die Anhänger von Türkiyemspor scheint dies zuzutreffen.

Anfang Juni versucht der Verein ein weiteres Mal, seine internationale Bedeutung unter Beweis zu stellen. Statt der türkischen Nationalmannschaft wurden über 80 Türkiyem-Vereine von New York bis Sydney, die allesamt Nachfolger der Kreuzberger Pioniere sind, eingeladen, an der »Türkiyem-WM« in Berlin teilzunehmen.