»Als Weiße werden sie so etwas nicht erleben«

Yonas Endrias

Nach dem Angriff auf Ermyas M. in Potsdam hat der Afrika-Rat zusammen mit der Internationalen Liga für Menschenrechte die Herausgabe einer Broschüre (»Katalog mit Vorsichts­maßnahmen«) angekündigt, in der Gebiete aufgeführt werden sollen, in denen schwarze WM-Besucher in besonderem Maße mit rassistischen Übergriffen rechnen müssen. Nun wird den Organisationen Panikmache vorgeworfen. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm zufolge ist alles in Ordnung, eine solche Tat könne schließlich in jeder Stadt der Welt passieren. Yonas Endrias, stellvertretender Präsident der Liga und Mitglied im Afrika-Rat, sieht das anders. Mit ihm sprach Daniel Steinmaier.

In dem angekündigten Katalog werden schwarze WM-Besucher vor bestimmten Gegenden in Deutschland gewarnt. Wo ist das Risiko besonders hoch, Opfer eines rassistischen Angriffes zu werden?

Eigentlich im ganzen Osten. Von den in Berlin lebenden Schwarzen fährt keiner mit seiner Familie mal eben nach Brandenburg, ob­wohl auch ich gerne mal einen Ausflug in das Berliner Umland machen würde. Aber das kommt für mich nicht in Frage. Zur WM werden viele Tausende Menschen herkommen, die nicht ortskundig sind. Wenn Schwar­ze nachts im Osten in irgendeine Kneipe gehen wollen, um ein Bierchen zu trinken, dann ist das wirklich gefährlich für sie. Wir sind auch sehr besorgt, weil auf rechten Internetseiten ganz unverblümt Übergriffe auf Schwarze während der WM angekündigt wer­den. Wir nehmen diese Drohungen ernst, schließlich schlagen die Nazis auch schon ohne Ankündigung zu.

Der CDU-Politiker Frank Henkel hält den geplanten Katalog für »groben Unfug und Panikmache«, und Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm meint, es gebe keine Gebiete, vor denen man warnen müsse.

Ja, von ihrer Perspektive aus gesehen stimmt das. Als Weiße werden sie so etwas natürlich nicht erleben. Aber eigentlich müssten die Politiker nur ihre eigenen Zahlen zur Kenntnis nehmen. Rechtsextremismus und rassistische Gewalt nehmen zu. Verfassungsschutz und Landes- und Bundeskriminalamt bestätigen das. Und was in die Medien gelangt, ist nur die Spitze des Eisbergs. Die meisten Afrikaner, die überfallen werden, gehen nicht zur Polizei. Viele von ihnen sind Flüchtlinge und meiden den Kontakt mit Behörden, weil sie negative Auswirkungen auf ihr Asylverfahren befürchten. Die Zahlen sind daher extrem verfälscht.

Wolfgang Bosbach von der CDU meinte, dass solch ein Katalog nicht sinnvoll sei, weil man den Neonazis damit die »Na­tional Befreiten Zonen« überlasse …

Das ist das dümmste Argument, das ich je gehört habe, und das hört man übrigens auch bei Linken. Soll ich mich denn opfern? Soll ich mich schlagen lassen? Die »National Befreiten Zonen« wurden mit Gewalt durchgesetzt. Was erwarten denn die Politiker von mir? Es ist die Aufgabe der Politik, solche Zonen zu verhindern.

Meinen Sie, die Kritik an Ihrem geplanten Katalog beruht auf der Angst vor einem Imageschaden für Deutschland in Anbetracht der bevorstehenden WM?

Das ist der Punkt. Nach außen wirbt man mit dem Motto »Zu Gast bei Freunden«. Wir sind hier aber nicht »Zu Gast bei Freun­den«. Wir sind hier zu Hause, und uns stellt sich die Lage teilweise so dar, als wären wir »zu Hause bei Feinden«.

Derzeit wird der rassistische Hintergrund des Übergriffs auf Ermyas M. verstärkt in Frage gestellt …

Der Bundesinnenminister fragt, ob die Täter organisierte Rechtsextremisten sind oder nicht. Aber das ist doch völlig egal. Sie haben ihr Opfer als »Nigger« beschimpft und damit rassistisch gehandelt. Es geht um Rassismus als gesamtgesellschaftliches Problem. Nicht nur Rechtsextremisten sind Rassisten.

Man hat ja anfangs immer betont, dass Ermyas M. als Ingenieur sehr gut integriert sei. Jetzt wird in den Medien in den Vordergrund gerückt, dass er Alkohol im Blut gehabt haben soll und angeblich die Täter provozierte.

Das ist ein krampfhaftes Ablenkungsmanöver. Erst verharmlost man die Täter, indem man betont, sie seien keine Rechts­extremisten. Und dann redet man auch noch das Opfer schlecht. Selbst wenn er getrunken hätte, ist das sein gutes Recht. Auch ein betrunkener Schwarzer darf nicht halbtot geschlagen werden. Um den Imageschaden zu begrenzen, versucht man, die ganze Geschichte umzukehren und vom Thema Rassismus abzulenken.

Die WM soll ja angeblich der »Völkerverständigung« dienen. Kann Fußball nicht vielleicht wirklich auch einen positiven Einfluss haben?

In Deutschland passiert das Gegenteil. Wenn Sie zum Beispiel in Cottbus oder Halle zu irgendeinem Fußballspiel gehen, sehen Sie, wie die schwarzen Fußballspieler behandelt werden. Einer wurde kürzlich auf dem Spielfeld geschlagen. Jedes Mal wenn er Ballkontakt hatte, hat das ganze Stadion Affen­geräusche imitiert. Rassismus und auch Antisemitismus sind in Fußballstadien wirklich alltäglich und für jeden sichtbar. Die NPD hat einen »WM-Planer« gedruckt, auf dem steht: »Weiß – nicht nur eine Trikotfarbe. Für eine echte Nationalmannschaft.« Auch gegen Gerald Asamoah gibt es eine rassistische Kampagne im Internet. Dahinter stecken nicht einfach nur Fußballfans, sondern organisierte Rassisten.

Aber schwarze Fußballstars wie etwa Asamoah werden ja auch von vielen deutschen Fans verehrt.

Klar, man darf das nicht falsch verstehen. Ich sage nicht, alle Deutschen seien Rassisten, das liegt mir fern. Aber die Zahl der rassistischen Übergriffe steigt, und die Täter sind nicht nur ein paar vereinzelte Irre.

Im Westen wird Rassismus als typisches Ostproblem angesehen. Ist der Westen denn sicherer?

Meine Erfahrung ist, dass ich im Osten, je weiter ich mich von der Berliner Innenstadt wegbewege, beinahe jedes Mal mit Rassismus konfrontiert werde. Ich war auch in kleinen Orten im Westen und bin dort noch nie angegriffen worden. Die Menschen dort schauen mich auch komisch an, aber richtige Beschimpfungen und Übergriffe habe ich nur in Ostdeutschland erlebt. Das heißt nicht, dass es Rassismus in Westdeutschland nicht gibt, aber das Risiko, angegriffen zu werden, ist im Os­ten viel höher als im Westen.

Gibt es in Deutschland Schwarzen gegenüber einen speziellen Rassismus?

Afrikaner sind überproportional von rassistischen Übergriffen und Morden betroffen. Der erste Mensch, der nach der Wiedervereinigung sein Leben durch einen rassistischen Anschlag verlor, war ein Afrikaner. Hintergrund dafür ist auch die deutsche Kolonialgeschichte. Die afrikanische Landkarte, so wie wir sie heute kennen, ist 1884 in Berlin beschlossen worden.

Der erste Völkermord Ende des 20. Jahr­hunderts war der deutsche Völkermord an den Hereros. Die Deutschen errichteteten das erste als solches gekennzeichne­te Konzentrationslager im heutigen Namibia. Auch wurden in Deutschland Menschen aus Afrika als Zooattraktion ausgestellt. Das alles wurde nie richtig thematisiert. Der Rassismus der Kolonial­zeit hat die afrikanischen Menschen enthumanisiert, und das ist heute noch prägend. Deshalb ist die Hemmung, einen Afrikaner anzugreifen, noch immer viel geringer, als bei anderen.

Wie hat sich die Situation für Migranten in Deutschland in den letzten Jahren verändert?

Das Problem ist, dass man versucht, Rassismus einfach als rechtes Randphänomen abzutun. Dabei sind Rassismus und Xenophobie längst Mainstream geworden. Die Sprüche, die wir früher von den Republikanern und der DVU gehört haben, sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es ist auf jeden Fall deutlich schlimmer geworden.