Bulgarien will verstanden werden

Bulgarien wird die EU im nächsten Jahr nicht nur um eine neue Sprache, sondern um ein ganzes Alphabet bereichern. von jutta sommerbauer, sofija

Das bulgarische kyrillische Alphabet verfügt über 30 Buchstaben, darunter einige Sonderzeichen, die keine eindeutige lateinische Entsprechung haben. Ein verbindlicher Standard für ih­re Transliteration, die buchstabengetreue Umschrift in lateinische Buchstaben, existiert – theoretisch.

Auf Ortstafeln, Verkehrs- und Straßenschildern mit lateinischen Namen findet sich bis zum heutigen Tag eine muntere Vielfalt. Fährt man etwa in die Geburtsstadt des Schriftstellers Elias Canetti an der Donau, ist unterschiedlichen Ortstafeln zu entnehmen, dass man sich nun in »Russe«, »Ruse« beziehungsweise »Rousse« befinde. Ob Bulgariens Hauptstadt nun »Sofia«, »Sofija« oder doch »Sofiya« heißt, steht ebenfalls zur Debatte. Und selbst über die lateinische Schreibweise des Landes im Südosten Europas ist man sich längst nicht einig: Ob es nun »Bulgaria«, »Balgariya« oder doch »Bâlgarija« genannt werden soll, bleibt weitgehend der persönlichen Präferenz überlassen.

»Der Verwaltung mangelt es an Koordination«, sagt Svetla Koeva, die Leiterin der Abteilung Computerlinguistik an der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften. »Jede Gemeinde hat einfach Schilder gemacht, ohne diese mit dem existierenden Standard abzugleichen.«

Mit dem Projekt Razbiraema Bulgaria (»Verständliches Bulgarien«) soll dies nun anders werden. »Wenn jemand nach Bulgarien kommt und einen Ort besuchen will, muss es auch eine eindeutige Bezeichnung geben«, erklärt Koeva. »Wir wollen verständlich sein.« Eine Standardisierung der geographischen Ortsbezeichnungen dulde auch wegen des bevorstehenden EU-Beitritts Bulgariens keinen Aufschub, sagt Ni­kolay Vassilev, Minister für Verwaltung und Verwaltungsreform.

Auf Geheiß seines Ministeriums hat die Abteilung von Koeva nun eine Software entwickelt, die gratis im Internet zu benutzen ist und endlich Klarheit schaffen soll. In einer Datenbank wurden bislang 30 000 Personennamen und geographische Bezeichnungen – Ortschaften, Flüsse, Straßen, Plätze – gesammelt und ihre Schreibweise wurde verbindlich festgesetzt. Jeder Nutzer des Internets kann sich nun vergewissern, wie etwa sein Wohnort oder Name in lateinischen Buchstaben auszusehen hat.

»Chaotisch und verwirrend« sei die derzeitige Lage, bestätigt auch Chavdar Tsenov, der Leiter der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit im Verwaltungsministerium. Deshalb sollen die alten Beschilderungen allmählich ausgewechselt und durch korrekte Bezeichnungen in beiden Alphabeten ersetzt werden. Derzeit werde eine Verordnung vorbereitet, die die unterschiedlichen Behörden verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen in ihrem Bereich durchzuführen. Bis die Müh­len der Bürokratie in Gang kommen, wird es allerdings einige Zeit dauern, denn für die Umtauschaktion steht kein Extrabudget zur Verfügung. Auch ein anderes Problem macht den Reformern zu schaffen: »In Bulgarien fehlen sowieso massenhaft Schilder«, sagt Tsenov. »Es gibt nicht mal genügend auf Kyrillisch.«

Auf den bulgarischen Alltag wird das Projekt wohl nicht so viel Einfluss haben. Die Sprache wird zwar grundsätzlich nur in kyrillischen Buchstaben verschriftlicht – E-Mails, Chat- oder Textnachrichten schreibt man allerdings auch heute schon in lateinischen Buchstaben. Kürze hat dabei klaren Vorrang. »Wenn jemand eine E-Mail oder eine SMS schreibt, dann kann er jede Transliteration verwenden, die ihm passt«, sagt Koeva.

Auch in persönlichen Dokumenten wie im Reisepass und im Personalausweis haben die Standards zur Transliteration nur den Charakter von Empfehlungen. »Es ist die freie Entscheidung jedes Menschen, wie er seinen Namen in lateinischen Buchstaben schreibt«, sagt die Linguistin.