Bloß keine Gewalt

Frankreich wird sich mit 2 000 Soldaten an dem Einsatz in Südlibanon beteiligen. Die Skepsis gegenüber der UN-Resolution ist allerdings groß. von bernhard schmid, paris

Zwei Fährboote unter der Trikolore mit vielleicht je einem Dutzend Mann an Bord ­tuckern gemächlich heran. Im Hafen von Naqoura, in der Nähe von Tyrus im Südlibanon, legen sie an. Ein Panzerfahrzeug mit den Buchstaben UN auf der unteren Heckseite gleitet von Bord. Der Augenblick hat wenig Bedrohliches an sich. »Seht, das ist die französische Verstärkung!« höhnt der Nachrichtensprecher. So kommentierte Chris Wallace von Fox News am vorvergangenen Wochenende die Ankunft der ersten 50 französischen Sol­daten, die zusätzlich zu den bereits dort stationier­ten in den Südlibanon entsandt wurden. Doch es handelte sich dabei noch nicht um das Gros der französischen Verstärkung für die seit 1978 im Libanon stehende Uno-Truppe Unifil, sondern nur um die Vorhut des 200köpfigen Ingenieurs­bataillons, das die französische Regierung vorab entsandt hatte. Seine Mission soll vor allem darin bestehen, die bei den israelischen Luftangriffen zerstörten Straßen sowie 15 Brücken zu reparieren.

Doch ursprünglich war die schnelle Entsendung eines größeren Kontingents von Frankreich erwartet worden. Im Uno-Hauptquartier hatte man damit gerechnet, alsbald 2 000 bis 5 000 französische Soldaten in dem Land an der östlichen Mittelmeerküste zur Verfügung zu haben. Im Nachhinein scheint es, als ob diese Erwartung zumindest teilweise auf einem Missverständnis beruht habe. Am 7. August hatte ein namentlich nicht genannter Spre­cher des Verteidigungsministeriums gegenüber der Nachrichten­agentur AFP erwähnt, die »operationelle Reserve« der französischen Armee liege bei 2 000 Mann. Es handelt sich um jene für ausländische Krisengebiete bestimmten Interventionstruppen, die nicht durch Einsatzplanungen und vor­gesehene Ablösungen gebunden sind. Der Ausspruch war nicht unmittelbar so gemeint, dass die Absicht bestehe, 2 000 Mann sofort in Richtung Libanon in Marsch zu setzen. Aber entsprechende Erwartungen waren geweckt.

Die gesamte erste Wochenhälfte über hielt der französische Schlingerkurs an hinsichtlich der nähe­ren Ausgestaltung der Rolle, die Frankreich im öst­lichen Mittelmeerraum übernehmen wird. Einer­seits wollte Präsident Jacques Chirac die Erwartungen im Hinblick auf eine militärische Beteiligung Frankreichs nicht unbeantwortet lassen. Andererseits aber hakte es in den Verhandlungen daran, dass unterschiedliche Vorstellungen über die Definition des Auftrags der Unifil bestehen. Wie bei jedem diplomatischen Text handelt es sich auch bei der Resolution 1 701 um eine Kompromissformel, die je nach Interessenlagen und Kräfteverhältnis unterschiedliche Auslegungen zulässt.

Einige Tage lang redete Chirac sich darauf heraus, Frankreich sei ja bereits mit über 2 000 Soldaten in der Region engagiert. Dabei rechnete er aber zu dem französischen Unifil-Kontingent noch die 1 700 Mann der »Operation Baliste« hinzu. Diese kreuzen permanent auf vier Kriegsschiffen vor der libanesischen Küste, unterstehen aber allein dem französischen Kommando. Am Donnerstag dann verzichtete Chirac auf Rechentricks und präzisierte in einer Fernsehansprache, es werde 2 000 französische Soldaten »unter Blauhelmen«, also unter dem Kommando der Unifil, geben.

Den zentralen politischen Knackpunkt bildet die genaue Natur der Mission der Unifil. Die US-Regierung wünschte de facto einen Kampfauftrag nach dem Kapitel 7 der UN-Charta. Nach dessen Bestimmungen ist, sofern ein Staat oder eine Staatengruppe sich darauf berufen kann, im Auftrag des Sicherheitsrats zu handeln, offen­sive mili­tärische Gewaltanwendung zulässig. Aus mehreren Gründen wollte Frankreich keinen so gearteten Einsatz im Libanon durchgeführt sehen.

Man befürchtete, die Waffen der Hiz­bollah auf diesem Wege ohnehin nicht finden zu können – aber gleichzeitig Haus für Haus auf der Suche nach ihnen durchkämmen zu müssen und, ähnlich wie im Irak, die Zivilbevölkerung immer mehr gegen die »Besatzungstruppen« aufzubringen. Der ehemalige Kommandant der Unifil und französische General Jean Salvan, der im Mai 1978 im Libanon schwer verletzt wurde, meinte dazu im Interview mit Le Parisien, die Waffen der Hizbollah seien ohnehin in den letzten zehn Tagen aus der Einsatzzone der Unifil in andere Landes­teile geschafft worden.

In Paris befürchtet man zusätzlich ein »neues Drakkar«. In dem französischen Stützpunkt dieses Namens starben im Oktober 1983 bei einem Attentat, das dem Vorläufer der Hizbollah zugeschrieben wird, 58 französische Fallschirmjäger. Damals nahmen die Franzosen neben US-Amerikanern, Briten und Italienern an einer multinationalen Eingreiftruppe westlicher Staaten teil, deren Aufgabe vor allem darin bestand, die Interessen Israels gegenüber der im Libanon aktiven PLO zu schützen.

Heute befürchtet man, so resümiert die Wochenzeitung für Satire und Hintergrundinforma­tion Le Canard enchaîné, einem »irakischen Szenario« beiwohnen zu können: Neben der Hiz­bollah könnte ein Konflikt auch sunnitische isla­mistische Milizen anziehen. Käme es zu inter­konfessioneller Gewalt wie im Irak, wäre die Katastrophe da. Deshalb, so wird Präsident Chirac zitiert, wolle man »um jeden Preis eine Irakisierung des Libanon vermeiden«.

Nachdem ein Kampfauftrag nach Kapitel 7 ab­ge­lehnt worden war, blieb nach dem herkömm­lichen UN-Recht eigentlich nur noch eine Puffertruppe nach Kapitel 6 der Charta, die als Waffen­stillstands­beobachterin fungiert hätte. Dagegen aber meuterten wiederum die Militärs in Frankreich. Denn eine solche Puffertruppe darf nur im äußersten Notfall Waffengewalt anwenden. Aber die französische Armee hat im vergangenen Jahrzehnt über 70 Solda­ten in Bosnien verloren, die dort an einem so gestal­te­ten Einsatz teilnahmen. Die Armeelobby wetterte, erneut werde ihren Männern das Schicksal drohen, »wie Hasen ab­geschossen zu werden«. Chirac wurde unter Druck gesetzt. Er handelte deshalb einen Kom­promiss aus: Die Unifil-Soldaten werden auch über die Notwehr hinaus Gewalt anwenden dürfen, wenn sie Bewaffneten im Südlibanon begegnen, ohne dass daraus ein offensiver Kampfauftrag erwüchse.

Frankreich möchte die Suppe, die es sich mit der Präsenz von etwa 2 000 französischen Soldaten nun­mehr doch einbrocken könnte, zumindest nicht allein auslöffeln. Deshalb trat auf französische Initiative am Freitag Abend in Brüssel ein Gipfel der EU-Länder zusammen, der beschloss, insgesamt zwischen 5 600 und 7 000 Soldaten in den Südlibanon zu schicken. Das größte Kontingent mit 2 000 bis 3 000 Mann wird Italien schicken. Dieses Land soll ab Februar 2007 auch das Oberkommando der Unifil übernehmen, das bis dahin bei dem französische General Alain Pelligrini verbleibt.