Damit es auch in Kuba schneit

Über der Straße von Florida tobt eine Propagandaschlacht. Mit High-Tech versuchen die USA, Kubas Informationsblockade zu brechen – mit bescheidenem Erfolg. von knut henkel

Thomas Shannon, Unterstaatssekretär der USA für die westliche Hemisphäre, ist sich ganz sicher. »Mit der Gesundheitskrise Fidel Cas­tros hat der Wechsel im kommunistischen Regime Kubas begonnen.« Das Thema ist auf der Homepage von Martinoticias der Aufmacher. Martinoticias ist der derzeit wohl teuerste Propagandasender der USA. Etat 2006: 38 Millionen; oberstes Ziel: die Informationsblockade in Kuba zu brechen und die Regierung zu destabilisieren.

Das erste ist dem in Miami operierenden Sender seit dem 6. August anscheinend gelungen. Seitdem steigt an sechs Tagen in der Woche ein zweimoto­riges Propellerflugzeug in Key West auf, um das Programm von Televisión Martí aus der Luft zu senden. »Mit der Übertragung von Bord des Flugzeugs wird das Versprechen des Präsidenten eingelöst, die Informationsblockade über Kuba zu brechen. Der Zugang der kubanischen Bevölkerung zu aktuellen und exakten Informationen, die die Kubaner in dieser kritischen Zeit benötigen, wird verbessert«, so Pedro Roig.

Der ehemalige Teilnehmer der Invasion in der Schweinebucht ist heute Direktor der US-Office of Cuba Broadcasting und damit faktisch der Chef von Radio und Televisión Martí. Die beiden in Miami angesiedelten Stationen senden Radio- und Fernsehformate nach Kuba und sollen ein Gegengewicht zum staatlichen Programm von Cubavisión und anderen Sendern bilden. Angesichts der Erkrankung von Fidel Castro setzt Roig auf die Medienoffen­sive. Deshalb hat der Chef der beiden Sender darauf gedrungen, das neue – aus Steuermitteln finanzierte – Sendeflugzeug so schnell wie möglich startklar zu machen. Die Bemühungen der Techniker hatten Erfolg, denn die Nachrichten aus der Luft sollen Roig zufolge zumindest in Matanzas und Havanna gut zu empfangen gewesen sein. Das hätten Anrufe bestätigt.

Für Televisión Martí eine gute Nachricht, denn der Sender hat ein Problem: Er hat kaum Zuschauer. Seit seiner Gründung 1990 haben Spezialisten immer wieder gesagt, dass es ausgesprochen einfach sei, ein von Ferne kommendes Signal zu blockieren. »Kinderkram« sei das, sagte der ehemalige US-Botschafter in Kuba, Wayne Smith, Anfang voriger Woche dem Miami Herald. Smith ist ebenso wie Senator Ron Wyden kein Freund von Televisión Martí: »Wir füttern die Kubaner mit Schnee (…), wahrscheinlich mit dem teuersten Schnee, den wir jemals auf dem Planeten gesehen haben«, merkte der sarkastisch an.

Wegen der kubanischen Störsender waren die Bilder in Kuba in der Vergangenheit nicht zu empfangen – mehr als weiße Flocken auf schwarzem Grund gab es nicht zu sehen. 500 Millionen US-Dollar hat sich das Weiße Haus den Betrieb von Radio Martí (seit 1985) und TV Martí (seit 1990) bisher kosten lassen. Und 2006 wurden die Mittel noch einmal um zehn Millionen Steuerdollar aufgestockt, da­mit der Propagandaflieger bezahlt werden kann. Denn mit dem Flugzeug soll alles bes­ser werden. »Ein Signal, dessen Position sich kontinuierlich verändert, ist ungleich schwe­rer zu stören«, so Direktor Roig.

Allerdings können nur diejenigen Kubaner den Kanal aus Miami empfangen, die über eine Satellitenantenne verfügen. Und die haben auch die Auswahl zwischen CNN, HBO, dem US-Latinokanal Univisión und anderen spanischen und lateinamerikanischen Kanälen.

»Warum also Televisión Martí schauen und alten schreienden Exilkubanern lauschen?« fragt John Nichols, Medienforscher von der Pennsylvania State University, provokant. Selbst in Miami, der Hochburg der Exilkubaner, hat die »Stimme der Wahrheit«, wie sich die Sender hochtrabend nennen, keinen uneingeschränkten Rückhalt. »Die meisten Sendungen sind nichts als pure Propaganda«, so Alfredo Durán, ein Veteran der Invasion in der Schweinebucht, der sich vom Hardliner zum Dialogbefürworter gewandelt hat. Propagandistisch sei die hölzerne Satire »Oficina del Jefe« (Büro des Chefs) genauso wie »El periodico Grampa«, wie eine Sendung in Anlehnung an das Parteiblatt Granma heißt. »Pure Geldverschwendung« ist der nach dem kubanischen Freiheitshelden benannte Sender für Durán.

Gleichwohl haben die Kubaner, die sich seit der Gründung der Radiostation 1985 am Namen stören, zum Gegenschlag ausgeholt. In der Tageszeitung Granma, dem Blatt der kommunistischen Partei Kubas, wird die Kampagne gegen die »Piraterie von Satelliten­signalen« bekannt gegeben. Seitdem fahren die mit Antennen bestückten Peilwagen des Innenministeriums öfter durch die Straßen von Havanna. »Sie sind auf der Jagd nach illegalen Satelliten­schüsseln und den Nutzungsnetzen dahinter«, erklärt Iván García. »Spinnennetze« werden die Haushalte genannt, die an den oft selbst gebastelten Satellitenempfängern hängen. »Zehn Peso Con­vertible, umgerechnet rund zehn US-Dollar, zahlen die Nutzer dem Lieferanten«, so der unabhängige Journalist García. Geschaut wird, was es so gibt – CNN, lateinamerikanische und spanische Sender.

Derzeit geht es natürlich auch um die neuesten Informationen über den Gesundheitszustand und die Spekulatio­nen über die Nachfolge des Coman­dante en Jefe, Fidel Castro. Und da haben die aus­ländischen Sender mehr zu bieten als Cubavisión. Ein wesentlicher Grund, für das offizielle Kuba, einzuschreiten und den Missbrauch strafrechtlich zu verfolgen, schätzt Gerardo Sánchez, Bruder des bekannten Menschenrechtsaktivisten Elizardo. Er hält die Informationspolitik der kubanischen Regierung schlicht für falsch. Man sei gezwungen, nach alternativen Informationskanälen zu suchen. Der 60jährige hängt am Kurzwellensender und hört BBC oder Radio España. Populärer ist jedoch derzeit das internationale Fernsehen, wie der Schüsselwald in Havanna zeigt. Mindestens 10 000 Satellitenantennen soll es auf Kuba geben, wird in Dissidentenkreisen geschätzt. Deren Besitz, so die Granma, könne mit Geldstrafen von 30 000 Peso, rund 1 250 US-Dollar, und mit drei Jahren Haft geahndet werden. Angesichts der »derzeitigen Bedingungen muss energisch vorgegangen werden«, hieß es dazu in der Granma-Ausgabe. Einen »zersetzenden Inhalt« würden die Antennen »nach Kuba tragen«.

Auf ihrem Feldzug gegen den subversiven Inhalt haben die kubanischen Behörden vor allem die US-amerikanischen Stationen, allen voran Radio und Televisión Martí, im Blick. Anders als die Fern­sehstation wird die Radio­station in Kuba von sehr vielen Menschen wahrgenommen, so Gerardo Sán­chez. Die Radioprogramme werden wesentlich weniger effizient gestört als die des Fernsehens, und nicht nur in Dissidentenkreisen genoss die Radioredaktion lange Jahre einen guten Ruf, so Tania Quintero. Die in Luzern lebende kubanische Journalistin hat Mitte der neunziger Jahre gemeinsam mit dem bekannten Dichter Raúl Rivero die erste unabhängige Nachrichtenagentur, Cuba Press, aufgebaut. »Wir haben uns über Radio Martí informiert, aber auch Berichte telefonisch geliefert«, so die 63jährige Frau.

Das wurde jedoch nach dem Amtsantritt von George W. Bush immer schwieriger. Ein Rechtsruck in der Redaktion führte dazu, dass nur noch negative Berichte über die Situation Kubas ausgestrahlt wurden. Gute Nachrichten von der Insel waren fortan nicht mehr erwünscht, klagen ehemalige Redakteure der Radiostation 2003. Ihnen wurde die Sendezeit beschnitten, und manchem Redakteur wurde sogar gekündigt.

Beliebte Sänger wie Pablo Milanés oder der ver­storbene Compay Segundo, die sich nie von der Regierung Castro distanziert hatten, werden auf Radio Martí nicht gesendet. Involviert in die Schlacht um die Informationen ist der Granma zufolge auch die US-Interessenvertretung in Havanna. Kurzwellenradios, Telefonkarten, Notebooks, aber auch Decoder und Satellitenantennen hätten die Diplomaten geliefert – vorwiegend den Dissidenten, die in Kuba offiziell als »Söldner« bezeichnet werden. In deren Interesse ist die neuer­liche Konfrontation in der Schlacht um Informatio­nen aber nicht. Anders als Radio und TV Martí treten die meisten Dissidenten in Kuba für die na­tionale Versöhnung ein.