Viel riskiert, nichts erreicht

Nachdem die israelische Regierung im Libanon keines ihrer Kriegsziele erreicht hat, steht sie innenpolitisch unter starkem Druck. von andré anchuelo

Während die Hizbollah ihren »historischen Sieg« im jüngsten Nahost-Krieg feiert, fällt es der israelischen Regierung immer schwerer, den Feldzug im Libanon zu rechtfertigen. Sowohl außen- als auch innenpolitisch steckt die von Ministerpräsident Ehud Olmert geführte Koalition in der schwersten Krise ihrer Amtszeit. Nicht einmal ein halbes Jahr nach ihrem Wahlsieg hat die Regierung mit Olmert, dem Vorsitzenden der Kadima-Partei, an der Spitze und Verteidigungsminister Amir Peretz von der Arbeitspartei die Unterstützung der Bevölkerungsmehrheit verloren.

Ausgangspunkt der Regierungskrise war der Krieg gegen die islamistische Terrororganisation Hizbollah im Libanon. Nachdem die »Partei Gottes« Mitte Juli Israel mit Raketen angegriffen, acht israelische Soldaten getötet und zwei entführt hatte, war die Unterstützung in der israelischen Bevölkerung für eine militärische Gegenoperation noch groß. Olmert erklärte, es gehe dabei sowohl um die Befreiung der beiden Entführten als auch um die Unterbindung des Beschusses des israelischen Nordens durch die Raketen der Hizbollah und die Entwaffnung der schiitischen Miliz.

Seit dem auch von den Vereinten Nationen anerkannten vollständigen Abzug der israelischen Armee aus dem Südlibanon im Mai 2000 hatte die Hiz­bollah immer wieder israelisches Staatsgebiet mit Katju­scha-Raketen angegriffen. Doch bevor es nach fünf Wochen Krieg zu einem Waffenstillstand kam, konnten weder die beiden Soldaten befreit werden noch war die israelische Armee in der Lage, den Raketenbeschuss zu unterbinden. Zuletzt regneten zum Teil über 200 Katjuschas täglich auf Israel nieder, auch weit von der Grenze entfernte Städte wie Haifa und Tiberias wurden mehrfach von Raketen größerer Reichweite getroffen.

Israels Generalstabschef Dan Halutz hingegen beharrt darauf, dass Israel den Krieg gewonnen habe. Unabhängige Militärexperten wie etwa Ehud Yaari vom Magazin Jerusalem Report geben ihm zwar insoweit Recht, als dass die Hizbollah militärisch wesentlich härter getroffen wurde, als es ihr Jubelgeschrei vermuten lassen würde: »Tatsächlich verlor sie den größten Teil ihres Bestandes an schweren Raketen und die Besten ihrer Kämpfer.« Doch die von Israel verkündeten Kriegsziele wurden am Ende nicht erreicht.

Yaari sieht die Ursachen zum einen in strategischen Fehlkalkulationen der Armeeführung und taktischen Missgriffen untergeordneter Kommandanten. Vor allem die Tatsache, dass der ehemalige Luftwaffengeneral Halutz geglaubt habe, die Hizbollah allein mit Bombenangriffen besiegen zu können, sei ein grandioser Irrtum gewesen. Zum anderen aber habe vor allem die Regierung mit Olmert und Peretz im Zentrum versagt und trage mit der Übernahme der falschen Luftkriegsstrategie von Halutz und ihrem zögerlichen Zickzackkurs die Hauptverantwortung für den Fehlschlag der Militäroperation.

Der Krieg endete mit einem Waffenstillstand, der eine UN-Truppe mit unklarer Mission vorsieht und eine Entwaffnung der Hizbollah unwahrscheinlich macht. Der jüngste Konflikt dürfte nicht die letzte Auseinandersetzung mit der islamistischen Miliz gewesen sein, die den Kampf gegen Israel fortsetzen will.

So kam es nicht sonderlich überraschend, als in der vergangenen Woche eine Umfrage der größten israelischen Tageszeitung Yedioth Achronot ergab, dass 63 Prozent der Israelis den Rücktritt Olmerts wünschen und sogar 74 Prozent mit seiner Amtsführung unzufrieden sind. Für die Demission von Verteidigungsminister Peretz votierten gar drei Viertel der Befragten. Einer anderen Umfrage zufolge könnten bei Neuwahlen derzeit die nationalkonservativen und rechten Parteien Likud, Israel Beitenu und Nationale Union zusammen mit den religiösen Parteien mit einer Mehrheit in der Knesset rechnen. Die Regierungskoalition hingegen müsste schwere Verluste hinnehmen.

Dynamik bekommt diese vorherrschende Stimmung durch eine neue politische Bewegung, zusammengesetzt vorwiegend aus Reservesoldaten, die aus dem Libanon zurückgekehrt sind. Sie fordert inzwischen mit Demonstrationen und einem Protestcamp vor Olmerts Büro den Rücktritt der »Troika« aus Olmert, Peretz und Halutz. Allerdings könnte diese Bewegung schnell wieder versanden, denn inhaltlich geht es ihr lediglich um das militärische Versagen der Regierung. Politische Konzepte hat sie, zumindest bislang, nicht.

Erschwerend kommen für Olmert die inneren Auflösungserscheinungen seiner Regierung hinzu. Den Rücktritt von Justizminister Chaim Ramon mag er noch verschmerzen, denn die Vorwürfe betreffen nicht die Regierungspolitik. Gegen Ramon wird wegen der sexuellen Belästigung einer Mitarbeiterin ermittelt. Allerdings war der Justizminister bislang einer der loyalsten Unterstützer Olmerts in der Kadima. Verschiedenen anderen Politikern der Partei wird hingegen bereits jetzt nachgesagt, dass sie zum Likud übertreten wollen.

Das ist für Olmert umso fataler, als er Mitte August eingestehen musste, womit ohnehin jeder gerechnet hatte. Der von seinem Vorgänger Ariel Sharon entwickelte »Konvergenzplan«, der einen weitgehenden Rückzug aus der Westbank und die Räumung Dutzender israelischer Siedlungen in dem Gebiet vorsah, wird bis auf weiteres nicht in die Tat umgesetzt. Doch eine strategische Alternative zu diesem zentralen politischen Projekt seiner Partei konnte Olmert nicht nennen. Schon fragen Beobachter wie etwa Aluf Benn, Kommentator der Tageszeitung Ha’aretz, was dann noch »der Sinn einer Fortführung von Olmerts Regierung« sei.

Auch der wichtigste Koalitionspartner Olmerts, die Arbeitspartei von Amir Peretz, ist in Aufruhr. Eine Abstimmung über den Haushalt des kommenden Jahres im zuständigen Knessetkomitee musste in der vergangenen Woche verschoben werden. Zwei Abgeordnete der Arbeitspartei hatten zuvor ihre Ablehnung von Haushaltskürzungen wegen des Libanon-Kriegs in Höhe von zwei Milliarden Shekel (umgerechnet etwa 360 Millionen Euro) angedroht. Dahinter steht die stärker werdende Opposition gegen Peretz’ Parteivorsitz, angeführt vom ehemaligen Inlandsgeheimdienstchef Ami Ayalon und mehreren ehemaligen Armeegenerälen.

Derweil gewinnt der ehemalige Ministerpräsident Benyamin Netanyahu wieder an Popularität. Der Vorsitzende des Likud liegt in den jüngsten Umfragen klar vor Olmert. Doch auch er muss sich möglicherweise harter Konkurrenz erwehren. Einem Bericht des staatlichen israelischen Radios zufolge erwägt der ehemalige Generalstabschef Moshe Yaalon, in diesem Amt Vorgänger von Halutz, den Beitritt zum Likud. Ob er sich mit dem Amt des Verteidigungsministers zufrieden geben würde, ist fraglich. Umfragen zufolge dürfte der Likud mit Yaalon als Spitzenkandidaten auf noch bessere Wahlergebnisse hoffen als mit Netanyahu.

In der Arbeitspartei werden die Rufe nach einer Rückkehr des ehemaligen Ministerpräsidenten und Generalstabschefs Ehud Barak immer vernehmlicher. Mit Olmert und Peretz führten erstmals Politiker eine Regierung, die nicht zuvor hohe Offiziere gewesen sind. Die Antwort auf das konstatierte Versagen der Zivilisten könnte die Rückkehr ehemaliger Generäle an die Spitze der israelischen Politik sein.