Waffenarsenal einer Frau

Die Dokumentation zur Biografie Hedy Lamarrs zeigt die Hollywood-Diva als Großmeisterin der Kommunikation. von esther buss

Hedy Lamarr taucht in Kenneth Angers legendärer Sittenchronik über die Glanzzeit Hollywoods nicht auf. Dabei scheint ihr Leben wie gemacht für einen Platz in »Hollywood Babylon«. Bekannt wurde die Schauspielerin aus Wien, eigentlich Hedwig Eva Maria Kiesler, durch den Film »Ekstase« (1933), dessen Nacktszenen die damaligen Zensurbehörden in Aufregung versetzten. 1937 floh sie vor ihrem herrschsüchtigen Mann, einem österreichischen Munitionsfabrikanten, nach Amerika, wo sie von Louis B. Mayer, dem MGM-Boss, unter dem glamourösen Namen Hedy Lamarr zum Star gemacht wurde. Sie spielte in über 25 Filmen, überstand sechs Ehemänner und hatte im Laufe ihrer Karriere etwa 30 Millionen Dollar verdient und ausgegeben. Bevor sie Anfang des Jahrtausends einsam und verarmt in Florida starb, tauchte sie immer wieder auf kuriose Art in der Öffentlichkeit auf – durch eine krude Autobiografie, einige Ladendiebstähle und eine späte Anerkennung für eine Erfindung im Bereich drahtloser Datenübertragungstechnologien.

1942 hatte Lamarr gemeinsam mit dem amerikanischen Avantgardemusiker George An­theil ein Torpedo-Abwehrsystem entwickelt, das sie unter der Bezeichnung secret communication system dem Militär zur Nutzung überließen (angeblich soll es in der Kuba-Krise zur Anwendung gekommen sein) und dessen Innovation – das so genannte frequency hopping (Frequenzsprungverfahren) – den Weg bereitete für Mobilfunk, GPS und moderne Satellitenkommunikation.

Der Film von Fosco und Donatello Dubini und Barbara Obermaier verspricht zwar Aufklärung und Enthüllung, befeuert aber eher Spekulationen und Mythenbildung. Denn das, was man als Ich bezeichnet, verschwindet bei Lamarr im Gegensatz zu anderen Filmdiven ihrer Zeit völlig hinter einer Kunstfigur, in der sich Selbst- und Fremdbilder, Leinwandfigur, Privatperson und Publicity-Image vermischen. Ihre Biografie ist schlichtweg zu unstimmig, um darin das klassische Prinzip des rising and falling star verkörpert zu sehen, der einer monströsen Hollywoodmaschinerie zum Opfer fällt. Unter dem Begriff secret communication versuchen die Filmemacher, Lamarrs Widersprüche als gezielte Irreführungen zu deuten. Und insofern stellt das technische Verfahren des frequency hopping nur eine Variante dessen dar, was der Star im eigenen Leben längst praktizierte – den virtuosen Umgang mit verschiedenen Formen der Kommunikation.

Tatsächlich zeigen einige Interviews mit Bekannten und Filmkollegen den Erfolg dieser Unternehmung. So werden von ihr erzählte Geschichten als angebliche Wahrheiten weitergegeben: Hitler habe ihr die Hand geküsst und ihr erster Mann habe alle Kopien von »Ekstase« aufgekauft, um die Vorführung des Films für immer zu verhindern. Abenteuerlich klingt auch die Schilderung ihrer Flucht aus Österreich, die nur durch die Tarnung als Dienstmädchen gelang. Ein Freund spekuliert, die gebürtige Jüdin und Nazi-Gegnerin Lamarr habe dabei höchstwahrscheinlich geheime Dokumente ihres Gatten aus dem Land geschmuggelt, der mit den Nazis Geschäfte machte, und entwirft damit ein Szenario, in der sie die Rolle einer Spionin einnimmt. Wie schon in den beiden Dokumentationen über Thomas Pynchon und Jean Seberg geben die Filmemacher hier Raum für Verschwörungstheorien. Eine besondere Ausgrabung stellt ein Interview mit dem ORF von 1970 dar, in dem Lamarr desillusioniert auf ihre Filmkarriere zurückblickt. Sie wirkt sediert und traurig.

Gerne würde sie mal wieder einen Film machen, »aber nicht mehr so etwas Dummes wie früher«.

Ihre Autobiografie klingt da weniger nüchtern. »Ecstasy and me« ist eine trashige Mischung aus Bekenntnissen über ihr Sex- und Liebesleben und Hollywood-Gossip. Einiges klingt ziemlich haarsträubend, aber nicht nur aus diesem Grund kann man sich kaum auf den Wahrheitsgehalt des Buchs verlassen. Sie selbst bezeichnete es als lügenhaft und verklagte den Verlag auf Schadenersatz. Der Gerichtssaal war für Lamarr ein wichtiger öffentlicher Ort, den sie allerdings nicht immer freiwillig aufsuchte. Abgesehen von ihren Scheidungen führte sie noch weitere Prozesse, und auf die Frage nach ihren Lieblingsrollen antwortete sie einmal, das seien einige ihrer Auftritte vor Gericht gewesen.

Aber neben dem »Geheimwissen« um Formen der Selbstinszenierung bedeutete secret communication auch Überwachung. Der Film zeigt Hollywood als verdeckt agierenden Kontrollapparat, der nicht nur das öffentliche Auftreten der Schauspieler bestimmte, sondern auch den privaten Lebensentwurf. Natürlich lag das Leinwand­image ebenso fest in der Hand der Studios. In Lamarrs berühmten Sätzen: »Any girl can be glamorous. All you have to do is stand still and look stupid« steckt einiger Zynismus. Vergeblich versuchte sie, dem Stereotyp der kalten Marmorschönheit das einer sexy Verführerin entgegenzusetzen, was oft mit ihrem eher steifen Spiel kollidierte.

Doch davon abgesehen ging sie bei der Auswahl ihrer Rollen auch nicht besonders treffsicher vor – die Hauptrolle in »Casa­blanca« hatte sie abgelehnt. Ohnehin war das Rollenangebot wegen ihres unüberhörbaren Akzents eingeschränkt, unzählige Male musste sie die exotische Schöne im Exil reproduzieren, eine »weiße Fracht« – »White Cargo«, so einer der Filmtitel. Andere heißen »Algiers«, »Lady of the Tropics« oder »A Lady Without a Passport«. Verständlich, dass sie eine eigene Produktionsfirma gründete, erfolgreich war sie damit allerdings nicht.

Die fünfziger Jahre überstand sie nicht mehr unbeschadet. In gewisser Weise passte sie nicht in die Ära des Farbfilms, obwohl ihr erster Film in Farbe, das monumentale Epos »Samson and Delilah« (1949), ihr größter Erfolg wurde. Ihre Schönheit, die oft in Superlativen beschrieben wurde (»die schönste Frau des Jahrhunderts«), wirkte im weißen Licht und in den harten Schatten des Schwarz-Weiß besonders entrückt und nicht von dieser Welt.

In den letzten Jahren ihres Lebens kam Lamarr der tragischen Figur des gefallenen Stars dann doch sehr nahe, und man sieht sich manchmal an Norma Desmond aus Billy Wilders »Sunset Boulevard« erinnert. Auf ihren Absturz bezieht sich auch Andy Warhols Film »Hedy« (1966), in dem die von einer Dragqueen verkörperte Diva wegen Ladendiebstahls vor Gericht steht, die Jury besteht aus ihren sechs Ehemännern.

Kenneth Anger, der Lamarr kannte, hat dafür nur Verachtung übrig. Empathisch erzählt er von Schmutz- und Staubschichten in ihrem heruntergekommenen Apartment, auf dessen Fußboden sie achtlos ihre kostbaren Pelze herumliegen ließ, von Juwelen und Diamanten, die in einer Plastiktüte aufbewahrt und dann gestohlen wurden. Auch erfährt man, dass Lamarr sich beim Umzug in ihren letzten Wohnsitz direkt in die Garage fahren ließ, um von dort aus unbemerkt ins Haus zu gelangen, wo sie hauptsächlich im abgedunkelten Zimmer saß. Zuletzt hat Hedy Lamarr weiter an »Erfindungen« gearbeitet, etwa einer Apparatur für gebrauchte Kleenex-Taschentücher.