Alle Macht den Großen

Französische EU-Pläne

Als die französische Politikerin Ségolène ­Royal am Mittwoch vergangener Woche die EU-Kommission in Brüssel besuchte, benutzte sie den unterirdischen Eingang. Die Pressekonferenzen hatte Royal, die als Präsident­schaftskandidatin der Sozialdemokraten gilt, bereits zuvor abgesagt.

Ihre Diskretion war der Tatsache geschuldet, dass der französische Innenminister und mutmaßliche konservative Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy fünf Tage zuvor in Brüssel seine Zukunftspläne für die EU präsentiert hatte. Royal hatte offensichtlich kein Interesse daran, darauf zu reagieren. Konkret schlug Sarkozy einen neuen »Mini-Vertrag« für die EU vor. Dieser könne im ersten Halbjahr 2007 unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft erarbeitet und im zweiten Halbjahr 2008 unter französischer Präsidentschaft ratifiziert werden. Anders als die gescheiterte »Verfassung« sollte der neue Vertrag jedoch nicht von der Bevölkerung, sondern nur von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden.

Sarkozy möchte auch davon wegkommen, dass alle Entscheidungen in den EU-Gremien einstimmig gefasst werden müssen. Er plädierte stattdessen für »superqualifizierte Mehrheiten«, so dass 70 bis 80 Prozent der Stimmen ausreichen, um beispielsweise über die Einwanderungs- und Asylpolitik zu befinden. Zuvor hatte er die jüngst erfolgte »Legalisierung« so genannter illegaler Einwanderer in Spanien und Italien angegriffen, bei der man andere EU-Länder wie Frankreich nicht gefragt habe.

Statt der wechselnden Ratspräsidentschaft will Sarkozy einen »stabilen Präsidenten« etablieren, der vom Europa-Parlament gewählt werden soll, sowie einen gemeinsamen Außenminister. Derzeit hat jedes der 25 Länder einen Kommissar, aber die Zahl der Kommissare soll in Zukunft reduziert werden. Sarkozys Überzeugung zufolge wäre aber die »Kommission tot, wenn eines Tages eine Mehrheit von Kommissaren eine wichtige Entscheidung gegen ein großes Land treffen würde, das (gerade) nicht vertreten ist«, zitiert ihn die Tages­zeitung Le Figaro.

Stattdessen schlug er vor, der Kommissions­präsident solle sich »seine Mannschaft« selbst zusammenstellen und dabei die jeweils zu vertretenden Länder aussuchen. Was faktisch eine Art »Koalition der Willigen« unter besonderer Berücksichtigung der großen, einflussreichen Länder bedeuten würde.

Wichtig ist es dem Innenminister zufolge, »jetzt klar zu sagen, wer Europäer ist und wer nicht«. Dazu gehören nach seiner Definition alle Länder auf dem Balkan und in Skandinavien sowie die Schweiz. Nicht dabei sein sollte hingegen die Türkei. Dem Land trug Sarkozy, ebenso wie den nordafrikanischen Staaten, eine »privilegierte Partnerschaft« an, was bedeute: Es gäbe Militärabkommen, die Anwendung von Freihandelsregeln und dazu noch die Möglichkeit, Studierende an Universitäten in der EU zu schicken.

Royal reagierte auf die Vorschläge ihres Konkurrenten nur sehr verhalten. Sie ließ nach ihrem Besuch der EU-Kommission durchblicken, dass sie Sarkozys Ansichten zur Einwanderungspolitik weitgehend teilt, und kritisierte ebenfalls das spanische und italienische Vorgehen. Ihren spärlichen Äußerungen war zu entnehmen, dass sie einer »privilegierten Partnerschaft« der Türkei, wie von Sarkozy definiert, nicht vollständig abgeneigt ist. Ansonsten möchte sie die Perspektiven für die Union nicht vorrangig über ihre Institutionen definiert sehen, sondern über inhaltliche Programme »für die Vorbereitung der Ära nach dem Erdöl, über Innovationen und Forschungsinvestitionen«. Ein offensichtliches Ausweichmanöver, um sich zum heiklen Thema der politischen Institutionen nicht deutlicher äußern zu müssen.

bernhard schmid