»Wir haben trotz vieler Niederlagen durchgehalten«

Günter Burkhardt
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Mit zahlreichen Veranstaltungen und einer großen Party in Frankfurt am Main beging die Flüchtlings­orga­ni­sa­tion Pro Asyl am Freitag ihr 20jähriges Bestehen. Zum diesjährigen »Tag des Flüchtlings« forderte Pro Asyl eine groß­zügige Bleiberechtsregelung für ­langjährig geduldete Migranten in Deutschland und kritisierte scharf den Umgang mit Flüchtlingen an den europäischen Außengrenzen. Seit der Gründung bei Pro Asyl dabei ist der heutige Geschäftsführer Günter ­Burkhardt. Mit ihm sprach Ivo Bozic.

Sie haben in der vergangenen Woche ein großes Fest zum 20jährigen Bestehen von Pro Asyl gefeiert. Was war damals der Anlass für die Gründung?

In den achtziger Jahren wurde die Flüchtlingsthematik in den Wahlkämpfen immer mehr zum Stimmenfang missbraucht. Es gab zunehmend fremdenfeindliche Tendenzen. Pro Asyl wurde gegründet, um sich in die öffentliche Diskussion einzumischen, und zwar als Bündnis von Personen aus Kirchen, Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen, Verbänden und Initiativen.

Wer sind heute die Protagonisten bei Pro Asyl?

Diese gesellschaftlichen Gruppen stehen nach wie vor hinter Pro Asyl und arbeiten mit. Erfreulich ist, dass wir es geschafft haben, eine Struktur aufzubauen, die es uns ermöglicht, uns selbst zu finanzieren. Über 13 000 Mitglieder des Fördervereins und Tausende Spenderinnen und Spender ermöglichen uns eine europaweit einzigartige Unabhängigkeit.

Wenn Sie diese 20 Jahre Revue passieren lassen, was waren die wichtigsten Ereignisse?

Der größte Einschnitt war die Änderung des Grundrechts auf Asyl 1993. Dies führte dazu, dass sich Deutschland immer mehr abschottete. Wir haben heute die niedrigsten Flüchtlingszahlen seit mehr als 20 Jahren. Deutschland übernahm die Lokomotivfunktion in Europa. Die deutsche Drittstaatenregelung, die besagt, dass niemand Asyl erhält, der über einen angeblich sicheren Staat einreist, wurde nach und nach zum europäischen Konzept. Die Grundgesetzänderung war ein Jahrhundertereignis, weil sie der Startschuss war für einen europäischen Wettlauf der Schäbigkeit.

Gibt es Dinge, die Sie als Erfolg Ihrer Arbeit werten?

Die Geschichte von Pro Asyl, und dies ist auch die Geschichte von zahlreichen Flüchtlingsinitiativen, ist eine Geschichte des Durchhaltens trotz vieler Nieder­lagen. Schon dies betrachte ich als Erfolg, dass wir im politischen Diskurs immer noch eine Rolle spielen, obwohl die Politik, über alle Parteigrenzen hinweg, immer wieder gegen Flüchtlinge gerichtet war. Es ist gelungen, im öffentlichen Bewusstsein zu verankern, dass Geduldete, die lange in Deutschland leben, ein Bleiberecht benötigen. Die Bleiberechtsregelung ist aktuell zwar umstritten, und wir befürchten, dass sie sehr engherzig ausfallen könnte, aber allein, dass es in diese Richtung ein Bewusstsein gibt, ist ein Erfolg für Pro Asyl und für alle, die sich vor Ort für Flüchtlinge einsetzen.

War das Zuwanderungsgesetz ein Fortschritt?

Es ist zwiespältig. Es hat einen kleinen Schritt nach vorne gebracht, dahingehend, dass Menschen die vor nichtstaat­licher oder geschlechtsspezifischer Verfolgung flüchten, Schutz finden können. Wir sind jedoch weit davon entfernt, dass die Genfer Flüchtlingskonvention, das Völkerrecht, in Deutschland uneingeschränkt angewandt wird. Besonders krass gilt dies im Moment für anerkannte Flüchtlinge, denen der Asylstatus entzogen wird. In den letzten drei Jahren wurde 45 000 Menschen der Asylstatus entzogen, Flüchtlingen aus dem Irak, Afghanistan und anderen Ländern, obwohl dort alles andere als dauerhaft stabile Verhältnisse herrschen. Das Zuwanderungsgesetz hat auch nicht dazu geführt, dass die erbärmliche Praxis der Kettenduldungen beendet wird. Pro Asyl richtet gegenwärtig eine Petition an den Bundestag, um künftig diese Praxis zu verhindern. Denn auch in Zukunft wer­den Menschen kommen, die vor Kriegen und Bürgerkriegen fliehen und nicht abgeschoben werden können, aber kein Asyl erhalten, weil Krieg kein Asylgrund ist.

Pro Asyl hat sich in letzter Zeit vermehrt nicht nur für das Bleiberecht von Flüchtlingen eingesetzt, sondern auch für dauerhaft hier lebende Migranten.

Pro Asyl hat sein Mandat von Beginn an so verstanden, dass wir gegen Frem­denfeindlichkeit und Rassismus angehen. Wir haben immer kritisiert, dass der Flüchtlingsbegriff zu eng ist. Wenn Menschen lange hier sind, dann stellt sich nicht mehr die Frage, ob sie damals verfolgt waren. Wenn sie hier leben und Deutschland ihr Zuhause ist, wenn sie hier integriert sind, sind Abschiebungen nicht zu vertreten.

Sie hatten es in den 20 Jahren mit po­gromartigem Rassismus der Bevölkerung, mit staatlicher Abschottungs­politik, mit europäischer Harmonisierung und nicht zuletzt auch mit der Präsenz rechtsextremer Parteien zu tun. Wie hängen diese Phänomene zusammen?

Offensichtlich braucht es immer wieder Sündenböcke, Gruppen, die als Feindbild taugen. Das waren im Westen Deutschlands Anfang der Achtziger Türken, dann Flüchtlinge, dann Aussiedler, heute konzentriert sich die Ablehnung vor allem auf Muslime. Dass der Innenminister eine Islam-Konferenz – mit all ihren Mängeln – einberuft, ist ein Fortschritt, weil es ein Signal gegen den Trend in der Bevölkerung setzt. Nur, ein ähnliches Signal haben wir bislang in Bezug auf Flüchtlinge vermisst. Im Gegenteil: Das Bundesinnenministerium ist gegenwärtig dabei, obwohl kaum noch Flüchtlinge nach Deutschland kommen, die bürokratischen Hürden für jene noch höher zu ziehen. Es soll eine Änderung des Zuwanderungsgesetzes in den Bundestag eingebracht werden, nach dem z.B. Asylsuchende zurückgeschoben werden können, wenn angeblich ein anderes Land zuständig ist, ohne dass ihnen hier überhaupt ein Rechtsschutz zusteht. Auch eine Ausweitung der Haftgründe ist geplant. Es ist ein Ka­talog der migrationspolitischen Grau­samkeiten, der da vorbereitet wird.

Arbeiten Sie, angesichts der Tatsache, dass die Flüchtlingsabwehr zunehmend nicht an deutschen Grenzen, sondern an EU-Außengrenzen stattfindet, enger mit Organisationen aus anderen Ländern zusammen?

Der Weg nach Europa ist für Pro Asyl lang, und wir gehen ihn schon einige Jahre. Wir haben uns immer stärker in europäische Debatten eingemischt und versuchen, unsere Verbindungen mit Flüchtlingsorganisationen in anderen Staaten zu intensivieren. Wir weiten also unser Tätigkeitsfeld aus, was aber natürlich auch entsprechender finanzieller Mittel bedarf, um die wir daher ständig werben.

Europa sei auf dem Weg, eine »flüchtlingsfreie Zone« zu werden, haben Sie erklärt. Das klingt sehr pessimistisch. Wie kann diese Entwicklung aufgehalten werden?

Über kurz oder lang werden die europäischen Staaten einsehen müssen, dass eine Politik, die allein auf Abwehr setzt, scheitern muss. In einer globalisierten Welt ist eine Festung Europa, auch rein ökonomisch gesehen, unsinnig und nicht zu halten.

www.proasyl.de