Guten Tag, Mr. Strychnin!

Alles wie gehabt: Woody Allens neuer Film »Scoop« ist erneut rasant, lustig und mit Scarlett Johansson. von jürgen kiontke

Allzu weit laufen musste Woody Allen für seinen natürlich mal wieder gran­diosen, schönen und amüsanten Film »Scoop« nicht – er hat die Kulissen seines letzten Machwerks »Match Point« einfach ein zweites Mal benutzt. Es ist das London der upper class, dem sich Allen widmet. Um ein jüngeres Publikum zu erreichen, setzt er dabei wiederum auf Hauptdarstellerin Scarlett Johansson. Dass die Leute nicht mehr allein um eines alternden Darstellers willen – Woody Allen spielt endlich einmal wieder selbst in einem seiner Filme – ins Kino rennen, darüber scheint er sich nicht allzu viele Illusionen zu machen. In der Rolle des angstzerfressenen, aber äußerst humor­vollen Magiers Sid Waterman (»Ich wurde im Judentum geboren, aber konvertierte dann zum Narziss­mus«) alias »Der große Splendini« agiert er an der Seite der quirligen Schönheit – was mindestens so spannungsreich wirkt wie King Kong und die weiße Frau.

Mussten die Protagonisten des Films »Match Point« noch aus den Wirrungen und Irrungen des Glücks ihre Lebensphilosophie destillieren, steht in »Scoop« die Frage im Zentrum, was bitteschön passiert, wenn man vom Totenschiff hüpft. Man erinnere sich: Es bringt einen aus der Welt der Lebenden ins Totenreich – der Fähr­mann muss bezahlt werden und dergleichen mehr. Zwischendrin aussteigen ist nicht vorgesehen – andererseits: Was sollte dabei schon groß passieren?

Leidlich tot und ausgestiegen aus dem Schiff ist also der Journalist Joe Strombel (Ian ­McShane), der natürlich einer exorbitanten Enthüllungsstory, dem »Scoop«, auf der Spur war: Wer in der Rolle des gefürchteten »Tarot-Karten-Killers« steckt, der die ganze Stadt in Aufruhr versetzt, wie seit Jack the Ripper und der Einführung der City-Maut niemand mehr. Auf dem Totenfloß er­zählte ihm die Sekretärin eines wohlhabenden Londoner Geschäftsmannes – »Guten Tag, Koronarthrombose, und Sie?« – »Strychnin« –, wer der Kartenkiller wirklich ist. Der Profijournalist wird fortan keine Ruhe mehr finden und verblassend durch den Parallelraum schwirren. Da sieht man mal, wie wichtig und gesund ein befriedigender Beruf ist.

Strombel vermutet den Killer in höchst einflussreichen Kreisen, darum nimmt er spiritistischen Kontakt auf zur Journalistenschülerin Sondra Pransky (Scarlett Johansson) – natürlich in Splendinis magischer Box, in die der Magier das junge Ding während einer Aufführung hinein­gestopft hat. Welcher Ort wäre besser? »Ich spalte jetzt ihre Moleküle auf!« – »Bitte nicht kitzeln …«

Verwicklungen, Tempo, Wortwitz included! Allen zieht souverän mehrere Span­nungsbögen auf; neben den altbekannten Problemen zwischen Mann und Frau und dem Widerspruch zwischen Leben und Tod begegnet einem auch noch der fast genauso alte zwischen oben und unten (Unterschichtsdebatte).

Die arg zwielichtigen Lymans, die alles haben und gerade gar nicht mehr wissen, wen sie in der Kulturszene alles einkaufen und wofür sie ihr Geld sonst noch rauswerfen sollen, stehen da, nett, wie sie sind, ziemlich monolithisch dem magischen Unterhalter gegenüber und überhaupt allen Leuten, die für ihr Geld arbeiten müssen. Man könnte die oberen Zehntausend, so wie sie hier in Woody Allens Film dargestellt werden, beinahe für menschlich halten, wären da nicht alle ihre begangenen Grausamkeiten.

Auch Sondra Pransky wird es im Laufe der Ereignisse beinahe zerreißen zwischen beruflichem Scoop und privatem Flop. »Bald trinken Sie Kaffee schwarz und rauchen«, warnt Splendini vor den Folgen des hohen Arbeitskonsums, als sie sich zum Lockvögeln für die gute Sache entschließt, und er meint halbseiden charmant: »Du bist ein hübsches Mädchen. Du kannst seine Aufmerksamkeit erregen. Besonders, wenn er geisteskrank ist.«

Was im Folgenden also geklärt werden muss: Kann der schönste Mann der Welt ein brutaler Killer sein? Vor dieser Frage steht man ja öfter. Leugnen hilft nicht, ist der Verdacht erst da. Und wo ein Verdacht ist, lässt er sich auch bestätigen.

Bei Allens ca. 42. Film steht ein Mensch hinter der Kamera, der randvoll ist mit Nietz­sche, Schopenhauer und Epikur. Das Leben lebt, so lange es nicht tot ist, das darf nicht nur der herzrasende Reporter Strom­bel erfahren, sondern auch seine Nach­fol­ge­rin. In den Worten Strombels: »Wo wir hinfahren, gibt’s keine Ersten. Nur Letzte.« Es ist das letzte Hemd, in dem Allens Splendini seine Taschenspielertricks vorführt.

Wo sich alles um Liebe, Mord und Totschlag und Zeitungmachen dreht, greift die Komödienmaschine reibungs­los schön ineinander – das Wetter ist auch dem­ent­spre­chend –, so dass man sagen kann: Dies ist ein Film wie ein leichtes Sommerkleid bzw. ein Erfrischungstüchlein.

Gerade der Journalistenberuf erfreut sich ja großer Beliebtheit, wer ihn ergreifen will, kann sich hier in der sehr konkret dargestellten britischen Pres­se­welt schon mal umschauen: Die dicken Zeitungen haben ganze Heerscharen von Reportern, ganz anders als die deut­schen. Englische Blätter erscheinen täglich mit 20 selbstrecherchierten Geschichten, Boulevardzeitungen sind ungeheuer textlastig: »Bringen Sie die Story als erste«, rät der weise Zeitungsmann, »aber erst muss die Story stimmen.«

Und die stimmt in »Scoop«. Fast, denn vergessen werden soll nicht: »Scoop« ist auch ein Musikfilm. Nicht nur, dass Lyman, der mutmaßliche Mörder, ein großer Musikliebhaber ist – »Ich liebe die Philharmonie, wir spon­sorn sie« – und in seinem Instrumenten­zimmer zentrale Beweise für diese Behauptung deponiert werden. Im Sound­track, wenn man das Wort überhaupt benutzen soll, gibt es – ­untypisch für Allen – mal weniger Jazz, sondern viel Klassik: Der Film beginnt mit Tschaikowskys »Schwanensee« – und zwar gespielt von den Berliner Philharmonikern, die auf der ganzen Welt geliebt werden, nur von deutschen Finanzpolitikern nicht. Erst kürzlich erschien übrigens ihre ers­te CD-Edition überhaupt.

Tschaikowskys »Nussknacker« findet sich in Woody Allens Film ebenso wieder wie andere Meilensteine der Musikgeschichte – wer hören will, der gehe ins Kino.

»Scoop – Der Knüller«

GB/USA 2006. R: Woody Allen. Start: 16. November