Öl für die Einheit

Mit Petrodollars wollen linke Staatschefs in Lateinamerika die regionale Wirtschaftsintegration vorantreiben. Doch nationale Streitigkeiten stehen diesen Plänen im Wege. von thilo f. papacek

Hugo Chávez macht wieder Wahlkampf. Doch beschränkt sich der venezolanische Präsident dabei nicht aufs eigene Land, wo er sich am 3. Dezember zur Wahl stellen muss. Auch für Raffael Correa, den linken Kandidaten für das Präsidentschaftsamt in Ecuador, setzt sich Chávez ein. Am Dienstag der vergangenen Woche beschuldigte er den konservativen Gegenkandidaten von Correa, Alvaro Noboa, »auf dem Rücken von Kindern zum reichsten Mann Ecua­dors« geworden zu sein. US-amerikanische und europäische Menschenrechtsorganisationen haben tatsächlich schwere Verstöße gegen das internationale Arbeitsrecht auf den Plantagen des »Bananenkönigs« Noboa festgestellt.

Zuvor hatte Chávez sich vergleichsweise zurückhaltend über die Wahlen in Ecuador geäußert, die am 26. November stattfinden werden. Zwar ist allgemein bekannt, dass er mit Correa befreundet ist, doch wollte er keine nationalistische Kampagne gegen den von ihm bevorzugten Kandidaten provozieren. Schließ­lich wollte er in diesem lateinamerikanischen Superwahljahr bereits anderen Kandidaten helfen, hat ihnen dabei jedoch mehr geschadet als genutzt. Vor den Wahlen in Peru im Juni unterstützte er die Präsidentschaftskandidatur des populistischen Ultranationalisten Ollanta Humala. Im Juli sprach er sich für die Wahl des linken Kandidaten Andrés López Obrador zum Präsidenten von Mexiko aus. In beiden Fällen beschuldigten deren Gegenkandidaten sie, nur »Marionetten« Venezuelas zu sein. Die nationalistische Stimmung trug letztlich zur Wahlniederlage von Chávez’ Favoriten bei.

Doch da Noboa zurzeit in den Umfragen mit 17 Prozent vor Correa führt, scheint Chávez seine bisherigen Hemmungen verloren zu haben und eilt seinem persönlichen Freund rhetorisch zu Hilfe. Die Männer verbindet unter anderem das Interesse, die Erdöl­wirtschaft stärker staatlich zu kontrollieren.

Ecuadors Wirtschaft ist extrem abhängig von der Erdölförderung privater Unternehmen in den nordöstlichen Provinzen des Landes. Obwohl die Einnahmen des Staats aufgrund des hohen Ölpreises in den letzten Jahren enorm gestiegen sind, hat sich an der Armut der Bevölkerung wenig geändert. Im Mai kam es deshalb zu schweren Ausschreitungen in den erdölfördernden Provinzen. Die Demons­tranten forderten, dass mehr Geld aus den Erdölgewinnen in die Infrastruktur und das Gesundheitssystem des Landes investiert werden müsse.

Nicht zuletzt um die allgemeine Unzufriedenheit der Bevölkerung zu verringern, kündigte Präsident Alfredo Palacio am 15. Mai die Förderlizenz des nordamerikanischen Unternehmens Occidental wegen eines Vertragsbruchs. Occidental hatte Konzessionen ohne Absprache mit Ecuador an das kanadische Unternehmen Encana verkauft. Das Militär besetzte sogar die Förderanlagen von Occidental und rief so Erinnerungen an die Verstaatlichung der Erdgasreserven in Bolivien wach, die zwei Wochen zuvor stattgefunden hatte. Die Anlagen des Unternehmens Occidental wurden dem ecuadorianischen Staatsunternehmen Petroecuador überantwortet. An der Planung dieser Aktion war der Kandidat Correa beteiligt, der zu Beginn von Palacios Regierungszeit dessen Wirtschafts- und Finanzminister war.

Rafael Correa verteidigt in seinem Wahlkampf die Enteignung der Firma Occidental als einen Schritt »für die nationale Souveränität« Ecuadors. Er kündigte an, als Präsident auch die bestehenden Verträge mit anderen Erdölunternehmen zu überprüfen und eine höhere Gewinnbeteiligung des ecuadorianischen Staates zu fordern. Wenn ihm dann die Investoren davonlaufen, kann er damit rechnen, technische Hilfe von Venezuela zu erhalten.

Sollte es zu einer solchen Entwicklung kommen, hätte dies sicherlich Auswirkungen auf den internationalen Ölpreis. Doch ein höherer Ölpreis liegt ja durchaus im Interesse von Chávez. Schließlich hängt sein regionales Integrationsprojekt Alba, die »bolivarianische Alternative für Lateinamerika«, von dem steten Fluss von Petrodollars ab. Etlichen Regierungen in der Region liefert Venezuela zu güns­tigen Konditionen Erdöl, im Austausch gegen Agrar- und Bergbauprodukte. Diese wirtschaftlichen Maßnahmen werden begleitet von Alphabe­tisierungskampagnen und medizinischen Hilfsprogrammen. Damit will Chávez die »lateinamerikanische Souveränität« gegen die »imperialistische Hegemonie« der USA stärken. Mit Kubas Präsident Fidel Castro und Boliviens Staatschef Evo Morales bildet er bereits eine selbsternannte »Achse des Guten« gegen den US-Präsidenten George W. Bush.

Mit dem Wahlsieg des sandinistischen Kandidaten Daniel Ortega in Nicaragua stößt ein weiterer Präsident zu dem Kreis der Alba-Befürworter. Bereits vor seinem Wahlsieg haben von den Sandinisten regierte Gemeinden billigen Treibstoff aus Venezuela erhalten. Mit Ortega als Staatschef wird nun vermutlich Nicaragua auch auf staatlicher Ebene Alba beitreten. Chá­vez frohlockte bereits über Ortegas Wahlsieg und prophezeite, dass Lateinamerika nun »aufhört, der Hinterhof der USA zu sein«.

Auch die Wiederwahl des brasilianischen Präsidenten Luis Inácio Lula da Silva am 29. Oktober begrüßte Chávez. Anfang des Jahres hat er ein Abkommen mit Lula und dem argenti­nischen Präsidenten Nestor Kirchner unterschrieben, das den Bau einer Ölpipeline von Venezuela bis nach Argentinien vorsieht. Analysten halten dieses Projekt für wirtschaftlich wenig sinnvoll, da es von den hohen Sub­ven­tionen des venezolanischen Staats auf die Produktion abhängt. Allerdings ist der Plan für den Bau der transkontinentalen Pipeline eher von politischen als von wirtschaftlichen Kalkulationen bestimmt. Mit ihm soll die Integration des Mercosur, des gemeinsamen Marktes von Brasilien, Argentinien, Paraguay, Uruguay und Venezuela, gestärkt werden.

Doch mit der von den Staatschefs beschworenen lateinamerikanischen Einheit ist es nicht immer so weit her. Auch bei Chávez’ Verbündeten wächst die Unruhe angesichts der vielen Verstaatlichungen im Erdölsektor, die Wahlen in Ecuador gelten deshalb als entscheidend für die energiepolitische Zukunft des Subkontinents. Chávez’ Bemühungen stellen den traditionellen Füh­rungsanspruch Brasiliens in Süd­ame­ri­ka in Frage, dort werden die Verstaatlichungen mit besonderem Misstrauen beobachtet. Schließlich ist Petro­bras, der staatliche Erdölkonzern, längst ein Global Player, der in vielen Ländern Südamerikas investiert.

In Bolivien ist das brasilianische Staats­un­ter­nehmen der größte ausländische Investor, es wurde von der Verstaatlichung der dortigen Erdgasreserven im Mai dieses Jahres schwer getroffen. Seitdem verhandeln die bolivianische Regierung und Petrobras über neue Förderkonzessionen. Brasilianische Analysten befürchten nun eine ähnliche Schlappe für das Staatsunternehmen, falls Correa in Ecuador gewinnt, wo Petrobras zwei Förderanlagen besitzt. Zwar bekennt sich Lula immer wieder zu einer stärkeren Kooperation der Länder Lateinamerikas. Doch letztlich liegen ihm die Interessen der eigenen Konzerne näher als das Ziel, sich der »Achse des Guten« anzuschließen.