Verlierer leben gefährlich

Nach seinem Wahlsieg festigt Präsident Kabila mit militärischen Drohungen seine Macht. Die EU betrachtet ihre Demokratisierungsmission im Kongo als erfüllt und zieht ihre Truppen ab. von alex veit
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Die Bilanz ist eigentlich eher gemischt, der EU-Militäreinsatz wird jedoch sicherlich als großer Erfolg gefeiert werden. Eine direkte Verwicklung in gewaltsame Auseinandersetzungen gab es nicht, die europäischen Soldaten haben dabei nur zugesehen. Eigene Verluste gab es auch nicht, allerdings starb eine Kongolesin beim Absturz einer unbemannten Aufklärungsdrohne. Mehrfach richte­ten Steine und andere Wurfgeschosse Sachschäden an Fahrzeugen der EU-Interventionstruppen an. Vergangene Woche ging dann noch ein Jeep in Flam­men auf, als Demonstranten das Oberste Gericht in der Hauptstadt Kinshasa stürmten und ebenfalls in Brand setzten.

Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, zu de­ren militärischer Absicherung die Europäische Union 2 300 Soldaten in die Demokratische Repu­blik Kongo entsandt hat, haben derweil in zwei Wahlgängen stattgefunden. Die angeblich »ersten freien Wahlen« im Kongo seit 40 Jahren verliefen, gemessen am durchschnittlichen Gewaltniveau des Bürgerkriegslandes, friedlich und ungestört. Die zivilen EU-Wahl­beobachter sahen »keine bedeutsamen Ereignisse«, die auf das Ergebnis irregulären Einfluss gehabt hätten. Kein Wunder, wurden die Wahlen doch von der EU mit 165 Millionen Euro finanziert. Wer würde sich da noch trauen, auf signifikante Fälschungen hinzuweisen? Die EU hatte ohnehin nur 250 Wahlbeobachter entsandt, die sich auf 50 000 Wahllokale in einem Land von der Größe Westeuropas verteilten.

»Zu Weihnachten ist die Truppe wieder daheim«, hatte Bundesverteidigungsminister Franz Jung versprochen, und so wird die Militärmission Eufor RD Congo wohl am 30. November pünktlich beginnen, die Moskitonetze und Klimaanlagen einzupacken. Zurück bleiben überforderte Blauhelmsoldaten der Vereinten Nationen, die sich betrogen fühlende Haupt­stadtbevölkerung, ein Wahlverlierer, der um sein Leben fürchtet, und ein »demokratisch« bestätigter Staatspräsident, der begonnen hat, seine Macht in einem zerstörten und vielfach gespaltenen Land mit militärischen Drohungen zu festigen.

Einen »nachhaltigen Prozess von Frieden, Demokratisierung, guter Regierungsführung und Herrschaft des Rechts« sollten, so die EU, die Wahlen im Kongo einleiten. Ob der am 29. Oktober mit 58 Prozent der Stimmen im Amt bestätigte Präsident Jo­seph Kabila allerdings die gleichen Prioritäten hat, kann getrost bezweifelt werden. Kabila vergab kurz vor der Wahl wichtige Ämter an Scharfmacher, und in der vergangenen Woche ließ er entgegen den Absprachen mit EU und UN die Armee in der Innenstadt Kinsha­sas aufmarschieren.

Dem Wahlverlierer und noch amtierenden Vizepräsidenten Jean-Pierre Bemba stellte Kabila ein Ultimatum zum Abzug seiner Leibgarde aus der Haupt­stadt. Innenminister General Denis Kalume kündigte »Maßnahmen« an, »um diese unkontrollierte Bande von Personen zu neutralisieren, die drohen, die Stadt in Feuer und Blut versinken zu lassen«. »Er ist immer noch Vizepräsident und darf deshalb eine Leibgarde haben«, lautete die Antwort eines Sprechers von Bemba.

Doch sein Amt wird der ehemalige Gue­ril­laführer Bemba nicht mehr lange bekleiden, und die Präsidentengarde, eine gut ausgerüstete, mehrere tausend Mann starke Spezialtruppe, hat seine Residenz in Kinshasa bereits im August drei Tage lang beschossen. Bemba wurde damals von UN-Blauhelmsoldaten gerettet, doch min­destens 23 Personen starben während der Kämpfe. Spätestens zu diesem Zeit­­punkt dürfte dem militärisch schwachen Bem­ba klar geworden sein, dass er einen Wahlsieg möglicherweise nicht überleben würde. Dementsprechend führte er vor den Stichwahlen keinen nennenswerten Wahlkampf, öffentliche Auftritte erschienen wohl zu riskant. Zudem war sein Hub­schrauber bei den Kämp­fen zerstört worden, in einem Land ohne nennenswertes Straßennetz ein schweres Handicap sowohl im Wahlkampf als auch für eine etwaige Flucht.

Wirklich demokratisch sind Wahlen, in denen der Verlierer um sein Leben fürchten muss, wohl nicht. Die Mehrheit der Bevölkerung in der Hauptstadt hat sich ohnehin schon vorab betrogen gefühlt, dort gab kaum mehr als die Hälfte der registrierten Wähler ihre Stimme ab, Hunderttausende haben sich nicht einmal ins Wahl­register eintragen lassen. Denn in der Haupt­stadt gehen die meisten davon aus, dass die Wahlen ein abgekartetes Spiel zwischen »dem Westen« und Präsident Kabila waren. Kabila gilt hier als Marionette der Ame­rikaner und Franzosen, der die immensen Boden­schätze des Landes verschenkt. Eine plausible Idee, betrachtet man die kongolesische Geschichte, in der der Westen seit mehr als 100 Jahren immer Gewaltherrschaft selbst ausgeübt oder unterstützt hat.

Der Betrugsverdacht und die Verschwö­rungs­theorien treffen wohl nicht zu, im bevölkerungsreichen Osten des Kongo weiß Kabila eine große Mehrheit der Wäh­ler hinter sich. Doch die Modalitäten des international reglementierten und finanzierten Übergangsprozesses haben Kabila begünstigt. Bei der Zusammenstellung der Übergangsregierung, die die größeren Kriegsparteien unter der Aufsicht der »internationalen Gemeinschaft« vereinigte, wurden systematisch alle zivilen Kräfte des Landes benachteiligt. Seine Macht nutzte Kabila, um auf die wichtigsten Posten seine Anhänger zu setzen und zugleich aus dubiosen Geschäften mit ausländischen Konzernen die notwendigen Mittel zur Finanzierung eines starken Unterstützernetzwerks zu erwerben.

Seine Präsidentengarde hätte Kabila gemäß den Übergangsverträgen eigentlich längst auflösen müssen, doch EU und UN verzichteten darauf, ihn zu diesem Schritt zu zwingen. Die in Kinshasa schwache Blauhelmmission Monuc, selbst von baldiger Abwicklung durch den UN-Sicherheitsrat bedroht, kann ihn nun nur noch gewähren lassen, zumal die EU-Truppe ja bereits die Seesäcke packt. Die »internationale Gemeinschaft« scheint sich mit autoritärer Stabilisierung zu begnügen.

Die Demokratie ist mit diesen Wahlen nicht hergestellt worden. »Bürgerkrieg am Horizont«, titelte bereits Le Potentiel, die einzige seriöse Tageszeitung des Landes, doch auch die Prophezeiung, die Verlierer würden erneut zu den Waffen greifen, muss nicht unbedingt zutreffen. Bemba will das Ergebnis nur mit legalen Mitteln vor dem Obersten Gericht anfechten, und auch sonst ist derzeit niemand in Sicht, der es militärisch mit dem Präsidenten aufneh­men könnte. Kabila und seine Entourage haben zehn Jahre Erfahrung im Umgang mit den Widersprüchen zwischen den Forderungen des Auslands und der Bevölkerung nach Demokra­tie und den Erfordernissen des Machterhalts in einem von Gewalt geprägten und vielfach gespaltenen Land. Eine Mischung aus Patronage und Unterdrückung wird auch nach diesen »ersten freien Wahlen seit 40 Jahren« die Realität des Kongo bleiben.