Löschen, bevor es brennt

Der Hamburger Senat hat entdeckt, dass es in vielen Stadtteilen soziale Probleme gibt. Das Programm »Lebenswerte Stadt« soll helfen. von guido sprügel

Hamburg gilt als reiche Stadt. Zumindest leben hier viele Reiche, mit 9 Millionären pro 10 000 Einwohner liegt die Hansestadt an der Spitze in Deutschland. Aber der Reichtum ist recht ungleich verteilt, beinahe jedes fünfte Kind lebt unterhalb der Armutsgrenze. Soziologen bezeichnen Hamburg deshalb auch gern als Stadt »mit der größten Polarisierung«. Neben mondänen Villengebieten wie Eppendorf oder Blankenese gibt es die Hochhausschluchten von Steilshoop und Mümmelmannsberg. Dass neben diesen beiden Stadtteilen weitere elf Bezirke auf dem Weg ins soziale Abseits oder dort schon angekommen sind, muss nun auch der CDU-Senat zur Kenntnis nehmen. In 13 Stadtteilen gebe es »besondere sozia­le Problem­lagen«. Dort leben über 300 000 Menschen, knapp 20 Prozent der Hamburger.

Die Grün-Alternative Liste (GAL) fordert schon seit Jahren ein stärkeres Engagement für diese Gebiete. »Der Senat investiert einseitig in die erste Stadt, also die reichen und wirtschaftlich gut funktionierenden Stadtteile«, kritisiert Claudius Lieven, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der GAL-Bürgerschaftsfrak­tion. Bürgermeister Ole von Beust (CDU) will das Programm »Metropole Hamburg – Wachsende Stadt« weiterführen, das vor allem Prestigeprojekte wie die Flaniermeile Jungfernstieg und die Elbphilharmonie sowie die Unternehmen fördert. Doch die CDU will sich nun mit dem Programm »Lebenswerte Stadt« angeblich auch jenen widmen, die vom Wachstum bislang nicht profitierten.

Das Mitte Dezember präsentierte Programm ist mit 100 Millionen Euro ausgestattet, es soll zunächst sechs Stadtteilen, Wilhelmsburg, Altona-Altstadt, Billstedt, Barmbek-Süd, Lohbrügge-Ost und Steilshoop, zugute kommen. Den Impuls für das Sonderprogramm gaben Beust zufolge die Unruhen in den französischen Vororten. »Man muss jungen Menschen einfach ei­ne persönliche Perspektive geben«, sagte Beust.

Die Opposition bezeichnet das Programm als unzureichend, und auch in den Stadtteilen selbst herrscht keine Jubelstimmung. So freut sich Fred Finzel von der Initiative »Wir-Steilshooper« zwar über jeden Euro, er kritisierte aber im Gespräch mit der Jungle World: »Die Kürzun­gen allein in Steilshoop in den vergangenen fünf Jahren macht das Programm bei weitem nicht wett.« Mit den 20 Millionen Euro für Steilshoop wird wahrscheinlich eine große Tangente zwischen den Hochhäusern verschönert. Eine weiterführende Schule hat der Stadt­teil dann immer noch nicht. »Stellen Sie sich vor, keine weiterführende Schule für 19 000 Bewohner, und das nur, weil die CDU die Gesamtschulen einstampft«, sagt Finzel.

Erich Fülling von der Initiative »Lebendiges Altona« teilt diese Einschätzung: »Das Programm ›Lebenswerte Stadt‹ gleicht den Abbau der letzten Jahre bei weitem nicht aus.« Es fehle wegen der Sparpolitik der vergangenen Jahre auch in Altona an Bildungskonzepten und Angeboten für Kinder. Das Schwimmbad wurde auch noch geschlossen, es würde viel mehr Geld benötigt, um eine Infrastruktur zu schaffen.

Die rot-grüne Koalition in der Bezirksversammlung Mitte hält es für paradox, dass für diesen Bezirk Einsparungen bei der offenen Kinder- und Jugendarbeit in Höhe von 240 000 Euro geplant sind, während gleichzeitig das Programm »Lebenswerte Stadt« läuft. Sie will die Einsparforderungen einfach nicht beachten, in einer einmaligen Anstrengung soll der Bezirk die erforderlichen Mittel aus eigener Kraft aufbringen. »Es wird 2007 und 2008 keine Streichung von Angeboten und Stellen geben«, kündigte die Koalition an.

Von Beust lässt die Kritik scheinbar an sich abprallen. Er hat nicht die Absicht, seine Politik grundsätzlich zu ändern, doch die Stimmung in der Stadt ist kritisch gegenüber der Sparpolitik. Wenn er im kommenden Jahr noch einmal Bürgermeister werden will, muss er sich um ein soziales Image bemühen.