Drei sind keine zu viel

Eine »Megacity« statt Wuppertal, Solingen und Remscheid? Der Vorschlag, die drei Städt zu vereinen, rief Ängste um die »Identität« ihrer Bewohner hervor. von mario a. sarcletti

Das possierliche bayrische Fabelwesen Wolpertinger ist ein Karnickel mit Geweih und Flügeln, also drei Tiere in einem. Ginge es nach dem Willen des Düsseldorfer Regierungspräsidenten Jürgen Büssow (SPD), wäre bald in Nordrhein-Westfalen ein ähnliches Wesen heimisch, nämlich der Rempertinger.

Büssow plädiert dafür, aus Remscheid, Wuppertal und Solingen die zweitgrößte Stadt Nord­rhein-Westfalens zu machen. »Die Haushaltslage der Städte ist ein Gesichtspunkt, ein anderer ist, dass eine Stadt mit 640 000 Einwohnern ein anderes Gewicht hat als eine mit 100 000«, erläutert er der Jungle World seine Idee. Dieses Gewicht würde seiner Ansicht nach die Region »im globalisierten Wettbewerb Europas« voranbringen.

Seine Argumentation ähnelt der, die bereits von den Befürwortern früherer Gebietsreformen vorgebracht wurde. Mehr Effizienz und Effektivität der Verwaltung und einen größeren Einfluss der neu geschaffenen Städte sollte auch die Reform in der Bundesrepublik zu Beginn der siebziger Jahre bringen. Damals wurde die Zahl der bundesrepublikanischen Gemeinden von etwa 24 000 auf 8 505 reduziert. Nichtsdestotrotz ist der Großteil von ihnen heute mehr oder weniger pleite.

Büssow geht davon aus, dass durch eine Zusammenlegung 45 Millionen Euro pro Jahr eingespart werden könnten, das entspricht dem jährlichen Defizit Remscheids. Die Gesamtverschuldung der drei Kommunen beträgt drei Milliarden Euro. Zudem leidet das Städtedreieck unter Bevölkerungsschwund. Anfang der neunziger Jahre lebten in der Region 670 000 Menschen, derzeit sind es 638 000, bis zum Jahr 2025 wird ein Rückgang auf 580 000 erwartet. Und weniger Einwohner bedeuten weniger Geld vom Land. Vor allem die Zahl der Menschen, die ihre Haut auf dem Arbeitsmarkt verkaufen können, dürfte sinken, von heute 390 000 auf gut 340 000. Nur dass sowieso nicht mehr viel Arbeit da ist; seit 1990 wurden in der Region fast 60 000 sozialversicherungspflichtige Jobs abgebaut.

»Das hat Folgen für alle Politikbereiche, vor allem aber für die Kommunalfinanzen«, sagt Büssow. »Die bergischen Städte sind – was ihre finanziellen Möglichkeiten angeht – faktisch am Ende«, diagnostizierte er im Januar in einer Rede vor der Wup­pertaler FDP-Fraktion. Er forderte eine stär­kere Kooperation der drei Kommunen, die zusammen etwa so groß wie Bremen sind. Am Ende seines Auftritts sagte Jürgen Büssow dann den Satz, der an den Ufern der Wupper für Aufregung sorgte: »Wenn ich bergischer Kommunalpolitiker wäre, und ein passionierter noch dazu, würde ich diese Debatte sofort vorantreiben: Das Zusammenwachsen der drei Städte mit einem Schlag – am besten bis zur Kommunalwahl 2009.«

Die Idee ist nicht neu. Bereits vor einem Jahr hatte der Präsident der örtlichen Industrie- und Handelskammer, die bereits seit 30 Jahren IHK Wuppertal-Solingen-Remscheid heißt, die Fusion vorgeschlagen. Nicht nur in der Wirtschaft, auch in anderen Bereichen gibt es bereits Kooperationen. So veranstalteten die drei Städte seit 2001 gemeinsam die »Regionale 2006«.

Regionalen werden in Nordrhein-Westfalen organisiert, um städtebauliche, kulturelle und wirtschaftliche Akzente für den Strukturwandel zu setzen. Da wurden Bahnhöfe saniert, Stadtviertel neu gestaltet, Remscheid richtete am Bahnhof ein »Schaufenster der Wirtschaft« ein. Stillgelegte Bahntrassen, welche die drei Städte früher verbanden, wurden zu Wander- und Fahrradwegen umgestaltet, um sie einander wieder näher zu bringen. Bei einer gemeinsamen Feuerwehr-Leitstelle wollte Remscheid dann aber nicht mitmachen, und auch bei der Volkshochschule kooperieren nur Wuppertal und Solingen.

Kooperationen sind nicht so einfach im Bergischen Land. »Büssow spinnt«, schimpfte die Solingerin Sylvia Löhrmann. »Es ist absolut kontraproduktiv, dieses zarte Pflänzchen, das durch die Regionale entstanden ist, jetzt zu gefährden«, sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag der Jungle World. Wie andere Gegner der Großstadtpläne fürchtet auch sie um die »Identität« der Menschen. Aber was für eine »Identität« hat man als Wuppertaler? Hängt man dem Kommunismus an, weil Friedrich Engels aus der Stadt kam? Haben Remscheider den Röntgenblick, weil Wilhelm Conrad Röntgen zufällig dort geboren wurde?

»Das ist eine falsche Romantik, auch wenn man so etwas wie Heimat braucht«, meint Jürgen Büssow. Die meisten Bürger würden die aber eher in ihrem Stadtteil sehen. »Nach außen ist man Wuppertaler, aber innendrin Elberfelder«, sagt Büssow. Kein Wunder, gegen die Fusion von Barmen und Elberfeld zu Wuppertal im Jahr 1929 gab es heftigen Widerstand. Auch die Gebietsreform Anfang der siebziger Jahre wurde nicht überall akzeptiert, die Wattenscheider »Aktion Bürgerwille« initiierte gar das erste Volksbegehren in Nord­rhein-Westfalen, um die Eingemeindung nach Bochum zu verhindern.

Einige Fusionen wurden auch rückgängig gemacht. So klagte die Stadt Wesseling 1975 gegen die Eingemeindung nach Köln, eineinhalb Jahre später war die Stadt nach einem Urteil des nordrhein-west­fälischen Verfassungsgerichtshofs wieder selbständig. Und im Jahr 1978 besetzten die Bürger des unterfränkischen Kaffs Ermershausen im Kampf um ihre »Identität« gar das Rathaus und errichteten Barrikaden, ehe sie von mehreren Hundertschaften entfernt wurden. 1994 wurde die Eingemeindung nach Maroldsweisach rückgängig gemacht, und die gut 600 Bürger erhielten ihre Ermershausener »Identität« zurück.

Zu Rathausbesetzungen wird es wohl im Bergischen Städtedreieck nicht kommen. Denn inzwischen hat Innenminister Ingo Wolf (FDP) der Fusion eine Absage erteilt. Schließlich steht im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Landesregierung geschrieben: »Die Kommunen sollen intensiv und ohne Sorge um ihre jeweilige Selbständigkeit Kooperationen anstreben; eine kommunale Neugliederung, wie zuletzt in den siebziger Jahren, wird es in NRW nicht geben.« Und weiter heißt es: »Die Koalition setzt auf freiwillige, selbst gestaltete und effektive kommunale Zusammenarbeit.« Da stimmt sogar Sylvia Löhrmann der politischen Konkurrenz zu. »Mehr Zusammenarbeit ja, Megacity nein«, lautet ihr Fazit.

Über den Begriff »Megacity« spottet Jürgen Büssow. »Ich hatte gerade eine Delegation aus China hier, die lachen darüber«, erzählt er. »Das sollte auch ein Anstoß für die Diskussion um eine stärkere Kooperation sein.« Aus seiner Idee einer Großstadt namens »Berg« wird wohl nichts, mangels »Identität«. Vielleicht sollte er es doch mit dem Namen »Rempertingen« probieren. Dann könnten alle ein kleines Stück ihrer »Identität« behalten.