Die Lücke, die die Polizei lässt

Der Anschlag auf einen jüdischen Kindergarten in Berlin wurde durch mangelnde Schutzmaßnahmen ermöglicht. Verbände kritisieren die Gelassenheit, mit der ihn die Öffentlichkeit hinnahm. von daniel steinmaier

Die Täter hatten es vermutlich bemerkt: Der jüdische Kindergarten »Or Avner« im Berliner Stadtteil Charlottenburg wurde im Gegensatz zu anderen jüdischen Einrichtungen der Stadt nicht ständig polizeilich bewacht, sondern am Wochenende und nachts nur regelmäßig von einer Polizeistreife angefahren. Diese Sicherheitslücke ermöglichte es ihnen, am vorvergangenen Wochenende die Fassade der Einrichtung und Spielgeräte im Außengelände mit Hakenkreuzen und antisemitischen Parolen zu beschmieren und eine Leuchtfackel durch ein Fenster zu schleudern, die aber erlosch, ohne größeren Schaden anzurichten. Unter der Woche spielen und lernen rund 100 Kinder in der Kita und der im gleichen Gebäude beherbergten jüdischen Grundschule.

Stefan Kramer, der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, wertete den Anschlag als Zeichen einer neuen Qualität antisemitischer Gewalt und übte zugleich Kritik an den mangelnden Sicherheitsvorkehrungen. Die Bitten der jüdischen Gemeinde nach einer Verbesserung des Schutzes seien von den Berliner Behörden unter anderem mit dem Argument zurückgewiesen worden, der Standort der Einrichtung sei nur provisorisch. »Ich hoffe, dass unserer Bitte, die Bewachung zu verschärfen, jetzt nachgekommen wird«, sagte Kramer.

Auch ein an den Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) gerichteter offener Brief eines Vaters zweier Kinder, die die Einrichtung besuchen, kritisiert die bisherigen Schutzmaßnahmen. Angesichts der ständigen Bedrohung durch antisemitische Täter sei es nicht hinnehmbar, dass »von der Senatsverwaltung für Inneres – vor allem in der Öffentlichkeit – laufend ein unzutreffendes Bild von der Sicherheitslage gezeichnet wird, das die Probleme und Bedrohungen verharmlost und letztendlich in unzureichenden operativen Maßnahmen und damit in einer Gefährdung von Leib und Leben meiner Familie mündet«.

Körting versicherte, »alles zu tun, um das Gebäude zu schützen und die Täter zu fassen«. Die Gewerkschaft der Polizei wies allerdings umgehend darauf hin, dass sie wegen des Stellenabbaus nicht mehr in der Lage sei, alle gefährdeten Orte in Berlin zu sichern.

Während Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) bei einem Solidaritätsgebet anlässlich des Anschlags am Donnerstag voriger Woche in der Wilmersdorfer Synagoge in Berlin betonte, die Zivilgesellschaft sei mehrheitlich solidarisch und müsse daran »nur manchmal etwas erinnert werden«, verwies der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlins, Gideon Joffe, auf Umfragen, nach denen sich 60 Prozent der Deutschen einen Schlussstrich unter die Vergangenheit wünschten. Zudem sei die Zahl antisemitischer Übergriffe seit 2004 um 50 Prozent gestiegen. Nichtjuden könnten mit einem einfachen Selbstversuch einen Eindruck von der Allgegenwart des Antisemitismus bekommen, indem sie sich »mal eine Kippa auf den Kopf setzen«, sagte Joffe der Frankfurter Rundschau. Es werde nicht lange dauern, bis sie Erfahrungen mit Antisemitismus gemacht hätten.

Die Aktion Sühnezeichen, das American Jewish Committee und der Verein »Gegen Vergessen – Für Demokratie«, sowie zahlreiche Mitunterzeichner haben in einer Presseerklärung kritisiert, »dass es bislang so wenig öffentliche Reaktionen auf diesen Anschlag gegeben hat«. Sie wollen sich nicht »der allgemeinen Beschwichtigung« anschließen, »es handle sich ›wieder um einen Dumme-Jungen-Streich‹«.

Jehuda Teichtal, der Rabbiner der Organisation »Chabad Lubawitsch«, welche die Kita und die Schule betreibt, will trotz des Anschlags am Standort des Zentrums festhalten. »Wir werden den Kindergarten und die Schule auch weiter dort betreiben und auf die Finsternis mit Licht antworten.«