Zeuge Treitschke

Berliner Straßenname von daniel steinmaier

Bisher waren die Fronten im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf klar: Während die SPD, die Linkspartei und die Grünen die Umbenennung der Treitschkestraße forderten, waren die CDU und die FDP dafür, dass die Straße weiterhin den Namen des antisemitischen Historikers trägt. Von ihm stammt der Satz: »Die Juden sind unser Unglück.« Er wollte ihn seinerzeit, im Jahr 1879, auch »wissenschaftlich« begründet sehen.

Inzwischen scheint es, als könnten die Grünen mit einer Treitschkestraße in Berlin leben. Als in der vorletzten Woche die SPD in der Bezirksverordnetenversammlung einen Eilantrag zur Umbenennung der Straße stellte, lehnten die Grünen ihn ab. Der Grund für ihren Meinungswandel ist, dass sie seit November in Steglitz-Zehlendorf mit der CDU eine schwarz-grüne Koalition bilden. In der »Zählgemeinschaftsvereinbarung« haben sich die beiden Parteien darauf geeinigt, die Straße in dieser Legislaturperiode nicht umzubenennen. Dass die Grünen ihre Meinung zugunsten der Machtbeteiligung aufgegeben hätten, sei »mehr als schäbig,« empörte sich der Berliner Landesvorsitzende der SPD, Michael Müller.

»Die Umbenennung ist nach wie vor unser Ziel«, sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen in Steglitz-Zehlendorf, Irmgard Franke-Dressler, der Jungle World. Man habe nicht die Umbenennung abgelehnt, sondern nur die Dringlichkeit des Antrags. Zudem gäbe es auch mit den Grünen keine Mehrheit für die Umbenennung der Straße, da die FDP weiterhin dagegen sei.

Die Dringlichkeit ihres Eilantrags begründete die SPD mit dem Bau eines Einkaufszentrums an der Treitschkestraße, der dieser neue Aufmerksamkeit verschaffe. Aus Sicht der Grünen ist dieser Grund jedoch nur vorgeschoben. Müller versuche, die Treitschkestraße zum Symbol für einen angeblichen Rechtsruck der Grünen zu stilisieren und greife dabei »tief in die linkspopulistische Mottenkiste«, sagte der frühere Kreisvorsitzende der Grünen, Michael Schröter. Ihm zufolge begegnet die SPD der »eigenen politischen Inhaltsleere« mit der »Profilierung auf Kosten der NS-Opfer«.

Ihre Einigung mit der CDU, die Straße bis zum Jahr 2011 nicht umzubenennen, werten die Grünen als »intelligenten Kompromiss«. Denn das, was sie mit der Union vereinbart hätten, sei »ein umfassendes Konzept von Erinnerungskultur«. Dieses sieht vor, an der Treitschkestraße Tafeln aufzustellen, »die eine Auseinandersetzung der Passanten mit der jeweiligen Benennung ermöglichen«. Zudem soll die Debatte in einer Ausstellung dokumentiert werden.

Der Fraktionsvorsitzende der SPD in Steglitz-Zehlendorf, Michael Karnetzki, kritisierte, man könne kaum eine Tafel aufstellen, auf der stehe: »Treitschke war Antisemit.« Der CDU-Kreisvorsitzende Michael Braun meinte hingegen, die Umbenennung käme einer »Entsorgung von Geschichte« gleich. Dies bezeichnete der SPD-Kreisvorsitzende Michael Arndt wiederum als »antisemitisches Geschwätz«, worauf Braun Strafanzeige wegen Beleidigung stellte. Aber nicht nur er, auch Franke-Dressler ist der Ansicht, Straßennamen seien nun einmal »Zeugen der Geschichte«. Während eine Umbenennung »nur kurz Staub aufwirbelt«, trete sie zusammen mit der CDU für eine »dauerhafte Auseinandersetzung mit der Person Treitschke« ein.

Für eine solche dauerhafte Beschäftigung mit Treitschke ist auch die NPD zu haben. In einem Brief an die Grünen würdigte die Partei sein Werk. Treitschke sei davon ausgegangen, »dass jeder Mensch die Fähigkeit besitzt, das deutsche Wesen in sich aufzunehmen und sein bisheriges Wesen abzustreifen«. Auch wenn »politische Gemeinsamkeiten« mit den Grünen in der Vergangenheit »nicht vorhanden« gewesen seien, glaubt die NPD, dass sich nun »erste Gesprächsmöglichkeiten ergeben können«.